Forderungen hinsichtlich des Asylverfahrens
Für viele Asylsuchende ist das Verfahren durch lange Wartezeiten gekennzeichnet. Obwohl sich für Neuankommende in den Erstaufnahmestellen die Wartezeit bis zur Anhörung/ zum Interview stark verkürzt hat, ist die Antwort: „Sie müssen einfach warten!“ in vielen Behörden für Geflüchtete ein häufiger Grund für Frust und Ohnmacht.
Lange Wartezeiten auf eine Entscheidung über den Asylantrag,
auf die Bearbeitung von Anträgen bzw. Widersprüchen bei Behörden,
auf die Ausstellung von Aufenthaltstiteln
auf gerichtliche Klärung bei Klagen gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
auf freie Plätze in Deutsch- und Integrationskursen
An vielen Stellen ließe sich durch eine Verbesserung der Abläufe bei den Behörden Abhilfe schaffen: Mehr Personal, Umbau der internen Abläufe, Stärkung vorhergehender Beratungsstrukturen.
Die Bedeutung des Wartens – für viele, die nicht in solchen Verfahren stecken, ist sie kaum nachzuvollziehen. Das Warten lähmt. Es schafft ein Gefühl, das eigene Leben nicht gestalten zu können. Es trennt von der Gesellschaft, von der Sicherheit über den eigenen Status. Es führt zu einem Leben in Abschnitten. Es verhindert das Ankommen in einer Gesellschaft, die man mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so bald wieder verlassen wird.
Die Erstaufnahmestellen (EAS) in Mecklenburg-Vorpommern: Horst bei Boizenburg und Stern-Buchholz bei Schwerin. Zwei Lager, in denen anhaltend mehrere Hundert Menschen untergebracht sind. Einige von ihnen über mehrere Monate, teilweise bereits über ein Jahr. Insbesondere Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ (in MV allen voran aus Ghana) und im Dublin-Verfahren leiden unter den neuen Regelungen zur Unterbringung in EAS. Die Bundesregierung verlängerte jüngst im Juli 2017 die maximale Unterbringungsdauer auf bis zu zwei Jahre. Wie sich die Praxis hierzu in MV entwickelt, bleibt abzuwarten.
Klar ist: Die Zeit, die Menschen in den Erstaufnahmestellen leben müssen, sollte so kurz wie möglich sein!
Denn die Beschulung von Kindern und Jugendlichen dort ist mehr als unzureichend. Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und den Zugang zu staatlichem Schulunterricht. In den EAS gilt dies scheinbar nicht.
Behandlungsbedarfe von traumatisierten Menschen können in den EAS nur unzureichend festgestellt werden. Es fehlt schlicht an einer psychologischen Beratung und Diagnostik. In MV gibt es ohnehin zu wenige Psycholog*innen. Die Chance, in den Sprachen der Betroffenen behandeln zu können, steigt, wenn man auf dezentrale Strukturen zurückgreifen kann.
Die Feststellung von Traumata muss gemäß der EU-Richtlinie (Aufnahmerichtlinie? dann "EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU") zum besonderen Schutz von vulnerablen Gruppen zeitnah und umfassend geschehen. In den Erstaufnahmestellen sollte damit einhergehend auch eine enstprechende Verteilung auf die Kommunen bzw. Landkreise gewährleistet werden: Traumatisierte Geflüchtete müssen dorthin „umverteilt“ werden, wo die Behanldung auch sichergestellt ist. Das bedeutet entweder in größere Städte, in denen entsprechend qualifizierte Übersetzer*innen für psychologische Behandlungen gebucht werden können bzw. wo eine Behandlung in der Erstsprache möglich ist.
Der permanente Stress, den die nahezu täglich stattfindenden Abschiebungen auf Kinder, Jugendliche, Menschen mit Traumata und Unbeteiligte auslösen, ist nicht zumutbar. Die Menschen in den EAS schildern Schlafentzug, permanente Angstzustände, fehlende Sicherheit. Alle paar Tage werden sie hausflurweise von Polizist*innen in Vollmontur geweckt, weil Zimmer durchsucht oder gar der*die Mitbewohner*in mitgenommen wird. Abschiebungen aus dezentralen Unterbringungen sind keineswegs eine geeignete Lösung des Problems. Die besondere Situation in Massenunterbringungen wie den Erstaufnahmestellen darf niemanden zugemutet werden. Minimal-Forderungen zum Schutz der Menschenwürde müssen sein: Abschiebemaßnahmen dürfen nur die Räumlichkeiten betreffen, die von den Menschen, die abgeschoben werden sollen, genutzt werden; Abschiebungen müssen angekündigt werden, insbesondere wenn sie Familien, traumatisierte Menschen und andere vulnerable Gruppen betreffen; Abschiebungen dürfen nicht nachts und während der Wintermonate stattfinden.
