Rüstungskonzern will an Sammellagern für Asylsuchende verdienen – auch in MV

Am 14. Dezember gab die Konzerngruppe Serco die Übernahme von „European Homecare“ bekannt[1]. Die erforderlichen genehmigungen sind mittlerweile durch. European Homecare betreibt auch Unterkünfte für Asylsuchende in MV. Lest hier was daran problematisch ist.

Update: Rüstungskonzern zieht sich zurück

Ende Oktober wurde bekannt, dass das Innenministerium MV den Betrieb der beiden Erstaufnahmestellen für Asylsuchende doch nicht an das Privatunternehmen European Homecare vergeben hat, sondern nochmal für 5 Jahre an die Malteser. Grund ist, dass European Homecare hingeschmissen hat.

So weit so gut, doch der Bericht gibt keinen Anlass zur Freude.

Denn daraus geht hervor, dass die Landesregierung plant, die Kapazitäten in den Aufnahmelagern zu verdoppeln (!). Da derzeit immer weniger Asylsuchende nach Deutschland kommen, kann das nur eins bedeuten: Rot-rot kehrt zurück zu längeren Unterbringungszeiten in den Aufnahmelagern. Das passt ins Bild der restriktiven Asylpolitik der SPD mit stetigen Verschärfungen. Grenzkontrollen, Bezahlkarte, Desintegration in Lagern - das Gegenteil von gut.

In den letzten 2 Jahren waren Asylsuchende "nur" ca 4-6 Monate in Horst bzw. Sternbuchholz. Vorher bis zu zwei Jahre. Das Leben im Erstaufnahmelager ist geprägt von Kontrolle (Security am Einlass und Zimmerkontrollen im Inneren, fast täglich Abschiebungen). Man lebt dort isoliert von der Gesellschaft, ohne Deutschkurs und damit ohne die Möglichkeit sich in die Gesellschaft einzubringen. Kinder dürfen nicht zur Schule gehen.

Wie immer:
Dezentrale Unterbringung!
No Lager!

Aktuell: SPD-Innenministerium will Erstaufnahmestellen an Rüstungskonzern vergeben

Kürzlich haben wir auf Instagram ein Video von Heidi Rechinnek über European Homecare geteilt. Daraufhin haben wir folgende Info bekommen*: Das Innenministerium MV (#SPD) plant, den Betrieb der beiden Erstaufnahmelager in Horst und Schwerin-Sternbuchholz an European Homecare zu vergeben, also ein Privatunternehmen. Hinter dem Unternehmen steht der Rüstungskonzern Serco (siehe unten).

Ganz ehrlich: WTF?!

Sozialdemokratische Politiker:innen verkünden seit Monaten, dass Geflüchtete bitte kein Geld an ihre hungernden Familien in Syrien und Afghanistan schicken sollen und führen deswegen die Bezahlkarte für Asylsuchende ein. Sechs Monate später lenken sie öffentliche Mittel in ein Unternehmen, das weltweit mit Waffen Geld verdient und damit Menschen zur Flucht zwingt.

Wie kann es überhaupt sein, dass Unternehmen Profite aus dem Sozialstaat schlagen? Damit nehmen sie Geld von der Allgemeinheit, indem sie Steuergelder in die Taschen von Wenigen wirtschaften. Spüren werden das die Angestellten in den Lagern, denn am effektivsten spart man beim Lohn. Ergo spüren es auch die Asylsuchenden, denn für sie wird der Umfang der Beratung in den Lagern weiter reduziert werden, um an der Qualifikation der Beschäftigten sparen zu können. "Betrieb" einer Unterkunft für Asylsuchende wird dann zur reinen Bewachung. Das spiegelt den Rechtsruck im Diskurs um Flucht und Asyl wider. Weg vom Sozialen, hin zur Kontrolle.

Wie kann es sein, dass eine rot-rote Landesregierung sowas verantwortet? Die Sozialdemokratie fragt sich derzeit, warum sie so massiv Wähler:innen verloren hat. Sie beantwortet sich das, indem sie weiter nach unten tritt ("man will eben keine Zuwanderung"). Viel naheliegender ist doch: Von Sozialdemokrat:innen erwarten die Menschen soziale Politik. Einem Rüstungsuntermehmen Geld geben, um auf Flüchtlinge "aufzupassen" ist das Gegenteil. Es ist zynisch und anti-sozial.

