Support für die Revolution im Iran auf Landesebene

In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder Proteste und Kundgebungen iranischer und kurdischer Freund:innen begleitet, die hier in MV und in Berlin die Revolution im Iran unterstützen. Bei einer dieser Kundgebungen kam seitens einer Genossin von der Partei die LINKE die Frage auf, welche Forderungen wir ganz konkret an die Landesregierung von MV richten.

Jin Jiyan Azadî

Vorneweg: Der Kernslogan der iranischen Revolution "Frauen, Leben, Freiheit" erinnert uns auch in der westlichen Politik an einen Grundsatz, der unter Regierungsführung der CDU/CSU jahrelang aus dem Blick geraten ist:

Der Anspruch an gesellschaftliche Veränderung muss immer a) feministisch sein (soweit haben das vermutlich die meisten Menschen verstanden, die der Revolution auf Social Media folgen). Unser Anspruch an Veränderung muss aber immer auch b) an den Interessen der Arbeiter:innen orientiert sein. "Jin Jiyan Azadî" kommt aus der kurdischen Frauenbewegung, aus der sozialistischen und sozialdemokratischen Frauenbewegung. So ist es kein Zufall, dass dort, wo ebenjene politischen Strukturen im Iran stark sind (v.a. in Kurdistan) die Proteste eng verflochten sind mit Massenstreiks - in Betrieben, auf Basaren, in Schulen und Universitäten.

Feministische Politik im Sinne der Ausgebeuteten - eigentlich beste Voraussetzungen für eine rot-rote Landesregierung, um zu glänzen - sofern sie sich auf ihre Ursprünge besinnt.

Im Folgenden unsere Gedanken, wie das aussehen kann:

Einsatz auf Bundesebene

Die grundlegenden Forderungen seitens unserer Freund:innen und Genoss:innen zur Unterstützung des revolutionären Prozesses sind klar: Deutschland und andere mächtige demokratische Staaten in Europa und weltweit müssen das islamistische Regime isolieren und die Basisbewegung unterstützen, um es abzusetzen. Dafür müssen Mitglieder des Regimes und des Repressionsapparates, sowie staatliche Unternehmen sanktioniert werden. Terrororganisationen wie die "Revolutionsgarden" müssen auf die Terrorliste der EU.

Die Landesregierung und Vertreter:innen aus MV müssen sich in allen Gremien und Positionen, die sie auf Bundesebene besetzen, aktiv für diese Forderungen einsetzen. Ob im Bundesrat oder als einzelne Abgeordnete von SPD MV und LINKEr MV in verschiedenen Ausschüssen.

Mehr zu den Forderungen unserer kurdischen und iranischen Genoss:innen, ist hier nachzulesen:

Internationale Solidarität muss praktisch werden

Der revolutionäre Prozess im Iran begann mit dem Mord an Jina Amini - so erzählen es meist die kurzen Einleitungstexte in der Berichterstattung seit September. Doch der revolutionäre Prozess begann vor Jahren, wahrscheinlich vor Jahrzehnten. Er begann dort, wo Genoss:innen Strukturen aufgebaut haben - oft versteckt im Untergrund, oft im Exil und immer mit dem Risiko im Knast zu landen oder hingerichtet zu werden. Die Revolution begann in jeder Entscheidung, mit der Frauen, Student:innen oder Eltern von Inhaftierten zivilen Ungehorsam gelebt haben und sich zu Protesten zusammengeschlossen haben. Die Revolution fand in jeder Minute im Knast statt, in der Oppositonelle seit Jahren ihren Widerstandsgeist aufrecht erhalten haben. Die Revolution fand mit jedem Leben statt, das vom islamistischen Regime genommen wurde.

Menschen, die mit ihrer Arbeit und ihrem Einsatz den Grundstein für den revolutionären Prozess gelegt haben, den wir jetzt sehen, sind hier in Mecklenburg-Vorpommern. Man kann mit ihnen reden. Nicht als Landesregierung, aber als LINKE MV oder SPD MV sollten Politiker:innen den Kontakt suchen zu Genoss:innen von PDK-I, Komallah, AKP-I, Frauenorganisationen, Gewerkschafter:innen, LGBTIQs usw. Es ist an uns auf diejenigen zu zu gehen, die mit ungemein härteren Kämpfen beschäftigt sind. Denn am Ende dieses revolutionären Prozesses steht der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft - und auch hierbei wird es demokratische Verbündete brauchen. Diese Verbündete müssen wir sein.