Weitere Forderungen zu Abschiebungen siehe unten, Punkt 5.
Der Zugang zu den EAS für ehrenamtliche Unterstützer*innen muss gewährleistet sein. Der Kontakt zu gut vernetzten Unterstützer*innen sichert den Zugang zu Helferstrukturen in Städten und Kommunen nach der „Umverteilung“. Er bricht die soziale Isolation auf und erhöht das Gefühl, am neuen Wohnort anzukommen und willkommen zu sein. Eine Abschottung von der Gesellschaft vor Ort schafft zum ersten Mal das Gefühl, unerwünscht zu sein. Informelle Kontakte zu Beratungsstrukutren und Anwält*innen werden so systematisch verhindert. Deutsch- und Orientierungskurse in den EAS sind zu begrüßen, können aber die soziale Einbindung, die private Kontakte bedeuten, nicht ersetzen.
Vielen Asylsuchenden fehlt es an grundlegender Orientierung. Beratung und mehrsprachiges Informationsmaterial sind eine wichtige Basis dafür. Dies betrifft nicht nur rechtliche Informationen zum Asylverfahren, sondern auch zu allgemeinen Bedingungen zum Leben in Deutschland. Wo für den einen die intensive Vorbereitung der Anhörung wichtig ist, fragen sich andere, welche Schulart am besten für das eigene Kind geeignet ist. Besonders bestehende Beratungsstellen zu sozialen, medizinischen und anderen Fragen sollten ihr Wissen mehrsprachig aufbereiten oder sich um mehrsprachig kompetente ehrenamtliche Mitarbeiter*innen bemühen. Grundlage ist hier, Asylsuchende auf Augenhöhe als neue Mitbürger*innen anzuerkennen und ihre Beratungsbedarfe nicht ausschließlich in Migrationsberatungsstellen zu institutionalisieren.
Menschen in Duldung befinden sich in einer aufenthaltsrechtlich anhaltend unsicheren Lebenssituation. Das Ausweisdokument wird für gewöhnlich jeweils um 3 bis 6 Monate verlängert, die Zukunft danach ist meist ungewiss. Die Abschiebung droht permanent.
Mit der Duldung verbunden ist seit einiger Zeit die Kürzung von Leistungen nach §1a des Asylbewerber-Leistungs-Gesetzes für mehr und mehr Menschen. Diese Lesitungskürzung widerspricht dem Grundgesetz und sollte unverzüglich abgeschafft werden.
Ein*e Asylsuchende*r erhält eine Duldung, wenn das BAMF sein / ihr Asylverfahren negativ abgeschlossen hat. Viel zu selten beachtet werden Situationen, in denen diese Entscheidungen nicht im Verschulden der Asylsuchenden liegen: Mängel in den Asylverfahren, schlechte Übersetzungen, wenig Aufklärung über die Rechte und Anforderungen im Interview, aber auch politische Diskurse um sogenannte „sichere Herkunftsländer“ oder populistische Scheindebatten wie etwa diejenige um die Sicherheitslage in Afghanistan führen oftmals zu Ablehnungen, die nicht sein müssten. Generell alle geduldeten Menschen über einen Zaun zu brechen, wird den Lebenssituationen der Menschen nicht ansatzweise gerecht.
In Mecklenburg-Vorpommern fehlt es zudem an aktiver Beratung für langjährig Geduldete darüber, wie sie ihren Aufenthaltsstatus in sicherere Bahnen lenken können. Die „Ausländer“-Behörden müssen hier ihrer Beratungspflicht nachkommen, Migrationsberatungsstellen entsprechend geschult sein. Gerade durch die aussichtslose und frustrierende Lage in einer langjährigen Duldung fehlt es häufig an Perspektiven. Die Arbeitserlaubnis durch die Ausländerbehörden beschränkt sich häufig auf schlecht bezahlte, wenig qualifizierte Ein-Euro-Jobs ( 30 Stunden in der Woche für 0,80 € pro Arbeitsstunde).
