Sammellager schließen! – Von schlimmen Zuständen und rechter Propaganda

Die AfD-MV übt sich derzeit in sowas wie "investigativem" Journalismus, mit Youtube-Beiträgen über das Erstaufnahmelager Stern Buchholz bei Schwerin. Einige Punkte in den Beiträgen müssen wir einfach kommentieren, weil sie tatsächliche Probleme benennen - allerdings mit kruden Begründungen und Schlussfolgerungen.

Vorneweg

 

Stern Buchholz ist eines von zwei Erstaufnahmelagern in Mecklenburg-Vorpommern. Das zweite liegt in Horst, darüber lest ihr bei uns öfter [bleiberecht-mv.org/horst]. Auch über Stern Buchholz haben wir schon verschiedentlich berichtet, z.B. bei Abschiebungen und Corona. In den Aufnahmelagern sind Asylsuchende so lange untergebracht, bis sie auf sog. "Gemeinschaftsunterkünfte" (im Folgenden: Sammellager) in den Kommunen "verteilt" werden. In den letzten Jahren verfolgten sowohl die Bundesregierung (Union/SPD) als auch die Landesregierung MV (SPD/CDU) eine restriktive Asylpolitik, die unter anderem Verschärfungen mit Blick auf die Aufnahmelager enthielt. Mehr dazu hier

Die Situation in Stern Buchholz ist - wie in jedem Sammellager - beschissen. Das Lager gehört - wie jedes Sammellager - geschlossen. Die AfD suggeriert in ihren Beiträgen, dass mehr Kontrolle und mehr Repression innerhalb der Lager irgendeins der angesprochenen Probleme lösen würde. Das ist natürlich rechtspopulistischer Bullshit. 

Die logische Konsequenz aus den benannten Problemen ist dezentrale Unterbringung für Asylsuchende, ein Ende der Abschreckungs- und Abschiebepolitik, sowie grundrechtsbasierte unbürokratische Asylverfahren. Was wirklich hilft, ist Asylsuchende wie alle anderen Menschen zu behandeln und rassistische Parallelgesetze abzuschaffen. 

Hier unsere Statements zum AfD-Geblubber. Wir verlinken die Beiträge absichtlich nicht. Ihr findet sie auf Youtube unter "Realität einer Asylunterkunft". Braucht aber auch nicht mehr Klicks als nötig.

Bestimmte Nationalitäten

In den Beiträgen werden bestimmte Nationalitäten als Problemgruppen benannt, aus denen vorrangig junge Männer kämen, die sich nicht an die Regeln halten.

Eine Darstellung, die die Herkunft von Menschen als einzige Ursache eines Problems benennt, ist rassistisch. Sie arbeitet mit Stereotypen zu diesen Ländern, die in der Gesellschaft bestehen und verstärkt diese. 

An sich wird hier ein Problem beschrieben, das man gesamtgesellschaftlich angehen muss: Das Patriarchat und was es aus Männern macht. Asylsuchende kommen häufig aus Ländern, die sowohl kulturell als auch institutionell stark patriarchal geprägt sind. Wo Frauen weniger Rechte haben als Männer, wo Homosexualität unter Strafe steht usw. Damit muss man umgehen, genauso wie wir mit patriarchalen Vorstellungen in der deutschen Gesellschaft umgehen müssen. 

In Sammellagern wird pauschalisiert anstatt sich individuell auseinanderzusetzen. Die Menschen leben dort "sortiert" nach Herkunftsland, Familienstand, ggf. Religion und Geschlecht. Im Effekt entstehen Mini-Gesellschaften, in denen die Normen und Logiken der Herkunftsgesellschaften weiterwirken. Das ist problematisch für diejenigen, die bereits dort unter den Verhältnissen gelitten haben: Frauen, LGBTIQ+, Atheist:innen, usw. 

Die Lösung ist nicht mal radikal, sondern naheliegend: Sammellager auflösen! Leute brauchen den Zugang zur Gesellschaft hier vor Ort, um sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Sie brauchen aber auch eine Gesellschaft, die bereit ist sich auseinanderzusetzen. Auch Sozialisation im Erwachsenenalter geht nur im Kontakt mit anderen Menschen.

Zimmerkontrollen

Im Video beklagt eine Mitarbeiterin der Aufnahmeeinrichtung, dass sie und ihre Kolleg:innen sich nicht mehr trauen würden die vorgeschriebenen Zimmerkontrollen durchzuführen, weil die Bewohner:innen dann Stress machen. 

