Von Lichtenhagen nach Horst: Break Isolation!

Am 22. August haben wir mit der Interventionistischen Linken Rostock die Gedenk-Kundgebung an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 organisiert. Wir dokumentieren hier Redebeiträge, Inhalte und unsere Motivation.

Anliegen der Kundgebung: Kontinuitäten sichtbar machen

Das Pogrom in Lichtenhagen war ein bitterer Höhepunkt des Rassismus zu Beginn der 1990er Jahre. Voraus gingen rechte Gewalt und rassistische Debatten. Es folgten Gesetzesverschärfungen und Abschottung. All das geschieht auch heute. Rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen Hand in Hand. Dem entgegen stehen Widerstände, Selbstverteidigung, Protest und Solidarität.

Diese Kontinuitäten wollen wir sichtbar machen. Symbolisch haben wir deshalb den historischen Ort in Lichtenhagen mit dem noch heute in Betrieb befindlichen Erstaufnahmelager Nostorf-Horst verknüpft. Es wird als quasi-AnKER-Zentrum betrieben. Asylsuchende werden hier durch die Zentralisierung des Asylverfahrens und aller beteiligten Behörden systemtisch von der Gesellschaft isoliert. Diese Idee gab es bereits in den Gesetzesverschärfungen der 90er Jahre, in deren Geist Horst entstanden ist. In den vergangenen Jahren wurde die Idee der Isolation weiter umgesetzt, um besser kontrollieren und abschieben zu können.

Wenn wir Rassismus benennen wollen, ist es Teil unserer Verantwortung den Teil der Geschichte sichtbar zu machen, der in der weißen Mehrheitsgesellschaft zu oft vergessen wird: Die Perspektiven derjenigen, die von Rassismus betroffen sind. Auf der Kundgebung in Lichtenhagen sprachen deshalb Dan Thy Nguyen, der sich intensiv mit dem Erleben der betroffenen Vietnames:innen beschäftigt hat, Vertreter:innen des Migrantenrat Rostock, des Roma Center Göttingen und Women in Exile Mecklenburg-Vorpommern. In Horst sprachen (ehemalige) Bewohner:innen und Aktivist:innen, die den institutionellen Rassismus der Lagerpolitik benannten.

So wie Rassismus haben auch Widerstand und Protest Kontinuitäten. Deshalb ist es wichtig, auch die Erinnerung an die Kämpfe der vietnamesischen Betroffenen im "Haus der drei Blumen", der oft vergessenen Asylsuchenden in der ZAST und der Aktivist:innen, die gegen die Ungerechtigkeiten in Horst ihre Stimme erhoben haben, wach zu halten - und viel mehr ins kollektive Bewusstsein zu rücken. Denn diese Perspektiven und Stimmen sind es, die uns im Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung antreiben müssen.

Redebeiträge

Wir veröffentlichen hier in den kommenden Tagen die Beiträge, die uns von den Redner:innen zur Verfügung gestellt werden.

Die Erklärung von uns: Warum sind wir hier?

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Dan Thy Nguyen, Regisseur und Essayist, berichtete von den Perspektiven vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen, die sich 1992 während des Angriffs im Sonnenblumenhaus selbst verteidigten und retteten. Er beschäftigte sich im Rahmen einer Recherche intensiv mit ihren Erfahrungen und Biografien.

Redebeitrag von Dan Thy Nguyen

Seyhmus Atay-Lichtermann vom Migrant:innenrat Rostock sprach über die Forderung des Migrant:innenrats ein Rede- und Stimmrecht in der Rostocker Bürger:innenschaft zu bekommen. Als Lichtenhäger Junge erlebte er das Klima der 2000er Jahre im Stadtteil.

Das Roma Center Göttingen machte auf die Situation der Rom:nja aufmerksam, die Anfang der 90er in Deutschland Asyl suchten und sowohl in ihren Herkunftsländern als auch hier rassistischen Gewaltexzessen ausgesetzt waren.

Redebeitrag vom Roma Center Göttingen

Zwei Aktivistinnen von Women in Exile Mecklenburg-Vorpommern sprachen über Alltagserfahrungen in Rostock, über Solidarität, die sie sich wünschen, und die aktuelle Lage der Frauen nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. In einem Audio-Beitrag schilderten Women in Exile zudem ihre Enttäuschung über die Erinnerungsstele, die in einer versteckten Ecke neben dem Sonnenblumenhaus unter dem Titel "Selbstjustiz" seit 2017 an das Pogrom erinnern soll. Es gleiche mehr einem Aschenbecher als einem würdigen Erinnern.

Cindy Hader von der Uni Chemnitz berichtete über die Entstehungsgeschichte des Aufnahmelagers Nostorf-Horst Anfang der 90er. Das Lager steht beispielhaft für die Asylgesetzverschärfungen der 90er Jahre, in denen die Bundes- und Landesregierung auf Isolation der Asylsuchenden setzte, statt Rassismus wirksam zu bekämpfen.

Redebeitrag von Cindy Hader

Auf der Fahrt nach Horst berichtete ein Aktivist der No-Lager-Bewegung von Protesten vor Horst Anfang der 2000er Jahre, der ersten No lager Tour durch MV und Protesten für Bewegungsfreiheit vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm.

In Horst berichtete ein ehemaliger Bewohner über die schlechte Situation in der Einrichtung und Rassismus, den er dort erlebt hat.

Eine ehemalige Bewohnerin schilderte den Alltag in der EInrichtung: Schlechte Essensversorgung, die Verweigerung medizinischer Versorgung, unangekündigtes Betreten der privaten Wohnräume durch Personal der Betreiber u.a. Regelungen zeigen den diskriminierenden und psychisch zermürbenden Alltag der Bewohner:innen der Einrichtung.

Ein Bewohner von Horst sprach über die Perspektivlosigkeit und den Druck mehrere Monate unter den Umständen im Aufnahmelager leben zu müssen.

Women in Exile plädierte für eine starke und verbundene Bewegung der Betroffenen der rassistischen Lagerpolitik und appellierte an die Menschen in Horst für ihre Rechte einzutreten.

 

Berichterstattung

Beitrag im Nordmagazin
Korrektur zum Inhalt des Beitrags: Wir fordern nicht "eine bessere Integration von Geflüchteten in Mecklenburg-Vorpommern". Das Wort Integration fiel auf der Kundgebung kein einziges Mal. Der Begriff suggeriert die Betroffenen von Rassismus müssten ihr Verhalten anpassen, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Wir sagen: Rassist:innen müssen ihr Verhalten ändern - ob das nun Beleidigungen, Angriffe oder rassistische Gesetze sind. Wir fordern daher das Ende rassistischer Asylgesetze, das Ende der Isolation in Lagern, Sammelunterkünften und AnkER-Zentren, sowie die Betroffenen von Rassismus in ihren Forderungen zu hören und ernst zu nehmen.

Beitrag NNN

Beitrag Katapult MV

Bildserie von Bildwerk Rostock
Danke für die Bilder, die wir hier in diesem Beitrag verwenden.