Redebeitrag: Asylverfahren politischer Gefangener

Bei der Kundgebung anlässlich des tags der politischen Gefangenen in Rostock haben wir den folgenden Redebeitrag gehalten. Lest ihn hier nach.

Moin. Schön, dass ihr alle hier her gekommen seid, um eure Solidarität mit den Kämpfen der Menschen auszudrücken, die überall auf der Welt für Freiheit und Würde kämpfen.

Wir möchten euch heute kurze Einblicke darin geben, was ein Asylverfahren in Deutschland für diejenigen heißt, die es schaffen hier her zu fliehen - entweder nachdem sie schon im Knast saßen oder bevor sie verhaftet werden. Wir versuchen euch einen Überblick über die allgemeine Situation in den Asylverfahren zu geben, aber auch die Situation von Genoss:innen zu würdigen, die diesem System gegenüber stehen. Wir freuen uns sehr, wenn einige von euch Lust auf Austausch mit uns haben, wenn ihr Anknüpfungspunkte für die Arbeit eurer Gruppen seht.

1. Generell: Bewertungen von Fluchtgründen

In einem Asylverfahren geht es im Kern darum, dass ein deutscher Bürokratieapparat überprüft, ob er Gesetze zum Schutz vor Verfolgung auf einen Menschen anwenden muss, der oder die krasse Erfahrungen gemacht hat. Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, sitzen beim BAMF nicht gerade politische Aktivist:innen, sondern ganz normale Schreibtischtäter:innen. Es sind Menschen, denen es im Normalfall fern liegt, ihr Leben für eine politische Sache zu riskieren. Es treffen zwei völlig verschiedene Lebenswelten aufeinander.

Ein Beispiel: Jemand schildert seine regimekritischen Tätigkeiten im Iran. Gegenfrage des BAMF: „Wenn Sie wussten, dass dafür die Todesstrafe droht, warum haben sie nicht aufgehört damit?“ Völlige Sprachlosigkeit beim Genossen. „Weil ich an Gerechtigkeit glaube. Weil ich etwas ändern will.“ Völliges Unverständnis beim BAMF-Mitarbeiter.

Die Entscheidungsrichtlinien des BAMF folgen im Grundsatz Vorgaben der Europäischen Asylbehörde. Es sind Richtlinien, die oft schwer nachvollziehbar sind. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Deserteure, zum Beispiel aus der Ukraine oder Russland, werden aller Voraussicht nach kein Asyl oder Flüchtlingsanerkennung in Deutschland erhalten. Jeder Staat hat das Recht seine Bürger:innen in Kriegen in den Tod zu jagen, so das BAMF (natürlich etwas förmlicher ausgedrückt). Leute in den Kast stecken, weil sie nicht kämpfen wollen: Legitim. Deserteur:innen schützen wir, vorausgesetzt ihnen drohen wegen der Kriegsverweigerung unmenschliche Behandlung oder Folter, so zum Beispiel in Eritrea und Syrien.

2. Fehlende Infos: Anhörungsvorbereitung

Das Seehofer-Ministerium hat in den vergangenen Jahren die sog. „AnkER-Zentren“ umgesetzt. Eine Idee, die übrigens auf die Gesetzesverschärfungen der 90er Jahre zurückgeht und eine lange konservative rassistische Kontinuitätslinie darstellt. Die Grundidee: Wenn man Leute möglichst schnell zu ihren Fluchtgründen befragt, wurden sie noch nicht von der sog. „Anti-Abschiebeindustrie“ gebrieft, was sie sagen sollen. Man isoliert die Leute also in Anknunftslager wie Horst und Sternbuchholz und mutet ihnen innerhalb kürzester Zeit die Anhörung zu. Das BAMF macht dabei selbst eine sog. „Unabhängige staatliche Asylverfahrensberatung“. Das Wording ist blanker Hohn und an sich natürlich eine absurde Idee. Jemand, der:die vor einem Unrechtsregime geflohen ist, soll nach wenigen Wochen das Vertrauen in die deutschen Behörden aufbringen, sein:ihr ganzes Leben auf den Tisch zu packen. Ohne unsere deutschen Vorstellungswelten zu kennen, meistens mit schlechter Übersetzung.

