Redebeitrag: Solidarität statt Abschiebe-Irrsinn

Am 1. Mai demonstrierten Menschen gegen den NPD-Aufmarsch in Wismar - am 4. Mai für ein solidarisches Europa in Rostock - am 8. Mai gegen die faschistische Geschichtsverdreherei in Demmin - am 11. Mai gegen den Abschiebeknast in Glückstadt. Zu all diesen Gelegenheiten sprach PRO BLEIBERECHT darüber, was der aktuelle Abschiebe-Irrsinn mit Rassismus und Entdemokratisierung zu tun hat. Den Redebeitrag könnt ihr hier nachlesen.

Solidarität statt Abschiebe-Irrsinn!

Unter diesem Motto wollen wir heute ein paar Worte zum Abschiebeknast in Glückstadt sagen, den MV derzeit in Schleswig-Holstein unterstützt und in dem ab 2020 auch Geflüchtete aus MV -neben Geflüchteten aus HH und Schleswig-Holstein- inhaftiert werden sollen.

Schön, dass ihr alle hier seid und euch anhört, was gesagt werden muss: 
In Glückstadt darf es keinen Abschiebeknast geben! Weil es auch sonst nirgends Abschiebeknäste geben darf! 
Und auch nicht die anderen menschenverachtenden Gesetzesverschärfungen, die das Bundesinnenministerium derzeit unter dem Namen "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" plant! 

Ich spreche hier für PRO BLEIBERECHT - eine antirassistische Initiative aus Mecklenburg-Vorpommern. Unser Anliegen ist es, in MV einen kritischen Diskurs zu den wiederholten Asylrechts-Verschärfungen sichtbar und hörbar zu machen.

Abschiebehaft ist nichts Neues. Die Populist*innen von heute greifen mit ihren Forderungen auf eine Idee zurück, die bereits 1919 in Gesetzesform gegossen wurde und seitdem immer wieder angewandt wird. Sie betraf damals größtenteils Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa, die während des ersten Weltkriegs in Deutschland Arbeitseinsätze leisten mussten. Viele von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Sie sollten nach dem Krieg Deutschland schnell wieder verlassen. Die ersten Abschiebeknäste hatten ganz klar eine antisemitische und völkische Funktion. Eines der ersten Abschiebelager mit fast 3000 Plätzen befand sich damals in der Nähe von Stettin im damaligen Preußen. 

Abschiebehaft zu verhindern muss auch deshalb Teil antifaschistischer Forderungen sein. Abschiebehaft widerspricht der Freiheit und der Würde von Menschen. Der Blick in die Geschichte zeigt uns, dass allzu leicht Gründe gefunden sind, um Menschen wegen rassistischer Zuschreibungen ihre Rechte zu nehmen.

Wir beobachten dies auch jetzt. Das Bundesinnenministerium plant in einem neuen Gesetzesentwurf, Geflüchtete und schutzsuchende effektiver und vermehrt abzuschieben. Um das zu erreichen, sollen Geflüchtete neben Abschiebeknästen auch in normalen Haftanstalten untergebracht werden - obwohl es vom europäischen Gerichtshof ein Urteil gibt, das das klar verbietet.

Bis 2014 wurden Leute, die aus MV abgeschoben werden sollten, in der Justizvollzugsanstalt Bützow untergebracht. Bützow liegt in der Nähe von Rostock und ist neben der JVA nur noch bekannt für die ansässigen Nazistrukturen. 

Die Zustände im Knast waren höchst fraglich: Zellen mit Doppelstockbett, Tisch, Stühle, Spind und Waschbecken. Eine Toilette in der Zelle, die nicht abgetrennt war. Der Abschiebungshafttrakt war ein Flur innerhalb der JVA und nur durch Bretter oben und unten vom restlichen Vollzug abgeschirmt. Duschmöglichkeiten gab es lediglich an zwei Tagen pro Woche. 