Wandel durch Menschenrechte

Besonders die SPD MV hat in der Vergangenheit in Sachen Außen- und Wirtschaftspolitik folgenschwere schlechte Entscheidungen getroffen, indem sie auf den falschen Esel gesetzt hat (#Putin #Russlandtag #Nordstream). Der Kontakt zu Genoss:innen von der Basis kann ein kritisches Korrektiv zu Einschätzungen aus der Entfernung sein. Denn deren Urteil misst sich stets an der realen Lebenssituation der Bevölkerung, nicht an politischer Selbstinszenierung der Machthabenden. Deren Einschätzung ist selbstverständlich vorrangig nicht wirtschaftspolitisch getragen, sondern führt uns die innenpolitischen Bedingungen vor Augen.

Noch 2016 gab es seitens der Rostocker Industrie- und Handelskammer unter Beteiligung des SPD-Ministers Pegel Bestrebungen, die wirtschaftlichen Kontakte in den Iran auszubauen. Nur ein halbes Jahr nach dem Ende der damaligen Sanktionen fand eine Reise einer 100-köpfigen Delegation statt, der unter anderem Verwaltungsmitarbeiter:innen aus MV und diverse Unternehmen angehörten -  kein einziges Mal fallen im Reisebericht die Worte Menschenrechte oder Islamismus. Die Landesregierung, insbesondere das Ressort Wirtschaft, muss darauf hinwirken, dass Unternehmen aus MV sämtliche Kontakte in den Iran abbrechen bis das Land demokratisch regiert wird. Sie muss indes darauf hinwirken, dass öffentlich Informationen darüber zugänglich sind, welche Unternehmen in welchen Branchen mit welchem Auftragseingang derzeit noch mit iranischen Unternehmen zusammenarbeiten (auch über Umwege) - und ob Waren oder Dienstleistungen aus Mecklenburg-Vorpommern gegen die Revolution eingesetzt werden.

Screenshot: Investorenportal-mv.de, 3.6.2016

Situation für asylsuchende Iraner:innen verbessern

Die Asylpolitik in Mecklenburg-Vorpommern war in den vergangenen Jahren geprägt von der repressiven Politik des rechten-Prepper-Freundes Lorenz Caffier. Diese Politik setzte auf Zermürbung, Isolation und Abschiebung. Was ansteht, ist ein genereller Paradigmenwechsel in der Asylpolitik: Der Maßstab für den Umgang und die Rechte von Asylsuchenden und Menschen mit Duldung darf nicht die Vorstellung vom "identitätsbetrügenden kriminellen Asyltouristen" a la AfD und Union sein. Der Maßstab muss eine demokratische und würdige Begegnung mit Menschen sein, die ziemlich viel auf sich genommen haben, um hier her zu kommen. Die Asylpolitik in MV muss dringend menschenfreundlicher und progressiv werden - denn exilpolitische Unterstützung für die Revolution geht weitaus besser, wenn man kein psychisches Wrack ist.

Hier unsere Vorschläge wie wir asylsuchende Iraner:innen supporten können, sortiert nach Verfahrensstatus. Wir nennen hier nur Maßnahmen, die landespolitisch machbar sind, keine in bundespolitischer Verantwortung.

1. Für Menschen im Dublin-Verfahren

Wenn Menschen durch ein anderes Dublin-Land nach Deutschland eingereist sind, versucht der deutsche Staat sie dorthin abzuschieben. Dieses Verfahren läuft grundsätzlich beim BAMF (also nicht im Einflussbereich der Landesregierung), allerdings müssen die Betroffenen in dieser Zeit in den Erstaufnahmelagern in Nostorf-Horst und Stern Buchholz leben.

  • Warum das Leben in den Aufnahmelagern nicht zumutbar ist, haben wir hier aufgeschrieben.
  • Warum Mecklenburg-Vorpommern mit dem Bezug zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen eine besondere Rolle darin hat, Aufnahmelager/AnkER-Zentren abzuschaffen, kann man hier nachhören.

Unsere Empfehlung an die Landesregierung: Aufenthaltszeit in den Aufnahmelagern per Landeserlass so kurz wie möglich machen. So kurz wie möglich bedeutet: 2-3 Tage für die Registrierung der Asylanträge.

