Am Sonntag kamen wieder etwa 100 Menschen unter dem Motto „Gegen Ausgrenzung und Isolation – Solidarität mit den Asylsuchenden!“ vor dem Erstaufnahmelager Nostorf-Horst zusammen. Es entstanden Gespräche mit den Asylsuchenden. Im vergangenen Jahr nannten Bewohner*innen der Einrichtung immer wieder ähnliche Missstände - das verantwortliche Innenministerium dementierte stets, ohne mit den Bewohner*innen selbst dazu ins Gespräch zu kommen. Die Bundesregierung verschärfte im August zudem die Regelungen zur Unterbringung in den Aufnahmelagern.
Bericht aus erster Hand
Pro Bleiberecht fordert:
- generell, dass Asylsuchende nicht in Sammel-Lagern untergebracht werden, sondern dezentral in Wohnungen, wo Menschen in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Insbesondere Nostorf-Horst mit der schlechten Infrastruktur sollte schnellstmöglichst geschlossen werden! Solange Nostorf-Horst besteht, fordern wir...
- dass die Landesregierung von der Öffnungsklausel im neuen Gesetz Gebrauch macht und Asylsuchende schnellstmöglich in die Kommunen zu verteilt, egal welchen Aufenthaltsstatus jemand hat. Dass jemand in ein anderes EU-Land ausreisen soll, ist kein Grund ihn oder sie krank zu machen.
- dass Leistungskürzungen auf 30€ sofort beendet werden!
- dass ein zuverlässiges System zur Identifizierung und Versorgung von Menschen mit besonderen Schutzbedarfen installiert wird, wie es die EU-Aufnahmerichtlinie vorsieht.
Das Leben in Sammel-Unterbringungen macht die Leute krank, wir sehen und hören das immer wieder. Ein Bewohner von Horst, der anonym bleiben möchte, berichtete uns sehr eindrücklich vom Alltag in der Sammel-Unterkunft.
"An meinem ersten Tag hier habe ich sehr bedauert dass ich nach Deutschland gekommen bin. Es hat sich angefühlt wie ein Gefängnis. Die Tage und Nächte hier im Camp sind immer gleich. Die Routine beherrscht alles. Man kann keinen Ort und keinen Moment finden, ohne mit den eigenen Gedanken konfrontiert zu sein. Es gibt keinen Ort und keinen Moment, in dem man nicht traurig ist. Beim Essen, wenn man kein Internet zur Ablenkung hat, immer fühlt man sich ausgeschlossen von der Welt.
Dazu kommt, dass wir von Einigen, die im Lager arbeiten, im Lager rassistisch behandelt werden. Mit so einer Abwertung, einer Haltung von oben herab. Sie denken, wir kommen wegen des Essens nach Deutschland. Sie denken wir sind dumm. Sie wissen nicht, weswegen wir hierher kommen. Sie wissen nicht, was wir erlebt haben. Die Kinder spüren das auch schon, im Unterricht.
Vor einem Monat habe ich einen unsäglichen Fehler gemacht: Ich habe in meinem Zimmer gegessen. Die Betreiber des Camps haben deswegen die Polizei gerufen. Das ist doch etwas, das jeder normale Mensch macht: In seinem Zimmer essen.
Als ich einen Monat hier war, habe ich gemerkt, dass ich Depressionen habe. Ich war wegen politischer Verfolgung im Gefängnis. Ich bin auch dort krank geworden. Hier hat es sich genauso angefühlt wie damals.
Hinzu kommt, dass alle Asylsuchenden hier gleich behandelt werden, sie schauen nicht auf die individuellen Fälle, was mir vorher zuhause und in Europa schon passiert ist.
Ich und andere kommen, weil wir Angst um unser Leben haben. Es gibt Unterschiede zwischen den Fluchtgründen. Von einigen habe ich Fotos mit den Mächtigen aus [meinem Land] gesehen. Sie haben ein Bleiberecht bekommen, das ist nicht fair.
Es gibt ein Fitnessstudio, einen Fußballplatz, einen Unterrrichtsraum. Aber schaut es euch an: der Fitnessraum ist viel zu klein, der Fußballplatz ist immer matschig. Es ist ein Witz. Es ist nicht modern, man merkt gar nicht dass man in Europa ist. Es gibt keine Bibliothek, man kann nicht mal Bücher lesen. Samstag, Sonntag fährt kein Bus irgendwohin. Davon wird auf Dauer jeder krank.
Deswegen werden auch die Eltern depressiv: Sie sehen wie ihre Kinder verkümmern. Sie haben keine Schule, keine Beschäftigung. Das macht die Kinder krank und in der Folge auch die Eltern.
Man ist hier ausgeschlossen. Man spürt das Leben nicht. Es ist Routine und Tod. Alle werden hier krank.
Es gibt keinen Arzt, hier arbeiten zwei Krankenschwestern. Sie sagen nur "Nein", ständig "Nein". Erst wenn es uns richtig schlecht geht, bekommen wir Termine bei Ärzten außerhalb. Wir werden nicht ernst genommen mit unseren Anliegen.
Zum Beispiel: Ich hatte Zahnschmerzen. Nach elf Monaten haben sie mir gesagt, ich habe keine Versicherung dafür. Der Zahn wird erst gezogen, wenn er abgestorben ist. Bis dahin soll ich mit den Schmerzen leben."
(Das Gespräch wurde möglichst nah an den Formulierungen des Redners übersetzt. Um die Anonymität des Sprechers zu wahren, haben wir Sprache und Herkunftsland unkenntlich gemacht.)