Ende Juni findet eine bundesweite Aktionswoche mit der Forderung "Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!" statt. Lest hier, warum wir uns in Mecklenburg-Vorpommern anschließen.
Aktion: Redebeitrag am Weltflüchtlingstag
Wir widmen uns dem Thema am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, um 18.30 Uhr am Pfaffenteich Schwerin. Sea Eye Rostock organisiert dort eine Kundgebung unter dem Motto "Menschenrechte kennen keine Grenzen". Wir nutzen den Anlass und sprechen über die Repression gegen Asylsuchende auf der Ebene von Sozialleistungen mit dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Hier findet ihr den Aufruf für die Aktionswoche.
Warum "Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen"
Damals wie heute: Lichtenhagen & Asylkompromiss
Das "Asylbewerberleistungsgesetz" (AsylbLG) ist ein rassistisches Gesetz, das mit weiteren Gesetzesverschärfungen 1992 kurz nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen von Union, FDP und SPD verabschiedet wurde. Der sog. "Asylkompromiss" wurde unter anderem damit begründet, dass man rechte Gewalt eindämmen würde, wenn weniger Asylsuchende kämen. Eine Logik, die im Endeffekt dazu führte, die Gewalttäter:innen zu ent-schuldigen und die Schuld für die Angriffe auf die Anwesenheit der Betroffenen zu schieben. Faschos kamen oft mit geringen Strafen davon und man widmete sich ihnen über Jahre sorgsam im Rahmen sog. akzeptierender Jugendsozialarbeit. Bekanntes Beispiel: Angela Merkel besuchte als Familienministerin kurz nach dem Pogrom den Jugendclub Max in Rostock-Groß Klein (nicht etwa die Betroffenen aus der ZASt, die überall in MV weiter Angriffen durch Faschos ausgesetzt waren). Rund um den Jugendclub Max organisierte sich in den 90ern die örtliche Sektion des Blood and Honour-Netzwerks, ein Umstand der auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU in MV eine Rolle spielte.
Heute folgen die bürgerlichen Parteien einem ähnlichen Reflex. Die letzte Verschärfung der Asylgesetze enthielt wiederum drastische Einschränkungen der Sozialleistungen für Asylsuchende. Kern der Verschärfung ist die Verlängerung der Zeit, die Asylsuchende die eingeschränkten Leistungen des AsylbLG erhalten von 18 auf 36 Monate (3 Jahre!). In dieser Zeit bekommen sie niedrigere Leistungen und eine schlechte medizinische Versorgung. Das Geld, das man bei der mediznischen Versorgung spart, war (wie in den 1990ern) explizit Inhalt der Begründung der Gesetzesänderung. Schäbig, dass sich in der Bundesregierung weiterhin Sozialdemokrat:innen und nun auch Grüne hinter solchen rechten Populismus stellen.
Desweiteren arbeiten derzeit sowohl Bundes- als auch Landesregierung hart an der Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge. Dieses rassistische Kontrollinstrument schränkt die Möglichkeiten mit dem wenigen Geld zu haushalten noch weiter ein. Z.B. gibt es in wenigen Umsonstläden und Sozialkaufhäusern die Möglichkeit mit Karte zu bezahlen. Die Bezahlkarte gibt den Behörden zudem die Möglichkeit ihre Nutzung auf einen bestimmten räumlichen Bereich einzuschränken. Das stellt de facto eine Wiedereinführung der Residenzpflicht dar. Auch wenn die rot-rote Landesregierung vielleicht noch nicht alle Repressionsmöglichkeiten umsetzen wird, die die Karte bietet, arbeitet sie dennoch für die nächste Legislatur vor. Mit realistischem Blick in die Kommunen in MV müssen wir hier mit dem schlimmsten (einem blau-schwarzen Alptraum) rechnen.