Das würde auch das Problem mit der fehlenden Beschulung von Kindern in den Aufnahmelagern lösen.

2. Für Menschen im Asylverfahren

Wir haben bereits zu Beginn der rot-roten Regierungskoalition 5 basic Forderungen für eine antirassistische Asylpolitik in MV aufgeschrieben. Drei zentrale Punkte, die natürlich auch auf Iraner:innen zutreffen:

  • No Lager! Der Vorrang für Unterbringung in Sammellagern in den Kommunen muss weg. Dezentrale Unterbringung in Wohnungen ist selbstbestimmter und gesünder. Einige Begleiterscheinungen von Sammelunterbringung lösen sich damit auf, zB die fehlende Umsetzung der Kinderrechte in solchen Lagern, die besondere Belastung für Frauen und ein Teil rassistischer Stigmatisierungen in der Gesellschaft.
  • Krankenkassenkarte für alle! Asylsuchende sind nach dem sog. Asylbewerberleistungsgesetz versichert. Das bedeutet, ihnen stehen nur minimale Gesundheitsleistungen zu, die sie zudem bei den Sozialämtern beantragen müssen und deren Bedarf von Sachbearbeiter:innen (nicht medizinischem Personal!) eingeschätzt wird. In anderen Bundesländern bekommen Asylsuchende trotzdem Krankenkassenkarten von Beginn an. Das erweitert zwar theoretisch nicht den Leistungsumfang, in der Praxis aber schon - denn Ärzt:innen, die jemand selbstständig aufsucht, schätzen eben vorrangig den mediznischen Bedarf ein, nicht die Kosten für das Sozialamt. Ein besonders heikler Punkt sind die Kosten für Psycholog:innen, die durch das AsylbLG nur bezahlt werden, wenn jemand suizidal oder gefährlich für sich oder andere ist ("akuter Behandlungsbedarf"). Menschen mit Knast- und Foltererfahrung brauchen aber oft kontinuierlichen psychologischen Support. In den vergangenen Jahren verursachen auch die stetig verschärften Abschottungspraktiken an den Außen- und Binnengrenzen der EU zunehmenden Versorgungsbedarf.
  • Deutschkurse für alle! Sprache ist der Zugang zur Gesellschaft. Aktuell ist sie vor allem der Zugang, um sich politisch zu äußern. Generell aber auch um das eigene Leben in die Hand zu nehmen und hier einen Anfang zu machen und die eigenen Rechte zu vertreten und wahrzunehmen. Deutschkurse sind nach Gesetzeslage derzeit nur mit einem positiv abgeschlossenen Asylverfahren zugänglich und verpflichtend. Die Landesregierung könnte sich aber beispielsweise zur Kostenübernahme für Menschen im Asylverfahren bereit erklären.

3. Für Menschen mit Schutzstatus
Gemeint sind hier alle diejenigen, denen das BAMF einen Schutzstatus ausspricht, entweder als Asylberechtigte, als Flüchtlinge nach Genfer Flüchtlingskonvention, als Subsidiär Geschützte oder mit einem Abschiebeverbot.

Die Probleme, die Iraner:innen mit Anerkennung haben, unterscheiden sich kaum von denjenigen anderer Staatsangehöriger. Um nur zwei Beispiele zu nennen:

  • Die Passpflicht zwingt Viele immer wieder in die Botschaft des Regimes vor dem sie geflohen sind. Sie müssen dieses durch Gebühren mitfinanzieren und sich den geltenden Regeln unterwerfen (zB Hijabzwang in der Botschaft). Dieses Problem ließe sich beheben, indem auch andere Dokumente als der Pass zur Identitätsklärung akzeptiert werden, die Identität nur einmalig und nicht bei jeder Verlängerung geklärt werden müsste und die Ausländerbehörden ihr Ermessen bei der Genehmigung von Passersätzen mehr ausnutzen. Dazu braucht es entsprechende Erlasse durch das Innenministerium MV an die Ausländerbehörden.
  • Der Familiennachzug ist nicht für jeden Schutzstatus gleich geregelt. So ist der Familiennachzug von Menschen mit Subisidärem Schutz aufwendig und begrenzt. Menschen mit Abschiebeschutz müssen ausreichend Einkommen und Wohnraum nachweisen, was angesichts den Lohnniveaus in MV und rassistischer Vergabe auf dem Wohnungsmarkt oft schwierig ist. Hier könnten die Ausländerbehörden ihr Ermessen weit mehr im Sinne der Betroffenen nutzen.
  • Wichtig wäre, dass die Landesregierung sich angewöhnt, Erlasse und Weisungen an die Ausländerbehörden, Sozialämter und andere involvierte Akteur:innen öffentlich zugänglich zu machen. So wäre es den Betroffenen leichter möglich, ihre Rechte gegenüber den Behörden einzufordern.

