Von Lichtenhagen nach Horst – Ein bitteres Mahnmal

In diesen Tagen jährt sich das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zum 26. Mal. In Rostock wird eine Gedenk-Stele zur Erinnerung an die Betroffenen dieses rassistischen Angriffs eröffnet.

Zur selben Zeit plant Bundes- „Heimat“-Minister Horst Seehofer „AnkER-Zentren“ und „Transitlager“. Hunderte Menschen werden wöchentlich zum Spielball europäischer Politik und treiben tagelang völlig unterversorgt auf dem Mittelmeer.

Was haben diese Ereignisse, die 26 Jahre auseinander liegen, miteinander zu tun?

Sie verweisen in ihrer Konsequenz auf einen gemeinsamen Ort: Ein Erstaufnahmelager für Flüchtlinge am Rande von Mecklenburg-Vorpommern, Nostorf-Horst. Erstaufnahmelager sind die Orte, in denen Asylsuchende nach ihrer Ankunft in Deutschland ihre Fingerabdrücke abgeben, registriert werden, den Asylantrag stellen und dann lange leben müssen. In MV gibt es zwei solcher Lager: Horst an der Grenze zu Schleswig-Holstein und Sternbuchholz bei Schwerin.
Vor 26 Jahren hieß die Einrichtung mit dieser Funktion „ZAST“, „Zentrale Erstaufnahmestelle“. Sie befand sich in Rostock-Lichtenhagen. Als es dort zu massenhaften und koordinierten Übergriffen gegen die Asylsuchenden kam, wurden diese in Busse gesetzt und weggefahren. So entstand Horst.

Nostorf-Horst steht für das Einknicken vor der Gewalt der Rassisten Anfang der 90er. Es ist nur denkbar, weil die öffentliche Debatte in den 90ern den Asylsuchenden gegenüber feindlich gesinnt war. Und die Politik dem nachkam.
Horst Seehofers „AnkER-Zentren“ stehen für das Einknicken vor der Gewalt der Rassisten 2018. Sie sind nur denkbar, weil die öffentliche Debatte Asylsuchenden gegenüber damals wie heute feindlich ist. Und die Politik Teil dessen ist.

Nostorf-Horst ist beinahe ein „AnkER-Zentrum“: Die Asylsuchenden kommen hier an, hier haben sie ihr Interview und viele von ihnen werden von hier abgeschoben. In Horst warten größtenteils Menschen im sogenannten Dublin-Verfahren auf die Abschiebung in ein anderes EU-Land. Manche von ihnen kommen aus Italien, wo sie auf der Straße oder in Zwangsprostitution gelebt haben. Andere kommen aus Norwegen, wo ihnen die Abschiebung in Länder wie Somalia oder Afghanistan droht, in denen Krieg und Terror herrschen. Wieder andere sind in Deutschland, weil sie hier Verwandte haben, in deren Nähe sie nach Krieg und Unterdrückung leben wollen. Jeder von ihnen hat einen Grund, warum er oder sie nach Deutschland gekommen ist.
Doch diese Gründe haben keine Bedeutung für die deutsche Bürokratie.

Der Alltag in Nostorf-Horst ist monoton: Immer wieder das gleiche Essen, immer wieder keine Schule, immer wieder fehlender Kontakt. Immer wieder Abschiebungen. Immer wieder Menschen und Menschen und Lärm – niemals Ruhe in einer Einrichtung mit bis zu 600 Menschen. Immer und immer wieder. In Horst gibt es Menschen, die dort mehrere Monate leben. Es gibt Menschen, die dort länger als ein Jahr leben. Leben müssen.
Denn das Bundesinnenministerium hat die Gesetze so geschaffen. Das MV-Innenministerium setzt sie dankend um. Denn die CDU/CSU fürchtet um die Wähler*innen an ihrer rechten Flanke. Und immer und immer wieder knicken sie ein. Immer und immer wieder werden sie selbst zu Gewalttätern, die Menschen in leidvolle Lebenslagen bringen. Die Gewalt sieht hier anders aus als 1992 auf der Straße: „Sie nehmen uns die Würde“, sagen manche Asylsuchende in Horst. „Killing us slowly“, sagen andere. Denn sie leiden in Horst: An Schlaflosigkeit, an Depression, am Nichtstun, an einer ausweglosen Lage, in der es kein „zurück nach Hause“ gibt.

Nostorf-Horst ist die falsche Konsequenz aus einem falschen Umgang mit Rassisten. Nicht die Flüchtlinge sollten dem Blick der Öffentlichkeit weichen – der Rassismus, seine Ideologen und Hetzer müssen weichen. Und das heißt in der Konsequenz: Nostorf-Horst muss weg.

Im August 1992 kamen die ersten Menschen in dieser alten Kaserne in Nostorf-Horst an. Wie viele Menschen hier nach ihnen noch leben würden, ahnten sie wahrscheinlich nicht. Das Pogrom in Lichtenhagen war keineswegs der einzige Ausbruch der rassistischen Gewalt dieser Zeit in Mecklenburg-Vorpommern. Auch wenn heute aufgrund der sehr lückenhaften Erinnerungspolitik gern dieser Eindruck entsteht.

Im August 2018 wird in Rostock ein Mahnmal für die Betroffenen des rassistischen Pogroms von Lichtenhagen eingeweiht. Mit dem Mahnmal spricht sich die Politik frei von ihrer Verantwortung. Ab jetzt wird man an die Betroffenen gedacht haben.

Nostorf-Horst steht hingegen als ungesehenes Mahnmal mitten im Wald, am Rand des Bundeslands.

Wer interessiert sich für die letzte Konsequenz von Rostock-Lichtenhagen?
Wer interessiert sich für die Geschichte und die Erfahrungen der Asylsuchenden, die dort leben?