Gut so! Denn diese Zimmerkontrollen sind illegal. Sie verletzen das Grundrecht der Asylsuchenden auf die Unverletzlichkeit ihrer Wohnung (also, "Wohnung"). Dass solche Zimmerkontrollen überhaupt vorgeschrieben sind, ist das, wofür sich ein SPD-Ministerium schämen sollte und auch Betreiber, die sowas unkritisch umsetzen anstatt es öffentlich anzuprangern.

Wer dazu weiterlesen will:

Vermehrte Polizeieinsätze

Im Beitrag heißt es, seit 2015 hätten Polizeieinsätze wegen Konflikten auf dem Gelände stetig zugenommen. 

Wir können nicht beurteilen, ob es tatsächlich mehr geworden sind und warum. An anderer Stelle haben wir darauf verwiesen, dass die Polizei in MV sich nicht zu schade ist, rechtspopulistische Agitation aus den Aufnahmelagern heraus zu betreiben.

Tatsache ist, dass seit 2015 die Gesetze rund um Aufnahmelager von Union und SPD immer weiter verschärft wurden. Eine Auswirkung, die wir in unzähligen Gesprächen mit Asylsuchenden in diesem Zeitraum gehört haben, ist, dass der damit einhergehende gößere Druck auf die dort lebenden Menschen zu mehr Stress, psychischen Belastungen, Aggressionen und Konflikten führt. Kaum überraschend also, dass mehr Polizeieinsätze augenscheinlich nicht zu weniger Konflikten führen. Denn auch hier heißt die eigentliche Lösung: Sammellager auflösen!

Als Nazis beschimpft werden

Im Beitrag schildert die interviewte Mitarbeiterin, wie sie und ihre Kolleg:innen bisweilen von Asylsuchenden als Nazis und Rassisten beschimpft würden.  

Wir können nicht beurteilen, wo die Mitarbeitenden politisch stehen und wie die betreffenden Leute zu ihren Einschätzungen gekommen sind. Dass sich laut dem AfD-Video bereits mehrere Mitarbeitende aus Stern Buchholz an die AfD gewandt haben, lässt vermuten, dass dort mehrere mindestens Sympathisant:innen für diese rechtspopulistische rassistische Partei arbeiten. Was in MV komplett fehlt, sind Betriebsräte, gewerkschaftliche Organisierung und Arbeitskämpfe der Mitarbeitenden in den Sammellagern, um die schlechten Arbeitsbedingungen dort zu verbessern. Das wäre dann wohl eher eine Idee für linksorientierte Mitarbeiter:innen dort.

Fest steht: Sowohl die Erstaufnahmelager in Horst als auch später in Stern-Bucholz sind Ergebnisse der rassistischen Asylpolitik der 90er Jahre, als in der Folge des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen und anderer Anschläge auf das Leben von Asylsuchenden auch das Recht auf politisches Asyl in Deutschland abgeschafft wurde. Wenn Bewohner:innen dieser Unterkünfte die Mitarbeiter:innen als Nazis beschimpfen, mag das nicht präzise sein. Es ist aber auch verständlich vor dem Hintergrund, dass die Mitarbeiter:innen für sie die Gesichter und Repräsentant:innen des rassistischen Systems sind, in dem sie festgehalten werden. Aus Gesprächen mit Bewohner:nnen verschiedener Sammellager in MV wissen wir, dass ihnen durch Mitarbeitende tatsächlich oft genug unverholener Rassismus entgegen schlägt - dass es aber auch sehr bemühte und unterstützende Mitarbeitende gibt.

Mitarbeitende wissen nicht weiter

Im Beitrag wird geschildert, dass die Mitarbeitenden mit bestimmten Situation überfordert sind, zB Drogenmissbrauch im Lager. 

Die Handlungsunfähigkeit, die beschrieben wird, offenbart zwei Probleme:

1. Lagerlogik. 
Besonders in den Aufnahmelagern entsteht eine sehr spezielle soziale Dynamik. Probleme sollen innerhalb des Lagersystems gelöst werden, weil außenrum niemand zuständig sein soll (Isolations- und Desintegrationspolitik). Anstatt also zB jemanden beim offensichtlichen Bedarf an eine Drogenberatungsstelle zu vermitteln, wo sozialpädagogisch fundiert mit der Person gearbeitet würde, sollen die Mitarbeitenden in den Lagern das Problem irgendwie anders lösen (unklar wie). 

2. Fehlende Qualifizeriung der Mitarbeitenden. 
In MV herrscht Fachkräftemangel und Personalkosten sind relevante Stellschrauben, um die Betriebskosten von Sammellagern zu drücken, daher arbeiten in den Unterkünften sehr viele Leute, die keine sozialarbeiterische Ausbildung haben. Ergo fehlen oft grundlegende Kenntnisse über das Hilfesystem, zur Beratungslandschaft, zu sozialarbeiterischen Ansätzen. Alltagswissen reicht oft nicht aus, um bei den komplexen Problemlagen zu unterstützen, die viele Asylsuchende im Gepäck haben.