Diskriminierendes Parallelgesetz
Das AsylbLG ist ein rassistisches Parallelgesetz. Es behandelt Asylsuchende und Geduldete ungleich mit der restlichen Bevölkerung, indem es sie von regulären Sozialleistungen ausschließt.
Wer Freund:innen im Asylverfahren hinsichtlich der Sozialleistungen unterstützen will, findet hier eine super Einführung vom Paritätischen Wohlfahrtsverband:
- "Soziale Rechte für Geflüchtete. Das Asylbewerberleistungsgesetz" (2019)
- Achtung! Nach den letzten Gesetzesverschärfungen stimmen nicht mehr alle Zahlen. Checkt also im AsylbLG gegen.
Welche Regelungen stecken im Gesetz?
Asylsuchende und Geduldete müssen von ca. 80% des Existenzminimums leben.
Asylsuchende und Geduldete bekommen kein Bürger:innengeld. Im Vergleich:
725€ - armutsfeste Grundsicherung laut Paritätischem Gesamtverband, Berechnung für 2022 (!)
563€ - Bürger:innengeld für eine alleinstehende Person
460€ - Asylbewerberleistungen für eine alleinstehende Person, hier die Übersicht mit den Leistungssätzen ab 1.1.2024
413€ - Asylbewerberleistungen für Asylsuchende in Sammellagern - entgegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus November 2022 (!) zahlen die Behörden weiterhin den verfassungswidrigen niedrigen Leistungssatz aus
Analogleistungen: Längere Wartezeit
Weil diese Benachetiligung nicht mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar ist, wurden die sog. "Analogleistungen" eingeführt. Nach einer bestimmten Zeit bekommen Asylsuchende zwar formell weiterhin AsylbLG, aber in der Höhe von Bürger:innengeld. Bis vor Kurzem waren das 18 Monate. Als es so festgelegt wurde, wurde das noch einigermaßen inhaltlich schlüssig so begründet: Ein Asylverfahren dauert durchschnittlich 18 Monate. Wenn das BAMF noch länger braucht, kann man die Asylsuchenden nicht dafür "bestrafen".
Anfang 2024 wurde die Wartezeit auf 36 Monate hoch gesetzt, also verdoppelt. Ohne jegliche Begründung, warum dieser Zeitraum gewählt wurde. Das BAMF selbst gibt an, dass es die neu gestellten Asylverfahren mittlerweile in 4,5 Monaten bearbeitet, länger zurückliegende Anträge in 7 Monaten. Damit wollen wir sagen: Die Festssetzung der Zeit, in der Menschen mit dem AsylbLG weit unter dem Existenzminimum leben müssen, ist inhaltlich völlig willkürlich. Es ist eine rein politische Entscheidung, die einzig im Dienste der Abschreckungspolitik steht.
Asylsuchende und Geduldete haben keine reguläre Krankenversorgung.
Ihnen stehen nur minimale Gesundheitsleistungen "bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen" zu, die sie bei den Sozialämtern beantragen müssen. Ob ein Zustand akut genug ist, beurteilen dann Sachbearbeiter:innen im Sozialamt, nicht etwa medizinisches Personal. Hier gibts allgemeine Hintergrundinfos von den Medibüros/Medinetzen. Dieses Verfahen gilt bis man die Analogleistungen bekommt, also nun 3 Jahre. Dann erhalten Asylsuchende eine Krankenkassenkarte (mancherorts nur auf Antrag). Diese Krankenkassenkarte ändert übrigens nichts am vorgesehen geringen Umfang der Versorgung. In der Praxis ist es aber so, dass Ärzt:innen den Behandlungsbedarf eben medizinisch einschätzen und nicht finanziell angesichts des Budgets der Sozialämter und dadurch die Versorgung besser wird.
Rot-rot in MV hat im März 2023 (!) beschlossen, während der gesamten Dauer des Asylverfahrens eine Krankenkassenkarte an Asylsuchende auszugeben. Seitdem lässt sie sich aber Zeit mit der Umsetzung dieses Beschlusses. Sie nimmt damit ganz gemütlich weiterhin die strukturelle Unterversorgung der Betroffenen in Kauf.