Forderungen mit Blick auf Abschiebungen
Die aktuellen Debatten um Abschiebungen sind hochgradig geprägt von politischem Populismus und der Idee durch eine regressive und repressive Migrationspolitik Wähler*innen am rechten Rand zu angeln. Dies ist hochgradig fahrlässig und ein Spiel mit Menschenleben, das gesamtgesellschaftlich sicher nicht zu einem größeren Demokratieverständnis führen wird. Folgende Grundsätze müssen bei Debatten um Abschiebungen gelten:
Keine Abschiebungen in unsichere Länder! Definitionen „frei Schnauze“ werden demokratischen Grundanforderungen nicht gerecht. Die bisher geltenden „sicheren“ Herkunftsländer sind empirisch nicht valide begründet. Es handelt sich um politische Label, um damit Menschen aus bestimmten Herkunftsländern abzuschrecken, Asylanträge zu stellen bzw. die Anträge aus bestimmten Ländern schneller vom Tisch zu fegen.
Abschiebungen bedeuten Zwang und Gewalt und wirken als solche in vielen Fällen traumatisch. Sie reißen Menschen aus ihrem Leben - ohne Ankündigung, nachts - teilweise werden Familien dabei getrennt. Sie zerstören neu entstandende Freundschaften. Arbeitsverhältnisse, Praktika, Schulbesuche werden ganz plötzlich gewaltsam beendet - ohne dass die Betroffenen gefragt werden oder etwas daran ändern können. Sie führen bei traumatisierten Menschen regelmäßig zu Retraumatisierungen. Sie bedeuten, an Orten wieder neu anfangen zu müssen, die man aus guten Gründen verlassen hat – mit allen realen Risiken und allen sozialen Vorbehalten, denen Menschen ausgesetzt sind, wenn sie es in Europa nicht geschafft haben. Abschiebungen sind grundsätzlich das letzte Mittel. Woran es in Deutschland fehlt, sind sinnvolle Perspektiven, einen Aufenthaltsstatus abseits des Asylverfahrens zu erreichen, nachdem man den langen und gefährlichen Weg auf sich genommen hat. Wer sich aus Angst vor einer gewaltsamen Abschiebung zur eigenständigen Ausreise entscheidet, wird als "freiwillig ausgereist" erfasst. Diese Ausreisen sind jedoch alles andere als freiwillig! Sie sind ein Produkt der Anspannung und der Furcht, die eine drohende Abschiebung erzeugt. Auch hier bedarf es einer umfassenden Beratung, die sicherstellt, dass die betroffenen Menschen sich ihrer Rechte und Möglichkeiten bewusst sind, bevor sie eine derart gewichtige Entscheidung treffen. Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter Abschiebungen und Abschiebedruck.
Insbesondere die Bedingungen für Kinder und Jugendliche sollten hier verbessert werden. Je jünger sie während der Flucht sind, desto gewichtiger sind mehrere Jahre, fern des Herkunftslandes ohne die entsprechende Sprachanwendung, einzuschätzen. Die „Ausländer“-Behörden in Mecklenburg-Vorpommern sollten bei Anträgen auf Aufenthaltstitel ihren Ermessensspielraum im Sinne der Jugendlichen nutzen und auch dahingehend beraten.
Allgemein muss den Debatten um Abschiebungen ein tieferes Verständnis für die Situation in den Herkunftsländern vorausgehen. Wer Menschen in Länder zurückschickt, in denen Krieg oder absolute Armut weit verbreitet sind, muss sich der individuellen Konsequenzen bewusst sein. Wer dies tut, um damit Wahlkampf zu betreiben, muss sich mit demokratischen Werten und humanistischen Grundannahmen beschäftigen.
