Derzeit führt das BAMF bundesweit 250.000 Befragungen an anerkannten Flüchtlingen durch. Die Behörde will prüfen, ob sie 2015-2017 schlecht gearbeitet hat. Vorrangig werden die schriftlichen Anhörungen für Syrien, Eritrea und Yezid*innen aus dem Irak überprüft. Die Befragungen des BAMF wurden im Gesetzesentwurf mit knapp 5 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Die Widerrufsquote liegt aktuell bei ca. 3%.
Änderungen seit August 2019
Das "Geordneter-Rassismus-Gesetz" ermöglicht nun die längere Überprüfung der Anerkannten aus den drei Jahren 2015-2017. Dies wird sich auf die Erteilung der Niederlassungserlaubnis auswirken, denn hier wurde ein neuer Stolperstein eingebaut.
Die Vorbereitung der Befragung beim BAMF
Wer eine Einladung zu einer Befragung erhält, sollte sich informieren und darauf am besten bei einer qualifizierten Beratungsstelle oder mit eine*r Anwält*in vorbereiten. Informationsblätter gibt es hierzu bereits von
-
- ArrivalAid: Infoblatt Überprüfungsverfahren
- Münchner Flüchtlingsrat: Hinweisblatt Widerrufsverfahren
Wir dokumentieren an dieser Stelle die Fragen des BAMF an die Betroffenen. Aus Gesprächen mit Betroffenen wissen wir, dass nicht jeder*m die Befragungslogik des BAMF und inhaltliche Bedeutung der Befragung klar ist. Sich im Gespräch mit einer Behörde auf dieses vorbereiten zu können, ist eine demokratische Errungenschaft. Warum das BAMF sich bis heute weigert seine Fragenkataloge und Entscheidungsrichtlinien transparent offen zu legen, ist absolut nicht nachvollziehbar.
Wir halten es für wichtig mit der Herangehensweise des BAMF an die Befragungen der anerkannten Flüchtlinge transparent zu machen, wie die Behörde sich derzeit zu Syrien positioniert. Offenkundig wird dies bereits in der Wortwahl in der Protokollvorlage: ''Der Ausländer'', nicht ''der anerkannte Flüchtling'' oder ''der Befragte'' muss Rede und Antwort stehen. Juristisch vielleicht ein korrekt angewendeter Begriff - gleichzeitig aber auch ein deutlicher Verweis darauf wie das Innenministerium die Betroffenen ideologisch verortet: Sie sind "die Anderen", "die Fremden", "die immer noch nicht dazugehören".
Was ihr tun könnt
Infomiert und begleitet eure betroffenen Freund*innen zu den Befragungen. Nach §14 Absatz 4 Verwaltungsverfahrensgesetz hat jeder Mensch das Recht auf einen Beistand in einem behördlichen Verfahren.
Deshalb: Seid solidarisch mit betroffenen Freund*innen. Vermittelt eine Beratung im Vorfeld und/oder begleitet sie zu den Befragungen.
Die Befragung beim BAMF – Der Blick auf Syrien
Das BAMF hat bereits im April 2019 veröffentlicht, dass es Teile Syriens nun, nachdem Daesh/IS größtenteils vertrieben wurden, für sicher hält. Dies würde bedeuten, dass perspektivisch der generelle Abschiebestop für Syrien durch die Innenministerkonferenz aufgehoben wird.
Das Bundesinnenministerium hat die neue Position des BAMF noch nicht freigegeben, es will den nächsten Bericht des Auswärtigen Amtes abwarten. Entscheidungen über Subsidiären Schutz liegen deshalb derzeit auf Eis. Zur Frage, ob man nach Syrien abschieben sollte, hat Adopt a Revolution einen wunderbaren Kommentar verfasst.
Der Krieg in Syrien begann damit, dass das Regime den Aufstand im Arabischen Frühling 2011 niederschlagen wollte. Es ließ Daesh/IS gezielt Fuß fassen, um die eigenen Verbrechen aus dem Fokus zu rücken. Es führte diesen Krieg gegen die demokratische Bewegung fort: Mit Aushungerung, Belagerung und Giftgasangriffen. Nach wie vor greift das Regime die Zivilbevölkerung an. Nach wie vor werden Oppositionelle und Demokrat*innen zwangsrekrutiert, inhaftiert, gefoltert und hingerichtet.
Wir fordern von der Bundesregierung:
Keine Kooperation mit dem Assad-Regime!
Keine neuen Abschiebeabkommen!
Ahndung der Verbrechen des Assad-Regimes vor internationalen Gerichten!
Der Blick auf andere Länder
Grundsätzlich werden nicht nur Syrer*innen vorgeladen. Wir dokumentieren auch gerne Fragen an Menschen aus anderen Herkunftsländern, wenn ihr sie uns zur Verfügung stellt.
Die Fragen - ein exemplarisches Protokoll
Die folgenden Fragen sind einem Befragungsprotokoll eines jungen Mannes aus Syrien entnommen.
Die Nummerierung im ersten Teil ist nicht vollständig, da je nach Lebenssituation unterschiedliche Fragen gestellt werden. Zum Beispiel wird hier nicht nach Angaben zur Ehefrau gefragt, weil der Befragte nicht verheiratet ist.
Die Fragen im zweiten Teil können stark variieren, je nachdem welche Gründe die Befragten anfangs für ihre Flucht nennen.
Die Länge der Befragung variiert auch stark, je nach den Inhalten, die die Befragten einbringen. Von 30 Minuten bis 4 Stunden waren Befragungszeiten, auf die wir bei den Recherchen gestoßen sind.
Protokollauszug: Die Fragen des BAMF
"Die Angaben im Teil 1 der Niederschrift werden mit dem Ausländer abgeglichen.
