Am 13. März haben wir in Ribnitz-Damgarten an Dragomir Christinel erinnert. Wir dokumentieren hier den Redebeitrag von uns und dem AJZ Kita.
Liebe FreundInnen und UnterstützerInnen,
es freut uns, dass heute so viele Menschen hier zusammengekommen sind, um an Dragomir Christinel zu erinnern, seiner Ermordung zu gedenken, und damit dazu beizutragen, dass kein Opfer rechter und rassistischer Gewalt je vergessen wird.
Vor 30 Jahren, am 14. März 1992, wurde der aus Rumänien stammende Dragomir Christinel in der Asylsuchenden-Unterkunft in Saal von einer Gruppe junger Deutscher aus Ribnitz-Damgarten und der Umgebung ermordet. Die Täter waren am Vorabend vor einer Diskothek mit einigen jungen Rumänen aneinander geraten.
Was dann geschah, war aber kein, wie es damals oft hieß, “eskalierter Streit unter Jugendlichen“, sondern ein planmäßig vorbereiteter und durchgeführter Überfall auf wehrlose, unbeteiligte Menschen, die allein deshalb angegriffen wurden, weil sie aus einem anderen Land stammten und in Deutschland Asyl suchten.
Wir wissen genug über die Tat, um zu sagen: Es war ein rassistischer Mordanschlag.
Am Abend des 14.3.1992 rotteten sich die Täter zusammen, es waren etwa 30, bewaffneten und maskierten sich, und fuhren zu verabredeter Zeit in einer Autokolonne zur Geflüchteten-Unterkunft.
Dort schlugen sie die Scheiben ein, verwüsteten die Räumlichkeiten und griffen wahllos Menschen an. Eine Frau wurde leicht, ein Mann schwer verletzt. Der auf einem Bett liegende Dragomir Christinel konnte nicht mehr fliehen, als die Täter in das Zimmer eindrangen, in dem er sich aufhielt. Er versuchte sich erfolglos mit einem Kissen und mit bloßen Händen zu schützen, wurde aber mehrfach mit einem Baseballschläger an Kopf und Hals getroffen, sterbend zurückgelassen, und erlag noch in der Nacht seinen schweren inneren Verletzungen.
Der Haupttäter John-Pieter G. wurde zu einer Jugendstrafe von 2 1/2 Jahren verurteilt, zwei Nebentäter erhielten Bewährungsstrafen.
Im Gegensatz zum Ablauf der Tatnacht wissen wir über das Opfer beschämend wenig. Akten und Dokumente aus den 1990er Jahren existieren oftmals nicht mehr, und die Versuche unserer Initiative, in Rumänien nach noch lebenden Angehörigen zu suchen, waren bisher nicht erfolgreich.
Trotzdem ist es uns wichtig, das wenige was wir über Dragomir Christinel wissen mit euch zu teilen, um deutlich zu machen: Er war ein Mensch, mit ganz persönlichen Bedürfnissen und Träumen, und nicht nur eines von über 200 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland.
Dragomir Christinel wurde vermutlich am 4. April 1973 in der Stadt Bistrita in Nordrumänien geboren und kam ein halbes Jahr vor seiner Ermordung nach Rostock, wo er als Asylsuchender lebte.
Freunde, die nach der Tat interviewt wurden, erzählten, dass Dragomir gern an Autos herumbastelte und sie reparierte. Und bei FreundInnen in Saal war er auch zu Besuch, als er am 14. März 1992 erschlagen wurde. Dragomir Christinel wurde nur 18 Jahre alt.
Lasst uns dem Ermordeten Respekt erweisen und gemeinsam für eine Minute schweigen.
Jahrelang gab es keinerlei organisiertes Gedenken an Dragomir Christinel. Unsere Initiative bemüht sich seit 2019, das zu ändern.
Wir freuen uns, dass die Stadt Ribnitz-Damgarten in Person des Bürgermeisters heute auch hier ist. In ersten konstruktiven Gesprächen waren wir uns mit den StadtvertreterInnen einig, dass noch in diesem Jahr ein dauerhafter Gedenkort für Dragomir Christinel eingerichtet werden soll.
Zudem haben der Stadthistoriker und die Stadtarchivarin Interesse bekundet, uns bei der überaus mühsamen Recherche zu Christinels Leben und bei der Suche nach Angehörigen zu unterstützen. Auch das freut uns sehr.
An Dragomir Christinel zu erinnern heißt, sich an die Geschichte rassistischer Morde seit 1990 zu erinnern. Denn was am 14. März 1992 geschah war kein Einzelfall:
Ein halbes Jahr später ereignete sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, wo es nur deshalb keine Toten gab, weil die VertragsbarbeiterInnen sich auf das Dach des brennenden Sonnenblumenhauses retten konnten, nachdem die Polizei sich zurückgezogen und sie sich selbst überlassen hatte.
In den folgenden Jahren wurden allein in Mecklenburg-Vorpommern mindestens 13 Menschen von Rechtsextremisten ermordet. Wir wollen beispielhaft einige nennen.
Am 11. Juli 1996 wurde der 26jährige Boris Morawek in Wolgast von zwei bekannten und organisierten Neonazis mit Springerstiefeln zusammengetreten, er starb zwei Tage später.
Am 22. April 1997 wurde der 50jähre Arbeitslose Horst Gens in Sassnitz von rechsradikalen Jugendlichen erschlagen, die ihn als "Asozialen" bezeichneten.
Allein im Jahr 2000 wurden vier Obdachlose von rechten Gewalttätern ermordet, die sie in ihrer menschenverachtenden und sozialdarwinistischen Ideologie als "lebensunwertes Leben" sahen: Norbert Plath in Ahlbeck, Eckardt Rütz und Klaus-Dieter Gerecke in Greifswald, Jürgen Seifert in Wismar.
Am 22. April 2001 quälten vier rassistische Jugendliche den 31jährigen Algerier Mohammed Belhadj stundenlang, bevor sie ihn bewusstlos schlugen und in einem See ertränkten.
Am 15. Mai 2002 traten und prügelten zwei Nazi-Skins in Neubrandenburg den 19jährigen Klaus-Dieter Lehmann zu Tode, den sie als "Behinderten" bezeichneten.
Und am 25. Februar 2004 ermordete die neonazistische Terrorgruppe NSU in Rostock-Toitenwinkel den aus der Türkei stammenden 25jährigen Mehmet Turgut.
Wir werden diese und alle anderen Opfer rechter, rassistischer und neonazistischer Gewalt niemals vergessen, und ihren Tätern niemals vergeben.
Gegen Rassismus kämpfen heißt nicht nur alles zu tun, um rassistische Gewalttaten zu verhindern - sondern ebenso den alltäglichen und institutionellen Rassismus zu erkennen und sich gegen ihn zu wenden.
Gegen brutale Abschiebungen und die immer weitere Verschärfung des Asylrechts!
Gegen Isolation und jahrelange Lagerunterbringung von geflüchteten Menschen!
Gegen rassistische Kontrollen in der Bahn oder auf der Straße!
Gegen Diskriminierung bei der Wohnungssuche und auf dem Arbeitsmarkt!
In Gedenken an Dragomir Christinel - Gegen jeden Rassismus!
Vielen Dank