Kirchen-Asyl ist eine alte Tradition. Die Kirche behält es sich vor, in Fällen, in denen sie eine humanitäre Notlage sieht, Menschen der Zugriffsgewalt des Staates zu entziehen. Dieser toleriert das. Es gibt kein Gesetz hierüber, lediglich eine Vereinbarung zwischen Kirchen und BAMF, die Abläufe und Bedingungen festhält. Und das ist gut so: Denn damit werden jedes Jahr in Mecklenburg-Vorpommern dutzende Menschen vor einem Leben unter unwürdigen Bedingungen gerettet. Das Kirchenasyl findet meistens Anwendung in sogenannten Dublin-Fällen.
Wo Länder im Süden Europas entweder durch den offenen Unwillen der Regierungen (z.B. Ungarn, Bulgarien) zur Aufnahme von Flüchtlingen auffallen, andere Asylsysteme schlichtweg überlastet sind (z.B. Italien, Griechenland) oder im Norden Europas durch restriktive Gesetzgebungen die Würde der Menschen angegriffen wird, da ist das Kirchenasyl für viele der letzte Ausweg. Die Kirchen überprüfen die individuellen humanitären Gründe der Asylsuchenden und diskutieren diese mit dem BAMF. Das BAMF stimmt in jedem Einzelfall zu oder nicht.
Nicht nur die AfD, auch namhafte Politker der CDU – so seien genannt Herr de Maizere und Herr Caffier – machen wiederholt Stimmung gegen das Kirchenasyl.
Sie wettern hier gegen eine humanitäre Notbremse – eine Farce für diejenigen, die sich als Retter*innen des christlich-jüdischen Abendlandes bzw. als Christ-Demokrat*innen inszenieren.
Forderungen hinsichtlich Grundbedürfnissen
Sozialleistungen müssen ein menschenwürdiges Leben sichern. Und wie der Paritätische Wohlfahrtsverband anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe des Asylbewerber-Leistungs-Satzes 2012 anmerkte: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Leider haben verschiedene Gesetzesverschärfungen in den vergangenen Jahren dieses grundlegende Recht weiter und weiter beschnitten. Die Kernpunkte, die sich ändern müssen, sind die Folgenden:
Leistungskürzungen auf das sogenannte „physische Existenz-Minimum“ müssen wieder abgeschafft werden. Rechtlich ist es derzeit zwar möglich, Menschen das Einkommen auf den Bedarf für Nahrung und Gesundheitspflege zu kürzen (sprich: 150,92€ monatlich) – gemessen an den Grund- und Menschenrechten - aber nicht vertretbar. Die Sozialämter in Mecklenburg-Vorpommern müssen ihren Ermessensspielraum hier soweit als möglich im Sinne der Asylsuchenden und der Wahrung ihrer Menschenwürde nutzen. Insbesondere bei Kindern darf in keinem Fall eine entsprechende Kürzung der Leistungen erfolgen.
Umfassende Infos für die Beratung und Begleitung in diesem Themenfeld hat die GGUA zusammengestellt und auch Kürzungsgründe übersichtlich aufgelistet.
Der Zugang zu sogenannten Analog-Leistungen ab dem 16. Monat des Aufenthalts in Deutschland muss nahtlos umgesetzt werden. Er darf speziell Kindern und Jugendlichen auf gar keinen Fall verwehrt werden.
Die Bewilligung von Analog-Leistungen bedeutet, dass die Höhe der Leistungen dem Regelbedarf von Hartz-IV-Empfänger*innen angeglichen wird. Da Asylsuchende vor diesem Zeitraum in Mecklenburg-Vorpommern keinen Zugang zu Krankenkassen erhalten, ist die Regelung besonders aus medizinischer Sicht äußerst sensibel. Doch noch viel grundlegender gewährleistet dieser Paragraf die finanzielle Gleichstellung – ein verfassungsmäßiger Grundsatz. Wo „Ausländer“-Behörden dies mit der Beschaffung von Passpapieren verknüpfen und unzumutbarerweise von Menschen im Asylverfahren verlangen, ihre Heimat-Botschaft aufzusuchen, muss sich die Praxis unverzüglich ändern.
Der Zugang zu medizinischer Grundversorgung muss flächendeckend gewährleistet werden. Die einfachste Variante wäre die lange ausstehende Einführung einer Krankenkassenkarte für Menschen im Asylverfahren. Untersuchungen könnten dann in Anspruch genommen werden, wenn Menschen sich krank fühlen – nicht wenn Sozialamts-Mitarbeiter*innen es für nötig erachten. Solange dies nicht grundsätzlich geregelt ist, gilt es vorbeugend Behandlungen zu genehmigen – nicht erst, wenn Krankheitsbilder sich verfestigt und verschlimmert haben.
