“Deutschenfeindlichkeit” made in MV: Tatsachen verdrehen in den Erstaufnahmelagern

Am 17. Juli wurde bekannt, dass das LKA Mecklenburg-Vorpommern 2018 angeregt hatte, die Kategorie "Deutschenfeindlichkeit" in die polizeiliche Kriminialstatistik aufzunehmen. Ein Kommentar über Rassismus, Mecklenburg-Vorpommern und Tatsachen.

Bestandsaufnahme: Mecklenburg-Vorpommern

Wir leben in MV in einem Bundesland, das nicht an Polizeiskandalen geizt: Cops in rechten Chats, rechte Prepper beim SEK, Übergriffe gegen Minderjährige, Datenmissbrauch von Polizeicomputern, gewalttätiger (ehem.) AfDler an der Polizeihochschule. Diese Skandale haben Eines gemeinsam: Sie zeigen uns Rassismus und rechte Ideologien in der Polizei MV.

Was wir in MV auch über Jahre hatten, ist ein Innenminister, der private Kontakte zu rechten Preppern pflegte und dort sogar Waffen geshoppt hat. Ein Innenminister, der seit Jahren eine extrem restriktive und menschenfeindliche Asylpolitik umsetzte. Der stolz darauf war, als er 2018 zu Horst Seehofer sagen konnte: Unsere Aufnahmelager sind schon AnkEr-Zentren. AnkER bedeutet: Isolation der Asylsuchenden in abgelegenen Lagern. Zentralisierung aller Verfahrensschritte in einer Einrichtung. Abschiebung und Abschottung. Und was uns Asylsuchende immer wieder bei den Mahnwachen in Horst schildern: Zermürbung durch Rassismus, schlechte medizinische Versorgung und Leistungskürzungen. 

Die Erstaufnahmelager in MV und anderswo stehen sinnbildlich für institutionellen Rassismus. Sie strotzen von Ungleichbehandlung und rassistischen Gesetzen, die die Art und Weise wie diese Lager funktionieren, erst möglich machen. 

"Deutschenfeindlichkeit"

"Deutschenfeindlichkeit" ist nicht einfach ein Wort, das sich ein mehr oder weniger kreativer LKA-Beamter in einem kleinen Bundesland ausgedacht hat. Es ist ein Beispiel dafür, wie rechte Propaganda in den vergangenen 15 Jahren immer weiter in die sogenannte Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Zur Geschichte des Begriffs hier mehr.
"Deutschenfeindlichkeit"
taucht nun seit 2019 in der polizeilichen Kriminalstratistik auf, weil Mecklenburg-Vorpommern das für die Bundestatistik vorgeschlagen und auch selbst eingeführt hat. "Deutschenfeindlichkeit" wird der politisch motivierten Kriminalität (PMK) zugerechnet. Anlass war laut internen Dokumenten, dass Cops in MV, die als Nazis bezeichnet wurden, nicht wussten, wie sie das einordnen sollen.

Das soll hauptsaächlich in Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende passiert sein. Davon gibt es in MV zwei: Horst und Sternbuchholz. Fakt aus der Statistik, die nun seit 2019 geführt wird: 5 Leute von 2548 (die 2019 in MV Asyl beantragt haben und damit in Aufnahmeeinrichtungen lebten) sollen Cops oder Security als Nazis beschimpft haben.

Was aus einer Polizeistatistik übrigens nicht hervorgeht, ist ob sich Anzeigen als korrekt bewahrheitet haben und Verurteilungen stattgefunden haben. Und real talk: Was wir nicht wissen, ist ob die rechten Skandal-Cops (s.o.) auch in Geflüchtetenunterkünften oder in den Aufnahmelagern eingesetzt wurden/werden, zB bei Abschiebungen.

What about: Grundrechtsverletzungen?

Was in dieser Statistik wiederum nicht auftaucht, sind die anhaltenden - politisch motivierten - Grundrechtsverletzungen durch die Innenministerien, die diese Statistiken führen. Dies sind Angriffe auf Grundwerte unserer Gesellschaft, die weit wichtiger wären statistisch und öffentlichkeitswirksam abzubilden.

Grundrechtsverletzungen stehen auf der Tagesordnung in den Aufnahmelagern, nicht nur in MV:

Auch von Rassismus erzählen uns Bewohner:innen von Horst immer wieder, zum Beispiel hier.

Dazu kommt, dass wir von Einigen, die im Lager arbeiten, im Lager rassistisch behandelt werden. Mit so einer Abwertung, einer Haltung von oben herab. Sie denken, wir kommen wegen des Essens nach Deutschland. Sie denken wir sind dumm. Sie wissen nicht, weswegen wir hierher kommen. Sie wissen nicht, was wir erlebt haben. Die Kinder spüren das auch schon, im Unterricht.
Es mag also nicht unglaublich differenziert sein, wenn Leute, die in solchen Aufnahmelagern leben müssen, Cops und Secus als Nazis bezeichnen. Aber Deutschkurse, in denen Leute lernen zu sagen "Ihr arbeitet in einem rassistischen System, das ihr jeden Tag durch das was ihr tut, legitimiert und aufrecht erhaltet" gibt's leider nicht in diesen Einrichtungen.

Kollektive Verantwortung

Und klar: Wir Deutsche mit Nazihintergrund müssen uns unserer Vergangenheit bewusst sein. Es gibt selbstverständlich historische Kontinuitäten zwischen waschechten Nazis und denjenigen, die in den 50ern und 60ern die "Ausländergesetze" machten*. Asylgesetzverschärfungen sind das parlamentarische Pendeunt zum Rassismus auf den Straßen - damals wie heute. Horst gibt es seit dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, als man es für sinnvoll hielt Asylsuchende in einer abgewrackten NVA-Kaserne im Wald zu verstecken anstatt das Neonaziproblem anzugehen. Und Sternbuchholz, die zweite Aufnahmestelle in MV, wurde tatsächlich bereits 1940 von den originalen Nazis als Kriegsgefangenenlager genutzt.

Das sind Kontinuitäten, die wir nicht leugnen können. In der Tatsache, dass Orte, die zur militärischen Nutzung vorgesehen waren, heute Asylsuchende untergebracht werden, zeigt sich der völlig falsche Ansatz der deutschen Asylpolitik. Diese Tatsache zeigt auch wie tief verwurzelt Rassismus in Deutschland ist, wenn wir Geflüchtete in Orten unterbringen, die für Drill, Gehorsam und Kontrolle gebaut wurden, anstatt sie in ihren Bedarfen und Anliegen zu unterstützen. 

Was die "Deutschenfeindlichkeit" in Wirklichkeit ist: Eine krude Ablenkung von der eigenen rassistischen menschenfeindlichen und teilweise verfassungswidrigen Politik der CDU/CSU. "Deutschenfeindlichkeit" aus einer Hand voll Äußerungen in den Erstaufnahmelagern abzuleiten, ist nichts Anderes als Victim Blaming von denjenigen, die die CDU/CSU (und auch immer miterwähnt: Unter aktiver Beteiligung der SPD) in rassistische Verhältnisse zwingt. Es ist eine stumpfe Ablenkung von institutionellem Rassismus und Rassismus in den Polizeien. 

Protestiert mit uns gegen die Kontinuitäten von institutionellem Rassismus. Kommt zur Kundgebung "Von Lichtenhagen nach Horst: Break Isolation" am 22. August in Rostock und vor Horst

*Niels Seibert: Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964-1983. UNRAST (2008).