Beitrag von PRO BLEIBERECHT beim Tag des Erinnerns an Rostock-Lichtenhagen 1992

Am 26. August fand in Rostock-Lichtenhagen das Erinnern an das Pogrom 1992 statt. Das Mahnmal "Selbstjustiz" wurde nach Reden von Ibrahim Arslan (Überlebender des Brandanschlags 1992 in Mölln), Kenan Emini (Vorsitzender Roma Center Göttingen) und Nguyen Do Thu (Dien Hong) eingeweiht.

Im Anschluss fand ein Demokratie-Fest statt. PRO BLEIBERECHT trug einige Worte bei. 25 Jahre nach Lichtenhagen ging es um die Frage: Was bedeutet es, als Geflüchtete*r in Mecklenburg-Vorpommern zu leben? Wie begegnen wir einander auf Augenhöhe im Kampf für die Rechte der Geflüchteten?

Es sprachen zwei Redner*innen, was durch fett/nicht fette Schrift gekennzeichnet ist.

Als ich das erste Mal außerhalb von Rostock war und mich die Leute gefragt haben, wo ich herkomme, waren sie schockiert. Sie waren traurig. Ich habe Mitleid in ihren Augen gesehen. Ich hab das erst nicht verstanden. Es hat was mit Lichtenhagen zu tun.

In Lichtenhagen griffen mehrere Hundert Neonazis Geflüchtete und VertragsarbeiterInnen an. Tausende applaudierten. Fast alle schauten weg.

Lichtenhagen ist überall.

Die Leute sagen: Es gibt keinen Rassismus mehr in Deutschland. So etwas wird nicht wieder passieren.

Das stimmt nicht. Alle Geflüchteten und Migrant*innen wissen das. Sie leiden darunter. Sie müssen kämpfen, jeden Tag.
Zum ersten Mal wurde mir in der Erstaufnahmestelle in Horst klar, dass Deutschland keine Utopie ist.

Horst liegt etwa zweieinhalb Stunden von hier an der Grenze zu Niedersachsen, mitten im Wald. Seit 1993 ist es die Erstaufnahmestelle in Mecklenburg-Vorpommern. Das bedeutet, jeder Geflüchtete kennt diesen Ort.

Horst ist Ergebnis von Lichtenhagen. 1993 wurden die Geflüchteten aus dem Blick der Öffentlichkeit geschafft, anstatt die Nazis und Gewalttäter aus dem Blick der Asylsuchenden zu schaffen.

Die Politiker machten damals die Geflüchteten zum Problem, nicht die Nazis.

Ich konnte nie verstehen, wie man die Ursache des Problems im Opfer sehen kann.

Die Politik ist heute ähnlich wie in den 90ern. Um die AFD und die Rassisten auf der Straße zu beruhigen, sollen Leute nach Afghanistan abgeschoben werden. Jeden Tag werden Leute im Dublin-Verfahren in Länder abgeschoben, in denen sie im Elend leben oder weiter abgeschoben werden – nach Afghanistan, Iran, Somalia.

Nur um damit im Wahlkampf Abschiebezahlen zu produzieren.

Geflüchtete in Rostock sind damals wie heute mit Rassismus konfrontiert.

Rassismus ist ein Wort mit großer Bedeutung.

Es sind die Augen, die mir auf der Straße folgen. Die mich nie alleine lassen. Die mir nie das Gefühl geben werden, dass ich hier leben darf.
Rassismus sind auch die Gesetze, die Menschen zu einem Leben von 150€ verdammen.
Rassismus sind die runtergekommenen Unterkünfte und fehlende soziale Beratung dort.
Rassismus sind die Vorstellungen in den Köpfen der Menschen und der politischen Verantwortlichen:
Dass es gute und böse Flüchtlinge gibt. Echte und unechte.
Rassismus ist es, Menschen in Kategorien zu zerteilen und ihre Schicksale nicht mehr zu sehen.

Rassismus ist die Isolation, das Alleine-leben.
Rassismus ist Realität in Deutschland.

Letzte Woche habe ich endlich in voller Bedeutung begriffen, was jemand meint, wenn er sagt

Wir müssen hier jeden Tag kämpfen in Rostock.

Rassistische Verletzungen sind Alltag.
Rassistische Verletzungen trennen uns, wenn die die uns verletzen, es nicht einmal merken.
Als Menschen, die Rassismus erleben, wissen wir: Es gibt kaum sichere Orte ohne Rassismus in Rostock.

Heute, 25 Jahre nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, müssen wir aus Lichtenhagen lernen.
Lernen fängt da an, wo wir versuchen die Wirklichkeit zu verstehen und den Rassismus nicht mehr zu leugnen.
Lernen geht da weiter, wo wir die rassistischen Gesetze nicht mehr akzeptieren.

Und lernen hört vielleicht da auf, wo wir uns am Ende auf Augenhöhe begegnen können.

Wir brauchen hier nicht so zu tun, als würden wir jetzt gerade die politischen Kämpfe um Bleiberecht und die Grundrechte der Geflüchteten auf Augenhöhe führen.
Bis wir soweit sind, müssen wir Eingeborenen hier noch sehr viel über Rassismus verstehen.

Ich möchte alle geflüchteten Menschen, die hier sind auffordern: Lasst uns Rassismus nicht akzeptieren. Rassismus muss nicht Teil unseres Alltags sein. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Wir müssen dagegen kämpfen.

Wir sind hier. Wir sind laut. Wir haben ein Recht hier zu leben.

Der Grund, warum wir unsere Herkunftsländer verlassen haben, ist Angst.

Wir wollen in Sicherheit leben. Wir bleiben alle.

Pro Bleiberecht!

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