Unterstützungsinitiativen können hier beim Kontakt mit Ämtern und Behörden durch das Verfassen von Widersprüche und Begleiten von Verfahren beim Sozialgericht helfen.
Dies gilt insbesondere auch für die Erstaufnahmestellen, wo Menschen häufig nach langen und gefährlichen Fluchtwegen erstmals in medizinische Behandlung gelangen. Diese Behandlung muss umfassend sein. Ärzt*innen sollten hier eine Dokumentation von asylverfahrensrelevanten Verletzungen und Erkrankungen vornehmen. Hierzu bedarf es Aufklärung und Schulungen beim medizinischen Personal, aber auch bei den betroffenen Asylsuchenden.
Insbesondere Menschen mit Traumata müssen entsprechend der EU-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU frühzeitig für das Krankheitsbild sensibilisiert werden. Eine Behandlung, die den individuellen Bedarfen der Asylsuchenden gerecht wird, ist ebenso unabdingbar wie die Aufklärung der betroffenen Personen über die Bedeutung der Erkrankung im Asylverfahren. Es bedarf geschulter Übersetzer*innen sowie einer entsprechenden Schulung von Anhörer*innen und Behörden-Mitarbeiter*innen.
Aufklärung und Beratung zu Pflegestufen und die Beantragung von (Schwer-)Behindertenausweisen muss durch Sozialpädagog*innen und Behördenmitarbeiter*innen verlässlich durchgeführt werden.
Sozialpolitische Forderungen
An dieser Stelle können nicht sämtliche sozialpolitischen Bedarfe umfassend dargestellt werden. Allgemein bleibt festzuhalten, dass eine Reihe sozialpolitischer Verfehlungen der vergangenen Jahre Asylsuchende ebenso betrifft wie langeingesessene Mecklenburg-Vorpommer*innen. Beispielsweise eingeschränkte Mobilität durch fehlende Verbindungen des Öffentlichen Nahverkehrs, fehlende Kindergarten-Plätze oder auch fehlende Beratungs-Strukturen im ländlichen Raum. Für viele Asylsuchende sind die Hürden ein Stück weit schwerer zu überwinden, da es häufig noch mehr an Mobilität (Autos) bzw. an Zugang zu nachbarschaftlichen Unterstützungs-Netzwerken mangelt.
Nachdem vor 2015 in vielen Landkreisen zunehmend Asylsuchende „dezentral“ untergebracht wurden, gab es seit 2015 wieder einen Rückschritt zur Unterbringung in Sammeleinrichtungen, um Geld zu sparen. Das Leben in Sammelunterkünften ist eine besondere Herausforderung: Kaum Ruhe, kaum private Rückzugsmöglichkeiten, eingeschränkte Selbstbestimmung.
Allgemein muss gelten:
Unterbringung in Wohnungen ist der Unterbringung in Sammeleinrichtungen vorzuziehen. Sammelunterkünfte befördern rassistische Ressentiments, erhalten die gesellschaftliche Ausgrenzung und bedeuten eine unnötige psychische Belastung für Asylsuchende.
Insbesondere der Belastung durch Unterbringung in Sammeleinrichtungen für Familien, Kinder, Jugendliche sowie vulnerable Gruppen wie traumatisierte Menschen, Frauen, religiöse Minderheiten oder homosexuelle bzw. Trans- und Inter*-Asylsuchende muss durch geeignete und empowernde Unterbringungskonzepte begegnet werden. Die Landkreise und Städte sollten diese finanzieren.
Die Bedarfe hinsichtlich von Gewaltschutz-Konzepten werden derzeit in drei Stellen auf Landesebene bzw. in Rostock und Region erprobt. Dies ist löblich, aber keineswegs ausreichend. Geflüchtete Frauen und andere potentiell vermehrt von Gewalt betroffene gruppen müssen in die Prozesse zur Findung von Schutz-Konzepten einbezogen werden.Das gilt vor allem für Kinder und Jugendliche. Im Kontext von Gewalt in den Sammelunterkünften wären Kinder und Jugendliche sofort zu entfernen und woanders unterzubringen.