Ein Beispiel: Im Iran arbeiten Aktivist:innen, die in verbotenen Parteien aktiv sind, in anonymisierten Parteizellen. Das heißt man kennt nur etwa 5 Leute. Ein „Head of“ kennt wiederum wenige Weitere. Die Idee dahinter ist klar: Wer nur 5 Leute kennt, kann unter Folter nur 5 Namen nennen. Mit einem schlechten Übersetzer wird in einer Anhörung aus Parteizelle schnell mal „Team“ und aus Genosse Freund. Im Kontext liest sich die regimekritische Tätigkeit dann eher wie ein seltsames Beisammensein unter Freund:innen als riskante Oppositionsarbeit.

3. Unterbringung: Besondere Schutzbedürftigkeit

Wer sich mit den Asylverfahren von Genoss:innen beschäftigt, begegnet unumgänglich Schilderungen von Folter und schwerer Gewalt. In den Knästen in der Türkei, in Syrien, im Iran gehören Isolationshaft und Folter zum Tagesgeschäft. Wir sind immer wieder beeindruckt, wieviel Kraft und Ressourcen Menschen in sich und unter Genoss:innen mobilisieren können, um diese Gewalt zu überleben und zu verarbeiten.

Die Wunden von Gewalt und Folter tragen Menschen lange mit sich. Diese Wunden können körperliche Wunden sein. Chronische Schmerzen, Narben, Einschränkungen. Die Wunden können auch emotionale, seelische Wunden sein. Depressionen und posttraumatische Belastungen wie Schlaflosigkeit und Flashbacks. Die Wunden können auch mit der abrupten unfreiwilligen Migration zusammenhängen: Schuldgefühle, weil man Freund:innen, Familie und Genoss:innen zurückgelassen hat und Schwierigkeiten hier anzukommen.

In der Theorie gibt es das Recht auf eine Versorgung, die den Gewalterfahrungen entspricht. Zum Beispiel medizinische Begleitung und entsprechende Unterbringung (nicht in Sammellagern). Da die Umsetzung der „EU-Aufnahmerichtlinie“, die die Rechte für besonders Schutzbedürftige garantiert, auf die Bundesländer abgeschoben wird, gibt es – Überraschung – in Mecklenburg-Vorpommern nach 14 Jahren Caffier im Innenministerium keine solchen Unterstützungsstrukturen.

An alle Genoss:innen von SPD, LINKER, Jusos und Solid, die heute hier sind: Zeit, was zu tun!

4. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung während des Asylverfahrens folgt den Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes. Eingeführt wurde es von Union und SPD als eine der Asylgesetzverschärfungen der 90er Jahre und ist ein rassistisches Parallelgesetz, das Asylsuchende und Geduldete von regulären Sozialleistungen ausschließt. Medizinische Versorgung gibt es nur bei „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“.

Für Betroffene von Folter während politischer Inhaftierung kann das zum Beispiel bedeuten: Stationäre Behandlung nach Suizidversuch: Ja. Therapeutische Behandlung, um das Erlebte zu verarbeiten: Nein. Für Menschen, die sich nicht mit Asylverfahren und dem daran angrenzenden institutionellen Rassismus beschäftigen, klingt das vielleicht überspitzt oder zynisch, vielleicht sogar unglaubwürdig. Leider ist es Realität in Deutschland.

5. Folgeanträge: "Nur" Mecklenburg-Vorpommern

Es gibt verschiedene Gründe, aus denen Asylverfahren schief gehen können, auch wenn jemand im Herkunftsland ernsthafter Gefahr ausgesetzt ist. Der häufigste Grund ist, dass das BAMF den Leuten politische Aktivitäten nicht glaubt. Manchmal, weil sie sie nicht mit Dokumenten nachweisen können, machmal, weil die Befragungen des BAMF darauf ausgelegt sind Leute in Widersprüche zu verstricken. Manchmal, weil das BAMF denkt, man wäre nicht „herausragend“ politisch tätig gewesen. Man war kein bekannter Parteifunktionär, sondern hat „nur“ Flyer verteilt oder war ein einfaches Mitglied.

