In diesem Jahr findet das 30. Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen statt. Pro Bleiberecht nutzt das Gedenken seit mehreren Jahren, um auch den bis heute wirkenden institutionellen Rassismus und den Widerstand dagegen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Hier findet ihr alle Veranstaltungen, die wir zum Thema in diesem Jahr planen.
Kernanliegen unserer Veranstaltungen, die wir gemeinsam mit der iL Rostock planen, ist es, im Gedenkjahr an das Pogrom herauszustellen, dass rassistische physische Gewalt stets mit institutionellem Rassismus verwoben ist. Rassismus ist kein Problem eines vermeintlich rechten Rands. Er ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt: In Gesetzen, genauso wie in unseren Vorstellungswelten und Vorurteilen.
Auch ist uns ein Blick auf den Beginn der 90er Jahre wichtiger, der nicht nur einzelne Ereignisse herausstellt, die medial seit 30 Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten: "Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln". Angriffe auf Menschen of Colour und Unterkünfte für Asylsuchende gehörten Anfang der 90er Jahre zum traurigen Alltag - in den neuen und den alten Bundesländern. Er wurde durch rassistische Einstellungen in der breiten Bevölkerung mitgetragen und diese wiederum in rassistische Gesetze (zB den "Asylkompromiss") umgesetzt. Das Gedenken und die Erinnerung an die Geschehnisse wach zu halten, betrachten wir als einen Teil der nach wie vor wichtigen gesellschaftlichen Aufarbeitung.
Doch muss uns auch immer klar sein: Rassismus steht nie unwidersprochen. Widerstände, Proteste und Selbstermächtigung von Betroffenen von Rassismus und rechter Gewalt gab es zu jeder Zeit. Unsere erinnerungspolitische Aufgabe ist es, sie fest im kollektiven Gedächtnis zu verankern und damit Perspektiven für gesellschaftliche Veränderungen zu eröffnen.
Pro Bleiberecht arbeitet bereits seit mehreren Jahren mit Blick auf Lichtenhagen an diesen Themen. Hier findet ihr unsere Redebeiträge aus den Jahren 2017, 2018, 2020, 2021. Alle weiteren Veranstaltungen des Gedenkjahres findet ihr hier.
Termine
Gedenken an Dragomir Christinel
11.-13. März - Infoveranstaltungen und Kundgebung in HRO und Ribnitz-Damgarten
Die politisch Verantwortlichen erklären ihre Untätigkeit während des Pogroms gerne mit der Überforderung der Nachwendezeit. Man muss sich vor Augen führen: Das Pogrom war angekündigt. Und bereits in den Vormonaten gab es zahlreiche organisierte Angriffe auf Unterkünfte von Asylsuchenden in ganz MV (aber auch in anderen Bundesländern, inklusive ehem. westdeutschen Bundesländern). Einer dieser brutalen Angriffe forderte ein Todesopfer in MV: Dragomir Christinel.
Wir haben im März an ihn erinnert, mit zwei Infoveranstaltungen und einer Gedenkkundgebung.Wir möchten alle Leute ermutigen: Startet Recherchen zu rechter Gewalt und ihren Opfern in eurer Umgebung. Es ist nie zu spät für Aufarbeitung. Eine tolle Anlaufstelle für erste Fragen ist das Dokumentationszentrum "Lichtenhagen im Gedächtnis" in Rostock.
Hier lest ihr mehr zum Hintergrund und zu Dragomir Christinel.
Film und Gespräch: "Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus"
12. Mai - PolDo im PWH
Der Film begleitet die erste Karawane für die Rechte der Geflüchteten und Migrant:innen, die anlässlich der Bundestagswahl 1998 Aktivist:innen und ihre Forderungen im ganzen Land auf die Straße brachte. Die Tour stoppte auch in Rostock: Mit Protest gegen eine Wahlkampfveranstaltung des kurz später gewählten Altkanzlers Gerhad Schröder. Portraitiert werden Aktivist:innen, die für ihre Rechte in Deutschland kämpfen. Denn die Gesetzesverschärfungen ("Asylkompromiss") von 1993 standen nicht unwidersprochen. Auch in Rostock formte sich Ende der 90er eine lokale Karawane-Gruppe.
Ihr könnt den Film hier online kucken. Es lohnt sich. Danke ans Umbruch-Bildarchiv für diese und andere wertvolle zugängliche historische Dokumente!
Kontinuitäten von Antiziganismus: Von Porajmos bis Asylgesetzverschärfung
18. Juni - Bildungsfahrt nach Neuengamme
1993 protestierten Rom:nja-Aktivist:innen gegen Asylgesetzverschärfungen und rassistische Gewalt, unter anderem vor Neuengamme und in Dachau. Sie thematisierten deutlich den Zusammenhang der antiziganistisch-rassistischen Gewalt und Gesetze und der Verfolgung und Massenvernichtung durch die Nazis im Porajmos.