Für anerkannte Asylsuchende muss auf Bundesebene die diskriminierende Wohnsitzauflage wieder abgeschafft werden. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für jede*n – alles andere ist rassistische Diskriminierung. Die „Ausländer“-Behörden in MV sollten ihren Ermessenspielraum im Sinne der Geflüchteten nutzen. Beratungen sollten dahingehend stattfinden.
Neben der allgemein ausstehenden verbesserung der Versorgungslage für Kitas und Kindergärten, sollte die Schließung von Schulen und betreuungs-Einrichtungen keinesfalls weiter voranschreiten.
Geflüchtete Eltern brauchen eine bessere Aufklärung über die Bildungsmöglichkeiten, die sich an die Wahl einer Schulart anschließen. Die Infrastruktur für DaZ(Deutsch als Zweitsprache)-Klassen muss ausgebaut werden. Dafür muss nicht nur das Lehrpersonal qualifiziert und ausgebildet sein, sondern der Unterricht mindestens im selben Stundenumfang des Vorjahres (10 Stunden wöchentlich pro Kind) erteilt werden.Für Jugendliche muss auch nach dem 16. Lebensjahr und nach Ende der Vollzeitschulpflicht der Zugang zu Regelschulen sowie berufsvorbereitenden Bildungsgängen nach Vollendung des 18. Lebensjahres unterstützt werden. Eltern müssen unbedingt darüber aufgeklärt werden, was esd bedeutet, wenn ihre Kinder vermehrt übersetzen müssen. Es ist mit Kindsmißbrauch zu vergleichen, wenn Behörden, Beratungsstellken oder gar medizinische Institutionen auf Übersetzungen durch Kinder und Minderjährige zurückgreifen. Dringend ist ein ausreichendes und leicht zugängliches Sprachvermittlersystem aufzubauen. Dafür sollte Land und Kommunen Geld in die Hand neehmen. Solche Investitionen zahlen sich langfristig aus. Dolmetscher und Sprachvermittler sollten ein Recht auf Fortbildung und Superevision haben
Die Anerkennung von Abschlüssen im pädagogischen Bereich aus anderen Ländern ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um auch geflüchteten Kindern Bezugspersonen aus der eigenen Erfahrungswelt zur Seite zu stellen.
Deutsch-Kurse sind eine wichtige Grundvoraussetzung, um sich in der deutschen Gesellschaft orientieren und verständigen zu können. Sie sollten unabhängig von Herkunftsland oder angenommener „Bleibe-Perspektive“ bereits während des Asylverfahrens zugänglich sein und professionell durchgeführt werden.
Die Rahmenbedingungen zur Zulassung von Lehrer*innen sollten dem Bedarf angepasst werden. Insbesondere im ländlichen Raum sollte man eine parallele Qualifizierung der Nichtbesetzung von Stellen vorziehen.
Kommunale Dolmetscherppols sollten vom Land gefördert werden. Das schließt Fortbildungsmassnahmen und Supertvision mit ein, sowie eine geregelte Bezahlung.
Ausbildungsplätze schaffen Bleibeperspektiven und füllen den Arbeitnehmer*innen-Bedarf in Mecklenburg-Vorpommern. Um beides zu ermöglichen, bedarf es folgender Rahmenbedingungen:
Bundesweit muss die rechtliche Position der Auszubildenden im Asylverfahren oder in Duldung verbessert werden. Die Ausbildungsduldung muss dafür durch einen gesicherten Aufenthaltstitel ersetzt werden.
Informationen über Zugangsvoraussetzungen zu Ausbildungsberufen sollten transparent und mehrsprachig verfügbar sein. Selbiges gilt für Schul- und Universitätsabschlüsse.
„Ausländer“-Behörden sollten nicht die Arbeitserlaubnisse für Ausbildungen verweigern, um Bleibeperspektiven willentlich zu verhindern. Es bedarf klarer rechtlicher Regelungen bzw. einer landesweiten Weisung, die den Zugang zur Ausbildungsduldung sicherstellt. Die Ausbildungsduldung muss einen rechtlichen Vorrang vor der Mitwirkung im Asylverfahren haben.