Die Ausgabe von Krankenkassenkarten findet sich auch in einer Empfehlung der Bundesintegrationsbeauftragten Reem Alabali-Radovan, um rassistische Benachteiligung in der Gesundheitsversorgung einzudämmen. Die Forderung nach Ausgabe von Krankenkassenkarten ist eine Forderung der solidarischen Zivilgesellschaft. Sie diente immer der Überbrückung der rassistischen Verhältnisse bis zur Abschaffung des AsylbLG und richtete sich an Verantwortliche in Kommunen und Ländern. Auf Bundesebene ist für die verantwortlichen Abgeordneten, die die entsprechenden Gesetze machen können, der einzig konsequente Schritt gegen rassistische Diskriminierung: Rassistische Gesetze abschaffen! AsylbLG abschaffen!
Asylsuchende und Geduldete müssen sogenannte "Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" für 80 Cent pro Stunde machen.
Das ist dann zB Klo putzen oder Laub harken in der Sammellunterkunft, sehr integrativ also. Wer sich weigert, bekommt Leistungskürzungen auf bis zu 204€ ("physisches Existenzminimum").
Diese Maßnahmen waren in den letzten Monaten immer wieder Gegenstand rechter Medienkampagnen sodass deren Wirkungskreis am Ende erweitert wurde. Angeblich will man so Asylsuchende in Arbeit bringen. Das ist Bullshit. Wer will, dass Asylsuchende arbeiten, könnte eine einfache aber wirkungsvolle Maßnahme treffen: Reguläre Arbeitserlaubnis für alle, statt bürokratisch aufgeblasenem Antrag für jeden Job. Wer Menschen in 80-Cent-Maßnahmen zwingt, will nichts anderes als Asylsuchende sozial zu isolieren und stärkt damit den Niedriglohnsektor.
Asylsuchende und Geduldete sind oft Leistungskürzungen auf das sog. "physische Existenzminimum" ausgesetzt.
Platt gesagt: Unterkunft, Essensgeld und Shampoo. Diese Kürzungen werden besonders gegen Geduldete benutzt, um Druck auf sie auszuüben, sie psychisch zu zermürben und so aus dem Land zu treiben (amtsdeutsch: "die Ausreisebereitschaft zu fördern").
Die Einführung dieser Kürzungen geht noch auf Horst Seehofer (CSU) zurück, den stramm rechtskonservativen Vorgänger von Nancy Faser. Diese Kürzungen sind Teil einer Reihe von Repressionsmaßnahmen, mit denen man abgelehnte Asylsuchende in ihren Rechten einschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat den entsprechenden Paragraf bereits für verfassungswidrig erklärt. Die Bundesregierung hat den Änderungsbedarf in ihrer jüngsten Gesetzesverschräfung aber geflissentlich igoniert.
Vor einigen Jahren forderten Parteien wie die SPD und die Grünen noch für Geduldete den sogenannten "Spurwechsel" auszubauen. Also statt Abschreckung und Abschiebung auszuweiten, Menschen die Möglichkeit geben sich eine Aufenthaltserlaubnis zu erarbeiten (im wahrsten Sinne des Wortes, in absurder Abhängigkeit zu Lohnarbeit und Arbeitgeber). Jetzt, wo sie die entsprechenden Gesetze machen könnten, entscheiden sie sich für den Ausbau der Abschiebemaschinerie. Asylgesetze und deren Umsetzung sind ein Gradmesser für den Diskursstand in unserer Gesellschaft. Hier bildet sich ganz deutlich die Verschiebung dessen, was diskutiert wird, nach rechts ab. Oder anders gesagt: Wir sehen hier den Rechtsruck in der politischen Mitte.
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!