Letztlich muss man sich immer wieder vor Augen führen: Die Leidtragenden davon sind diejenigen, die aus dem System nicht raus können, die Asylsuchenden. Unter ihnen vor allem diejenigen, die vulnerabel sind (zB Betroffene von Gewalt und Diskriminierung und kranke Menschen) und im System wegen Lagerlogik und fehlender Qualifizierung viel zu oft untergehen. Und auch hier die beiden Wege, die zu einer schöneren p führen werden aus unserer Sicht: 

  • Sammellager auflösen.
  • Arbeitskämpfe in den Betreiberfirmen führen. 

Politiker:innenbesuche

Im Beitrag heißt es, dass die Betreiber die Einrichtung schön herrichten bevor offizieller Besuch kommt. Straße fegen, nur ausgewählte Zimmer zeigen usw. 

Real talk: Ob nun hübsch oder eklig beim Vorführbesuch - die politisch Verantwortlichen haben kein Interesse daran, dass es in solchen Aufnahmelagern für die Bewohnenden gut auszuhalten ist. Schlechte Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden der Betreiber muss man wohl vorrangig als Kollateralschaden betrachten. Die Asylpolitik der CDU/CSU, die auf Bundes- und Landesbene von der SPD über Jahre mitgetragen wurde, ist darauf ausgerichtet, Leute mit den Zuständen und den Verfahren in den Aufnahmelagern zu zermürben und abzuschrecken. Es soll nicht auszuhalten sein! Falls rot-rot in MV daran etwas ändern will, haben sie das bisher noch nicht blicken lassen. Bisher sieht es nach einem Weiter-wie-zuvor aus. 

Fehlende Strafverfolgung

Im Beitrag wird erwähnt, dass es demnächst noch ein Video gibt. Der Ausblick lässt vermuten, dass es um Straftäter und Islamisten gehen wird. Antworten zum erwartbaren rassistischen Bullshit:

Gewalt und Übergriffe sind inakzeptabel. Islamismus ist ein riesiges globales Problem. Doch die Erzählung "Geflüchtete = Terroristen & Straftäter" ist nichts anderes als rechte Propaganda. 

Tatsachen: Der überwiegende Teil der Asylsuchenden in Mecklenburg-Vorpommern hat schlimme Erfahrungen mit Islamist:innen gesammelt. Ein großer Teil von ihnen hat die Taliban, den IS, die Al Shabaab oder Boko Haram live in action erlebt haben - und zwar in schrecklichster Art und Weise. Viele haben Angehörige und Freund:innen durch islamistischen Terror verloren. Manche von ihnen sind selbst Muslim:innen, andere strikte Gegner:innen des (politischen) Islam. Manche haben gegen den IS gekämpft, andere versucht Demokratien zu erkämpfen oder aufzubauen. Einige haben ihre Kinder vor gewaltvollen religiösen Praktiken wie Zwangsverheiratung oder Zwansgbeschneidung in Sicherheit gebracht. Keine:r von ihnen findet es gut neben Islamist:innen zu wohnen. 

Ein weiterer guter Grund alle Sammellager aufzulösen. 

Fazit

Die Videos der AfD sind eindeutig rechtspopulistische Propaganda. Es geht nicht darum, bestehende Probleme zu lösen, sondern mit den altbekannten Stereotypen gegen Asylsuchende mobil zu machen. Man hüllt sich in ein pseudo-legitimes Gewand, indem die Propaganda im Stilmittel journalistischer Recherchen verkleidet wird.
Dabei bleiben einige grundlegende Probleme auf der Strecke, die im Zentrum jeder Kritik stehen sollten:

  • Perspektiven der Betroffenen: Wie gewöhnlich kommen nicht diejenigen zu Wort, die im Asylsystem leben. 
  • Trauma und soziale Isolation: In den Aufnahmelagern herrschen Arbeitsverbote, permanente Kontrolle und eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Es gibt keine Privatspähre und die Menschen sind zum Nichtsstun verdammt. Das sind die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, um Erlebtes und Traumatisierungen zu verarbeiten - im Gegenteil: Psychische Belastungen werden dadurch verstärkt, dass Menschen isoliert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind.
Die simple Antwort auf die rassistischen Verhältnisse heißt weiterhin:

Gleiche Rechte für alle!
Und hier konkret: Sammellager schließen!