Während der Ausbildung muss der Zugang zu Ausbildungsbeihilfe und Wohngeld ermöglicht und vereinfacht werden. Prekäre Lebensverhältnisse in Verbindung mit einem unsicheren Aufenthaltstitel tragen nicht zum Ankommen in der Gesellschaft bei. Sie befördern absurderweise Isolation und schreiben Menschen in sozial prekären Verhältnissen fest.
Während der Ausbilung sollten Sozialämter den Auszug aus den Sammeleinrichtungen erlauben und die Kommunen eine dezentrale Unterbringung ermöglichen.
Gesellschaftspolitische Forderungen
Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht. Einstmals als Grundrecht angelegt, hat sich dieses hohe Gut bereits in Richtung eines Verwaltungsaktes entwickelt, der mit mehr oder minder politischem Verstand umgesetzt wird. Die Gesetzgebung der vergangenen Jahre weitete eine Beurteilung von „Bleibe-Perspektiven“ anhand vorgefertigter Kategorien immer weiter aus. Wie absurd das ist, zeigt bereits die Logik hinter der Kategorien-Bildung: Diese beziehen sich immer auf die nationale Herkunft der Menschen. Sie verwenden lediglich Statistiken zur Anerkennungsquote pro Herkunftsland. Dass innerhalb einiger Länder die Anerkennungsquoten entlang anderer sozialer Merkmale – beispielsweise Geschlecht, Sexualität, politischer Einstellung, u.a. - aber ganz anders verteilt sind, findet keine Berücksichtigung. Dennoch ergeben sich andere Chancen während des Asylverfahrens und auch in der Bearbeitung der Asylanträge. Fair? Wohl kaum.
Gleichzeitig wird die Gesetzgebung nicht mehr am Maßstab humanitärer Standards gemessen, sondern als migrationspolitisches Instrument verstanden: So änderte sich die Entscheidungs-Praxis des BAMF für Syrer*innen just in dem Moment, als politisch die Frage nach den „massenhaften“ Familiennachzügen diskutiert wurde – kurz nachdem ein neues Gesetz diesen für Menschen mit Subsidiärem Schutz aussetzte – und das wiederum kurz nachdem ein Urteil des EUGH deutlich gemacht hatte, dass dieser Familiennachzug im Gesetz verankert sein muss.
Der Schutz von Menschen, die ihr Herkunftsland verlassen und den Weg nach Europa auf sich nehmen, darf nicht zum politischen Theaterstück verkommen. Wir müssen uns täglich ins Bewusstsein rufen, dass es um das Leben und die Zukunft von Menschen geht.
Rassismus bedeutet die Unterscheidung zwischen Menschen und deren Auf- bzw. Abwertung, die durch Menschen umgesetzt wird, die dazu die Macht haben. Schließlich bedeutet Rassismus immer auch Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Es gibt den alltäglichen Rassismus – die Blicke auf der Straße, Angriffe und gesellschaftlichen Ausschluss. Es gibt Rassismus in Institutionen, Behörden(z.B. rassistische Vorurteile bei der Vergabe von Wohnungen oder beim Ausüben von Ermessen bei der Zuerkennung von Leistungen nach dem SGB) und in Gesetzen (z.B. das Asylbewerber-Leistungs-Gesetz).
Alle diese Formen von Rassismus sind in den vergangenen Jahren angewachsen. Insbesondere im ehemaligen Ostdeutschland, wo die migrantische Community nicht so groß ist, dass sie selbst hierauf immer und überall reagieren kann, bedarf es unbedingt einer solidarischen Zivilgesellschaft. Es gilt, ein kritisches Bewusstsein für Rassismus und Diskriminierung zu schaffen. Es gilt, Menschen mit einer Migrationsgeschichte in ausführende Positionen zu bringen, um eine antirassistische Gesellschaft nicht einseitig zu gestalten.
Seit 2015 ist die Anzahl an Unterstützungsinitiativen im Bundesland stark angewachsen. Diese Unterstützung muss verstetigt und gut vernetzt werden.
Gleichzeitig gilt es, unter den Asylsuchenden ein Bewusstsein für Solidarität über nationale Grenzen hinweg zu schaffen und anzuregen, sich im Sinne einer Basis-Bewegung breit zu vernetzen.