4. Für Menschen mit Duldung

Wer vom BAMF keinen Schutzstatus bekommt, lebt fortan mit einer "Duldung" und ist dadurch permanent von Abschiebung bedroht. Für Menschen aus dem Iran hat die Bundesinnenministerkonferenz ein generelles Abschiebeverbot in den Iran ausgesprochen. Die Behörden in MV sollten Iraner:innen zeitnah Aufenthaltserlaubnisse ausstellen, damit ihnen die damit verbundenen Begleitrechte (zB Deutschkurse, Bürgergeld, reguläre Krankenversorgung, usw.) zustehen.

Wir haben hier am Beispiel unseren schwulen und zum Christentum konvertierten Freundes Sami erklärt, warum Asylverfahren manchmal schief gehen - auch wenn jemand eigentlich absolut dringend Schutz in Deutschland braucht. Duldungen wurden in den vergangenen Jahren immer repressiver. Die entsprechenden Gesetzesverschärfungen müssen rückgägnig gemacht werden, hierfür sollten sich politische Vertreter:innen aus MV auf Bundesebene einsetzen.
Derzeit fordern Ausländerbehörden weiterhin Iraner:innen auf, sich bei der iranischen Botschaft Pässe zu besorgen, um ihre Abschiebungen vorzubereiten. Dies muss umgehend ausgesetzt werden. Auch die Sanktionen, die Behörden verhängen, wenn Betroffene keine Pässe holen (Leistungskürzungen, Arbeitsverbote, usw.) müssen umgehend ausgesetzt werden.

Dass noch im Oktober, also etwa einen Monat nach dem Beginn des revolutionären Prozess, die Ausländerbehörde Neubrandenburg in den Iran abschieben wollte, zeigt den dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich der Ausländerbehörden in MV. Die meisten Ausländerbehörden in unserem Bundesland sind mit ihrer Haltung und vor allem ihrem Verhalten gegenüber Asylsuchenden und Geduldeten in den 1990ern stecken geblieben - oder eben im Weltbild von 15 Jahren CDU-Innenministerium. Hier muss sich vor allem das Innenministerium, in dessen Zuständigkeit die Ausländerbehörden fallen, mit öffentlich zugänglichen und damit einforderbaren deutlichen Weisungen gegen institutionellen Rassismus in MV stark machen.

Das SPD-Justiziministerium MV sollte sich zudem mit Ober-/Verwaltungsrichter:innen aus Greifswald und Schwerin zusammensetzen. Denn in Greifswald ist es beispielsweise seit Jahren Praxis jungen Frauen zuzumuten, sich im Iran dem Hijabzwang zu unterwerfen. In der Konsequenz erhalten sie Duldungen und sind von Abschiebung bedroht. Die entsprechende Formulierung in den Entscheidungen lautet: Frauen, die im Iran aufgewachsen sind, sind „aus diesem Grunde in der Lage sich im Falle einer Rückkehr sich den dort geltenden Vorschriften anzupassen und sich mit den in der Praxis tief verwurzelten patriarchalischen und sozialen Barrieren zu Recht zu finden.“ So eine Betrachtungsweise ist eine frauenfeindliche, kulturalistische und rassistische Zumutung - und es ist nicht die einzige ihrer Art (sowohl im Bereich Asylentscheidungen, aber zB auch #Nwortstoppen).

Fazit

Es bleibt Einiges zu tun, das direkt im Einflussbereich der Landesregierung MV liegt. Wir hoffen, dass sie diese Verantwortung annimmt und so zeigt, dass Solidarität auch realpolitisch praktisch werden kann.

Denn ein demorkatischer, föderaler, säkulärer Iran ist möglich. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten ihn möglich zu machen.