Abgelehnte Asylsuchende haben die Möglichkeit einen zweiten Asylantrag zu stellen. Hier haben wir tatsächlich schonmal eine ablehnende Antwort des BAMF gesehen, die dem O-Ton nach besagte: Mecklenburg-Vorpommern ist viel zu unbedeutend. Niemanden interessiert es, wenn man hier Demos organisiert (insbesondere nicht den iranischen Geheimdienst). Das ist natürlich ebenso Bullshit, wie vieles Andere was das BAMF aufschreibt. Wir wissen, dass Familien von Aktivist:innen in bestimmten Herkunftsländern angesprochen werden, wenn sie hier regimekritisch in Erscheinung treten.

6. Zusammenarbeit mit Autokraten und Regimen

Exilpolitisch aktive Asylsuchende und ehemalige politische Gefangene sind während der Asylverfahren an sich keineswegs sicher. Die Bundesregierung und das BAMF finden diverse Möglichkeiten Leute in Gefahr zu bringen:

  • Beim BAMF arbeiten beispielsweise Sprachmittler:innen auf Honorarbasis, keine staatlich vereidigten Dolmetscher:innen. Es gibt diverse Berichte, dass hier Geheimdienstspitzel, zB aus der Türkei oder Eritrea, Informationen an die Regierungen gespielt haben.
  • Das BAMF arbeitet mit Anwält:innen in verschiedenen Ländern, um Infos gegenchecken zu lassen: Gibt es zB wirklich einen Haftbefehl gegen XY? Ihr erinnert euch vielleicht noch an den Fall, als Erdogan (ist ja nicht dumm) einfach einen dieser Anwälte verhaftete und die Daten von etwa 900 Asylsuchenden beschlagnahmte.
  • Seit letztem Jahr hat das Bundesinnenministerium es den Regimen dieser Welt aber noch viel einfacher gemacht. Seitdem werden die Anhörungen und damit die persönlichsten aller persönlichen Informationen von Asylsuchenden im Ausländerzentralregister gespeichert – politische Einstellung, ggf. Sexualität, Religionszugehörigkeit, Folter- und Knastberichte usw. Auf diese Daten haben folgende Behörden Zugriff: Alle 600 lokalen Ausländerbehörden, die Länder-Aufnahmeeinrichtungen, die Bundesagentur für Arbeit, Sozialämter und Jobcenter, die Bundespolizei, alle »sonstigen« Polizeivollzugsbehörden, Zolldienststellen, Staatsanwaltschaften, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter sowie deutsche Auslandsvertretungen. Insgesamt etwa 150.000 Mitarbeiter:innen können so auf die Datensätze von ca. 19. Mio Menschen zugreifen. Für Regime mit Verfolgungsinteresse nicht gerade schwer, eine:n davon auf die Gehaltsliste zu setzen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt bereits gegen dieses Gesetz. Es ist beschämend, dass dieses Gesetz im leztten Jahr noch kurz vor der Wahl durhcgedrückt wurde. Und auch hier wieder: Shame on you, SPD. Zeit, den rassistischen Mist zu korrigieren, den ihr mit der CDU/CSU zusammen verantwortet habt.

Widerstand und Solidarität!

Es ist gut und wichtig, dass ihr alle heute hier seid und euch solidarisch mit den politischen Gefangenen auf der ganzen Welt zeigt. Es ist super, dass ihr euch später noch die Ausstellung zur Repression in Russland im Cafe Median anschaut und am Soli-Tresen etwas Kohle lasst.

Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen. Wir sind aber auch wieder ein paar mehr geworden seit dem letzten 18. März, nämlich die, die es hierher geschafft haben und die, die bleiben konnten. Deshalb:

Setzt euch für sichere Fluchtwege ein!
Das meint sowohl: Grenzen abschaffen als auch Aufnahme aus dem Ausland verstärken.

Setzt euch gegen Abschiebungen in Folterstaaten ein!
Das meint sowohl generelle Forderungen nach Abschiebestopp, sowie die aktive Parteinahme für einzelne Genoss:innen, die von Abschiebungen bedroht sind.

Unterstützt Genoss:innen, die hier in MV Asylverfahren machen!
Das meint sowohl Support im Asylverfahren, als auch freundschaftlichen Support.

Hoch die internationale Solidarität!