Verhandlung des Zutrittsrechts – Verhandlung der Wirklichkeit

Pro Bleiberecht ist keine juristische Initative. Wir sind Aktivist*innen, entsprechend beurteilen wir die Verhandlung zur Klage auf Zutrittsrecht zur Erstaufnahmeeintichtung in Horst des Hamburger Flüchtlingsrats am 12. April. Es geht um den tatsächlichen Zugang zu Rechten - nicht um das, was auf dem Papier steht. Wir möchten deshalb im Folgenden noch ein paar Dinge zu dem, wie die Beratung in Horst tatsächlich aussieht, sagen.

Die Verhandlung selbst war gut besucht: Bewohner von Horst, solidarische Unterstützer*innen aus Rostock und Hamburg, Schweriner Vereine, und das Innenministerium durch das Landesamt für innere Verwaltung waren auf den Zuschauer*innen-Plätzen vertreten. Wir werten dies als breites Interesse daran, Erstaufnahmelager nicht als vergessene und abgeschottete Orte im Wald zu gestalten.

Auf dem Papier: Sieht es rosig aus?

Auffallend bei der Darstellung seitens Behörden sind zwei Punkte: 
1. Zugang auf dem Papier: 
Das Innenministerium macht es sich sehr leicht. Da ist die Welt ganz leicht erklärt*: Es gibt Beratung in einem Container - der Container steht formell betrachtet im vorgelagerten Wohnbereich - also Wohnbereich - also Einrichtungsgelände - also EU-Aufnahmerichtlinie erfüllt. 
2. Unkenntnis der Situation: 
Die Entscheidung darüber, ob die leute nun tatsächlich Zugang haben, fällt von der Beschreibung auf dem Papier weg. Das hat aber einen Haken: Soziale Gefüge halten sich nicht an Konzepte und Intentionen. 

Die Realität sieht anders aus.

Soziale Gefüge sind vielschichtig, komplex und können oft nur in ihren Auswirkungen beschrieben werden. Deswegen ist für die Bewertung der Frage "Hat jede*r Bewohner*in von Horst die Chance auf unabhängige Beratung?" nicht so wichtig wie es sein sollte, sondern wie es ist.

Streitpunkt: Der Ort

Wer die Hürden verstehen will, muss den Ort begreifen. Daher zur Erklärung: Beratung findet hinter den Einlass/Auslass-Kontrollen im "vorgelagerten Wohnbereich" statt. Um den vorgelagerten Wohnbereich zu verstehen, muss man wissen, wozu er genutzt wird: Wir haben Menschen getroffen, die dort drei Tage (Freitag Nachmittag bis Montag Früh) untergebracht waren ohne die Duschen hinter der Einlasskontrolle nutzen zu dürfen. Wir haben Menschen getroffen, die dort untergebracht waren, nachdem sie bei einem Abschiebetermin nicht mitgespielt haben - Strafverlegung vor die Tür sozusagen. Wir haben Menschen getroffen, die dort untergebracht waren, nachdem sie sich in Sternbuchholz daneben benommen haben - Strafverlegung die Zweite**. All das macht den Bereich zu keinem beliebten Ort. Genau an diesen Ort muss man aber gehen, wenn man Beratung will.

Streitpunkt: Unabhängige Beratung

Grundsätzlich wurde in der Verhandlung deutlich, dass ein Verständnis dafür fehlt, was unabhängige Beratung überhaupt ist und leistet. Im Kontext von Asylverfahren geht es häufig um Asylverfahrensberatung.
"Durch  individuelle  und  unabhängige  Asylverfahrensberatung sollte erreicht werden, dass Asylsuchende die einzelnen Verfahrensschritte und deren Bedeutung besser verstehen und dadurch das Behördenverfahren eher als fair wahrnehmen. Individuelle Beratung sollte den Asylsuchenden auch zu einer höheren Handlungsfähigkeit bezüglich der Wahrnehmung ihrer Pflichten und Rechte im Verfahren und auch zu einem effektiven Rechtsschutz verhelfen.", so steht es im Bericht von BAMF (!) und UNHCR.