Der Abgleich macht folgende Korrekturen erforderlich:
[keine.]
Im Anschluss daran werden die folgenden Fragen gestellt:
(Hinweis: Die Nummerierung der Fragen entspricht der fortlaufenden Nummerierung eines Fragenakatlogs. Unabhängig von dieser Reihung werden nur die zutreffenden Fragen in der Reihenfolge, in der sie gestellt wurden, in die Niederschrift aufgenommen.)
2. Haben Sie in Ihrem Heimatland Personalpapiere, wie zB einen Pass, Passersatz oder Personalausweis besessen?
4. Nennen Sie mir bitte Ihre letzte offizielle Anschrift im Heimatland.
5. Wann haben Sie Ihre Heimat verlassen?
Frage: Gab es Probleme bei den syrischen Grenzkontrollen?
6. Wann sind Sie in Deutshcland eingereist?
8. Nennen Sie mir bitte Namen, Vornamen und Anschrift Ihrer Eltern!
9. Leben noch weitere Verwandte im Heimatland?
11. Welche Schule(n)/Universität(en) haben Sie besucht?
12. Welchen Beruf haben Sie gelernt? Bei welchem Arbeitgeber haben Sie zuletzt gearbeitet? Hatten Sie ein eigenes Geschäft?
Frage: Was hat ihr Vater gearbeitet?
13. Haben Sie Wehrdienst geleistet?
Frage: Bei Ausreise waren Sie volljährig, wie konnten Sie dem Wehrdienst entgehen?
Frage: Haben Sie Ihr Militärheft mit?
Haben Sie sich seit Ihrer Ausreise im Jahr 2015 wieder nach Syrien begeben?
Sind Ihnen Personen bekannt, die sich nach ihrem Asylverfahren wieder nach Syrien begeben haben?
Sind Ihnen Personen bekannt, die sich vor dem Bundesamt als Syrer ausgegeben haben, aber keine Syrer sind?
Sind Sie in Deutschland strafrechtlich in Erscheinung getreten?
Dem Ausländer wird erklärt, dass nun zum Verfolgungsschicksal und zu den Gründen für den Asylantrag vorgetragen werden kann. Es wird gebeten, die Tatsachen vorzutragen, die die Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines drohenden ernsthaften Schadens begründen. Weiterhin sollen alle sonsotgen Tatsachen und Umstände angegeben werden, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.
Einlassung:
[…]
Ende des Sachvortrags.
Frage: Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Ableistung des Wehrdienstes?
Frage: Stellen Sie sich vor, es hätte in Syrien keinen Bürgerkrieg gegeben und Syrien wäre von einem Aggressor von Außen angegriffen worden. Hätten Sie geholfen Ihr Land zu verteidigen?
Frage: Was befürchten Sie bei einer möglichen Rückkehr nach Syrien?
Frage: Es ist bekannt, dass viele tausende Syrer Woche für Woche nach Syrien zurückkehren. Sie konktrollieren ihr Eigentum, sie besuchen Verwandte und erledigen Behördengänge, ohne dass sie sich irgendwelchen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen. Aus welchem Grund denken Sie, sollte in Ihrem Fall eine Verhaftung drohen?
Auf Nachfrage erklärt der Ausländer, dass er ausreichend Gelegenheit zum Sachvortrag hatte.
Frage: Haben Sie Ihrem Vorbringen noch etwas hinzuzufügen?
Er bestätigt abschließend, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gab.
Der Ausländer verzichtet ausdrücklich, auch auf Nachfrage, auf die Rückübersetzung der Niederschrift.
Eine Ausfertigung der Niederschrift über das Gespräch wurde ausgehändigt.
Dauer des Gesprächs: [30 Minuten.]"
Zu den Hintergründen der Gesetzesänderung: Von Franco A. zu Massenbefragungen
Die Idee zu den Überprüfungen entstand, als der Bundeswehrsoldat Franco A. aufflog, der als Syrer verkleidet Anschläge in Deutschland begehen wollte, um Geflüchtete zu diskreditieren. Anstatt auf die Suche nach deutschen Rechtsterroristen in der Bundeswehr zu gehen, werden nun die Geflüchteten* unter Generalverdacht gestellt hinsichtlich ihrer Idenität betrogen zu haben.
Logisch? Nein, überhaupt nicht. Aber Rassismus ist nicht logisch. Die Bereitschaft des Innenministeriums und der Bundesregierung jährlich mehrere Millionen Euro zu investieren, ist dort am größten, wo der „Anlass“ am ehesten in die rassistische Weltdeutung passt. Mit 5 Millionen Euro jährlich könnte man sicherlich einige Nazis in Bundeswehr und Polizeien finden.
Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern muss uns das schockieren. Denn Franco A. unterhielt nachweislich Kontakte zum Nordkreuz, jenem Prepper-Netzwerk, dem auch Landespolizisten und ein damals Bürgerschaftsabgeordneter in Rostock angehör(t)en. Das LKA MV sorgte zudem mit der lückenhaften und zwei Jahre verspäteten Information an Betroffene der Nordkreuz-Todesliste in diesem Sommer für einen weiteren Aufreger.
Im Umfeld des mit Franco A. verbandelten Militärnetzwerks findet sich auch ein ehemaliger Kollege der Polizistin Michele Kiesewetter, die vom NSU erschossen wurde. Die Aufklärung der Verbindungen des NSU nach MV und der Rolle des ansässigen Verfassungsschutzes hinken ebenfalls noch hinterher. Hierzu aus dem Sitzungsbericht der LINKEN zur 15. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses: „Aus Sicht der Nebenklagevertreterin entspräche dieses durch die LfV M-V vorgegebene passive Agieren nicht der gängigen Geheimdienstpraxis und sei dementsprechend intensiv zu hinterfragen.“