Die Mahnwache am vergangenen Sonntag brachte zwei Dinge zum Ausdruck: Horst ist Tristesse. Die Menschen berichten von Depression, Lagerkoller und Suizidgedanken.
Gleichzeitig ist es ein Ort des Durchhaltens. Viele Menschen, die wir trafen, sitzen dort seit Monaten fest und forderten auf der Mahnwache ihre Rechte: „Stop killing me“ (Hört auf mich umzubringen), „Transfer für alle!“ (Umverteilung!) und „Ich will advanced Deutschkurs!“ (Deutschkurs für Fortgeschrittene) zeigen, dass die Menschen ihr Leben führen wollen – statt zum Warten verdammt zu werden.
„Ich habe meine Familie seit Jahren nicht gesehen. Ich bin aus politischen Gründen aus meinem Land geflohen. Dort wurde ich mehrere Monate gefoltert. Ich habe eine Ablehnung in [anderes EU-Land] bekommen, nun bin ich hier. Ich habe Depressionen. Sie haben mich einmal zu einem Gespräch geschickt*, aber das hilft nicht. Ich brauche eine Therapie. Mein Problem muss behandelt werden. Ich will gesund sein.“[Übersetzung aus dem Englischen]
Horst ist geprägt von einem ganz speziellen Blick auf Asylsuchende. Man gibt. Und zwar wenig und vor allem nichts Individuelles. Man gibt Kleidung, ein bisschen Deutschstunden, dreimal am Tag Essen. Und man erwartet Dankbarkeit. Gleichzeitig wird eine klare Trennlinie gezogen. Zu denen hin, die „ausreisepflichtig“ sind, also meistens im Dublin-Verfahren. Für sie gibt es noch weniger. 32,29€ für Gesundheits- und Körperpflege, nach Leistungskürzung. Seit Monaten ist kein*e Ärzt*in durchgängig im Lager tätig.
Die einzig richtige Konsequenz wird nicht gezogen: Alle Leute raus da!
Auffallend ist, dass psychische Erkrankungen kaum eine Rolle zu spielen scheinen in diesem ganz speziellen Blick auf die Menschen. Wenn wir im Lager Menschen treffen, die ernstzunehmende Erkrankungen haben – Schizophrenie, Verfolgungswahn, Depression -, fragen wir uns: Was haben diese Leute dort zu suchen? Warum werden sie nicht SOFORT aus dieser Einrichtung in Unterkünfte verlegt, wo Kliniken in der Nähe sind? Die Begründung wäre für die Verwaltung denkbar einfach, auch wenn die Bundesregierung die Unterbringungszeiten in Erstaufnahmelagern auf mindestens drei Monate hochgesetzt hat: Die EU-Aufnahmerichtlinie sieht eine angemessene Unterbringung von „Menschen mit besonderem Schutzbedarf“ vor. Psychisch Erkrankte fallen eindeutig darunter. Um es deutlich zu sagen: Scheiß auf Dublin**, scheiß auf Warten aufs Interview, scheiß auf sog. „sichere Herkunftsländer“ - Transfer für alle!
2018 haben mehrere Menschen in Landeserstaufnahmeeinrichtungen versucht, sich das Leben zu nehmen. Warum muss es so weit kommen? Fangen wir wirklich an, Menschenleben in Unterbringungs- und Behandlungskosten aufzurechnen?
„Stop killing me“ schrieb ein junger Mann auf ein Schild. Denn Depression und Lagerkoller treiben so Manche*n in die Verzweiflung. Er schrieb dies, umgeben von Mitbewohnern, die ihn ermutigten. Im zynischen Lachen über das bittere Leben im Lager konnte man doch die genseitige Unterstützung spüren.
* mit dem Gespräch ist die psychosoziale Beratung der Diakonie in Schwerin gemeint. Ein kurzfristig unterstützender Ansatz, der den schlimmsten Leidensdruck mildern kann. Aus den Berichten der Menschen entnehmen wir, dass die Besuche dort selten in Regelbehandlung münden.
** Menschen im Dublin-Verfahren müssen bis zu zwei Jahre in den Aufnahmeeinrichtungen leben. Das Innenministerium erhofft sich dadurch billige Abschiebestatistiken, denn in den Lagern greifen Kontroll- und Sanktionsmechanismen besser. Angesichts dessen vergessen CDU und CSU auch schnell mal ihre Christlichkeit.
Und Dank an Bildwerk Rostock für das Titelbild zum Beitrag!