Die Abschiebehaft in Bützow wurde 2014 beendet. Anlass war das genannte  Urteil des Europäischen Gerichtshofs. MV nutzte danach Plätze in Eisenhüttenstadt und anderen Bundesländern mit. Mit Seehofers Gesetzesirrsinn und Caffiers Zustimmung sieht es so aus, als könnten bald wieder Geflüchtete in Bützow untergebracht werden.

Anstatt sich damals 2014 zu überlegen, ob Abschiebehaft überhaupt eine angemessene Maßnahme ist, begann man überall im Land neue Knäste zu bauen – Abschiebeknäste eben, in denen ausschließlich Ausreisepflichtige untergebracht sind. Gewürzt mit bitterer Ironie a la „Wohnen minus Freiheit“ wird das nun politisch als fortschrittliches Projekt verkauft. 

In Glückstadt soll deswegen ein Abschiebeknast errichtet werden, durch den jedes Jahr 700 Geflüchtete abgeschoben werden! Davon ca. 250 aus MV. Das wäre die Hälfte aller Asylsuchenden, die 2018 aus MV abgeschoben wurden. 

Der AfD kommt das sehr gelegen. In einer kleinen Anfrage vom August 2018 fragt Nikolaus Kramer, der für die AfD im Landtag MV sitzt, warum die Landesregierung 20 Plätze im geplanten Abschiebeknast Glückstadt für ausreichend hält. Matthias Manthei von der Fraktion "Freie Wähler/BMV" - eine Abspaltung der AfD und nicht minder rechts - fragt in einer kleinen Anfrage im März 2019 (Drucksache 7/3273 (20.03.2019)) wie weit die "Realisierung der gemeinsamen Abschiebungshaftanstalt mit Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeschritten" ist. Caffier, Innenminister von MV und als Law & Order-Fetischist bekannt, antwortet ihm im Namen der Landesregierung, dass zwischen den drei Bundesländern eine Vereinbarung ausgehandelt wird, die die "Kosten von Herrichtung und Betrieb" des Knastes regelt und dass diese Vereinbarung "so zeitnah wie möglich ausgehandelt und zum Abschluss gebracht werden soll". 

Sie können es also gar nicht erwarten, den Knast in Betrieb zu nehmen. Widerlich, dass hierbei durch die Bundesländer anscheinend mehr über Finanzen gestritten wird, als darüber, ob Menschen überhaupt derart in ihrer Bewegungsfreiheit beschnitten werden dürfen und was das eigentlich noch mit Menschenrechten und -würde zu tun hat! Was also 1919 begann - dass plötzlich unerwünscht gewordene Migrant*innen vor ihrer Abschiebung auch noch in Knäste gesteckt wurden - wird heute in MV durch CDU und SPD fortgesetzt. Der AfD und anderen Rassist*innen gefällts.

Wir sagen: Das ist Irsinn! Das ist Unrecht! Flucht ist kein Verbrechen! Schutzsuchende brauchen Schutz und keine Gefangenschaft! Erst Recht in Deutschland mit seiner Geschichte. Auch wenn Gauland die Nazizeit 10 Mal als "Fliegenschiss" relativiert - oder gerade deswegen.

Außerdem: Abschiebehaft schürt Vorurteile und trägt im öffentlichen Diskurs zur Stigmatisierung von Geflüchteten und Migrant*innen als vermeintlich „Kriminelle“ bei. Ihr „Verbrechen“:  Migration. Das Streben nach einem Leben in Würde und Freiheit. 

Wir widersprechen jeder Schönrederei und werden die Einrichtung weiterhin als genau das bezeichnen, was sie ist: Ein Abschiebeknast! Und Abschiebeknäste darf es nicht geben!
Wie immer: Vielen Dank an Bildwerk Rostock fürs Titelbild! Das Bild stammt von der Demo gegen den Abschiebeknast am 8. Dezember in Kiel.