"Zu einer erneuten erinnerungspolitisch ausgetragenen Konfrontation kam es 1993, als die KZ-Gedenkstätte Neuengamme vor dem Hintergrund mehrerer Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte erneut besetzt werden sollte. Weil Hundertschaften der Polizei das Gelände belagerten, kam es zu Auseinandersetzungen, als Roma versuchten, dennoch darauf zu gelangen." (Ein langer Weg, taz vom 18.7.2015)
Film: "Revision" zum Todestag von Grigore Velcu und Eudache Calderar
27. Juni - Böll-Montagskino
Am 29. Juni 1992 wurden Grigore Velcu und Eudache Calderar in Nadrensee von Jägern erschossen. Die beiden waren Asylsuchende in Deutschland. Bis heute sind ihre Tode Verdachtsfälle tödlicher rechter Gewalt. Ihre Situation in Deutschland, der (fehlende) Umgang mit den Hinterbliebenen und die mangelnde Aufarbeitung ihrer Tode legen den institutionellen Rassismus der damaligen Zeit offen.
"Die beiden Opfer hatten gerade mit einer Gruppe von Landsleuten die Oder überquert und schlichen sich im Halbdunkel durch ein Gerstenfeld, als der Schuss fiel. Die Familie von Grigore Velcu hielt sich zu dieser Zeit in dem Flüchtlingsheim Gelbensande bei Rostock auf. Velcu war wegen mehrerer Papiere nach Rumänien gefahren. Grund war auch, dass seine Mutter in Rostock verstorben war und er ihre sterblichen Überreste nach Rumänien überführen lassen wollte, nachdem ihr Grab in Rostock mehrfach geschändet worden war. Er fuhr heimlich nach Rumänien, da er als Asylbewerber den Landkreis nicht hätte verlassen dürfen. Die Familie von Eudache Calderar – so war geplant – sollte später nachgeholt werden, nachdem Calderar sich Arbeit gesucht hätte. " (Wikipedia, Stand: 20. Mai 2022)
Hier lest ihr mehr zur Doku. Wir zeigen den Film in Rostock gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung im Liwu. Anschließend findet ein Gespräch mit Kenan Emini vom Roma Center Göttingen statt.
Lesung: "Women in Exile – Breaking Borders to Build Bridges"
14. Juli - PolDo im PWH
Women in Exile reißen Grenzen ein, um Brücken zu bauen. Im Sommer 2021 tourten sie gegen Rassismus und Lager durch MV. Seitdem gibt es Women in Exile MV, die sich bei der Veranstaltung vorstellen. Der unermüdliche Kampf von Women in Exile gegen das diskrminierende Asylsystem und die Zwangsunterbringung von Asylsuchenden in Sammellagern steht für den anhaltenden Kampf von Aktivist:innen gegen insitutionellen Rassismus.
Women in Exile kämpfen seit 20 Jahren für die Rechte geflüchteter Frauen. In ihrem neuen kollektiv geschriebenen Sammelband erzählen sie ihre Geschichten: Von den Gründen, die Heimat zu verlassen, vom diskriminierenden Asylverfahren, von der Situation in den Flüchtlingslagern und vom Kampf für die Abschaffung der Lager. Und auch vom Recht auf Gesundheitsversorgung, Bewegungsfreiheit, Empowerment, Selbstreflexion und von der Zusammenarbeit mit Freund:innen.
Die Lesung findet auf deutsch und englisch statt.
Die Rosa Luxemburg Stiftung MV unterstützt die Veranstaltung.
„Unsere Kämpfe – Migrantischer Widerstand im Hamburg der 1990er Jahre“
Im Sommer - Ausstellung in Rostock
Auch in MV gab es Widerstand gegen Rassismus: So wehrten sich Asylsuchende, die in Greifswald 1991 in der Unterkunft von Rassisten angegriffen wurden, indem sie eine Kirche in Neumünster besetzten und so gegen die Zwangsverteilung nach Mecklenburg-Vorpommern protestierten.
Diese und andere Widerstande finden sich in der Ausstellung. Wir sind derzeit in Gesprächen, wann wir sie wohin nach Rostock holen können. Hier findet ihr vorerst mehr zum Inhalt:
Ausstellung: „Unsere Kämpfe – Migrantischer Widerstand im Hamburg der 1990er Jahre“
Dieses wie jedes Jahr: Gedenken heißt verändern!
Kontinuitäten von Rassismus und Widerstand
21. August 2022 - Kundgebungen & Bustour in Rostock, Schwerin, Nostorf-Horst
10 Uhr Rostock - Rathaus, Neuer Markt
11 Uhr Schwerin - Innenministerium, Pfaffenteich Südufer
14 Uhr Horst - Aufnahmelager, Nostorfer Straße 1
Solidarität und Widerstand
Wo es Rassismus gibt, gibt es Widerstände. Menschen wehren sich gegen Unterdrückung, aus Sehnsucht nach Freiheit und aus Solidarität. Wir verfolgen die Spuren des Widerstands gegen gewalttätigen und institutionellen Rassismus durch 30 Jahre Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern: Die Solidarität der jüdischen Aktivist:innen im Oktober 1992, die Bleiberechtskämpfe der vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen Ende der 1990er in Schwerin, die Proteste von Asylsuchenden in Nostorf-Horst in den 2000ern.
Wir machen am 21. August gemeinsam Widerstände sichtbar!
Wir werden laut gegen Rassismus!
Ausführliche Infos zur Kundgebung findet ihr hier.
Erinnern heißt verändern!
27. August - Aufruf zur Großdemo "Erinnern heißt verändern!"