Das umfangreiche Pilotprojekt zur Evaluation des Bedarfs in Aufnahmeeinrichtungen hat politisch leider nicht viel Beachtung gefunden und wurde vom Heimatministerium auf eine Beratung durch die ausführende Behörde, das BAMF, reduziert.

In Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es aber auch andere Themen, die immer wieder auftauchen: Kürzungen von Sozialleistungen, Arbeitsmaßnahmen, und in Horst vor allem: Medizinische Behandlungsbedarfe.

Die
unabhängige Beratung ist deshalb wichtig, weil eine Beratung seitens des Akteurs, vor dem man seine Rechte durchsetzen will, natürlich immer einen gewissen Beigeschmack hat. Unabhängig ist eine Beratung zu Asylverfahren und Sozialleistungsanspruch also dann, wenn sie frei vom Einfluss staatlicher Institutionen ist.

Die eigenen Rechte kennenzulernen und abzuwägen, wie man vorgeht, möchte man meist erstmal anonym tun. Und genau das ist nicht möglich in Horst. Denn wer das Kerngelände verlässt und den Beratungscontainer aufsucht, ist in Anwesenheitslisten nachvollziehbar und faktisch einsehbar.

Streitpunkt: Tatsächlicher Zugang

Bevor sich die beiden erstgenannten Fragen überhaupt stellen, muss ein*e Ratsuchende*r von der Beratung wissen. Um ein Angebot in einer Einrichutng bekannt zu machen, gäbe es ein einfaches Mittel: Flyer verteilen, dort wo die Bewohner*innen sind. Also z.B. im Speisesaal oder in den Wohnhäusern. Das ist aber verboten, denn Zutritt zur Einrichtung erhalten Berater*innen nur, wenn sie einen bestimmten Namen nennen und das Zimmer, das sie aufsuchen wollen. Um Namen zu kennen, muss man eine Person logischerweise aber bereits kennen.

Was dadurch passiert, ist
, dass die Info zum Beratungsangebot stets nur per "Schneeballprinzip" verbreitet werden kann. Man spricht eine Person vor dem Gelände an, die sagt ihren Freund*innen Bescheid. Der Zugang zur Beratung ist entsprechend extrem verzerrt und nicht für alle gegeben. Denn ansprechen kann man nur diejenigen, deren Sprache man spricht. Vertrauen durch ein persönliches Gespräch aufbauen auch nicht, wenn man lediglich Flyer übergibt. Und draußen halten sich eben auch nicht alle Asylsuchenden zu gleichen Teilen auf. Oft gerade die nicht, die Beratung gut gebrauchen können: Kranke Menschen, ältere Menschen, Alleinerziehende usw. - also diejenigen, die weniger mobil sind (kurz gefasst laut EU-Aufnahmerichtlinie als "besonders schutzbedürftige Personengruppen" gelten).

Das Urteil zur Verhandlung wird voraussichtlich in etwa drei Wochen gesprochen. Wichtig wäre die Feststellung, dass in Horst eben nicht alle Asylsuchenden Zugang zu unabhängiger Beratung haben. Denn dieser Zugang wird durch den Aufbau des Geländes und die ständige Überwachung der Ein- und Ausgänge stark eingeschränkt. Wichtig wäre auch festzuhalten, dass die unabhängigen Beratungsorganisationen keinen tatsächlichen Zugang zu Horst haben - denn in dem abgelegenen Container erreichen sie lediglich einen kleinen Anteil der Asylsuchenden in viel zu wenig Zeit.

Und wichtig wäre es auch, dass das Innenministerium aus seinen Schreibtisch-Bewertungen der Zustände in Horst herauskommt und etwas scheinbar sehr Abwegiges beginnt: Asylsuchende fragen, was geändert werden muss. 
* Verkürzte Wiedergabe, Stilmittel.
** Ob die Verlegung angebracht war oder nicht, können und wollen wir an dieser Stelle nicht beurteilen.

Pressespiegel zur Verhandlung