Jedes Flüchtlingsheim ist eines zu viel. Asylsuchende sollten wie alle anderen Menschen in Deutschland behandelt werden: Die gleichen Sozialleistungen bekommen und in Wohnungen leben dürfen.
Aber auch bei der Bewertung von Flüchtlingslagern gibt es Maßstäbe wie "schlecht", "schlechter" und "beschissen".

Mit Flüchtlingen Rüstung finanzieren, ist beschissen.

Deswegen:
European Homecare raus aus den Aufnahmelagern!
Privatwirtschaft generell raus aus Flüchtlingslagern!
Gleiche Rechte für alle. No Lager!

*die Info scheint noch nicht offiziell zu sein, daher wollen die Info-Geber:innen anonym bleiben. Online findet sich die Ausschreibung für die Einrichtungen von Januar, sowie der Vermerk dass die Ausschreibung vergeben wurde.

Hintergründe zur Übernahme von European Homecare durch Serco

Content Note: Im folgenden Artikel geht es u.a. um Suizid, Gefängnisse, Gewalt. Hilfe bei Suizidgedanken bietet die telefonische Beratung unter 0800 111 0 111. Die Beratung ist anonym und kostenfrei.

European Homecare (EHC) ist einer der führenden privaten Betreiber von Sammellagern in Deutschland, mit über 100 Lagern in 11 Bundesländern – auch in MV, mit z. B. vier Lagern im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Für 40 Mio. € will Serco EHC kaufen und mit seinem Schweizer Unternehmen ORS zusammenlegen. Das Ziel laut dem Wirtschaftsprofessor Werner Nienhüser[2]: Die Expansion in dem internationalen Geschäft mit Asylsuchenden.

Milliardengewinne mit der Unterbringung, Inhaftierung und Abschiebung von Asylsuchenden

Serco betreibt schon länger Sammellager, Gefängnisse und Abschiebezentren für Asylsuchende im Globalen Norden. Besonderes Aufsehen erregen immer wieder die Inselgefängnisse im Pazifik, wo Serco Asylsuchende im Auftrag der australischen Regierung einsperrt, bevor sie Australien erreichen können. Unter anderem mit diesen Geschäften macht Serco Milliarden-Umsätze. Mit der Übernahme von EHC und Zusammenlegung mit ORS erwartet Serco laut eigener Aussage, den Profit zu steigern[3]. Serco ist ein börsen-notierter, internationaler Großkonzern. Das heißt, seine Geschäfte zielen auf Profit-Maximierung ab. Für die Unterbringung und Inhaftierung von Asylsuchenden bekommt Serco Geld von staatlichen Institutionen. Der Profit wird also maximiert, indem die Ausgaben für die Lager möglichst gering gehalten werden. Im Vokabular des CEOs Irwin: wirtschaftliche Effizienz auf Kosten der „Dienstleistungsnutzer“ (= Asylsuchende) – die „Kunden“ (= Regierungen in UK, Australien und Europa[4]) sind glücklich. So wird das Geschäft mit asylsuchenden Menschen zu einem Business wie jedem anderen - doch es geht um Menschenleben.

Serco: Spezialist in Nekropolitik[5]

Serco macht Geld damit, die rassistischen und tödlichen Politiken der Regierungen des Globalen Nordens zu ermöglichen. Immer wieder kommt zu Tage, dass gewaltvolle und elendige Verhältnisse in Lagern von Serco Menschen in den Suizid treiben [6].

So wurde im letzten November von Hogir A. berichtet, ein kurdischer Schutzsuchender, der sich in Folge der Verhältnisse im Lager und der Gewalt des Sicherheitspersonal erhängte[7]. Hogir A. hatte kontinuierlich dagegen angekämpft, wurde jedoch auf allen Eben ignoriert. Folgt der Initiative zur Aufklärung seines Todes auf Instagram.

Serco betreibt außer der Sammellager auch Abschiebeknäste, die ihrerseits ebenfalls immer wieder zu Suizidversuchen führen[8] und ihren Teil dazu beitragen, Schutzsuchende in lebensbedrohliche Bedingungen abzuschieben. Als großer Rüstungskonzern ist Serco außerdem involviert in Kriegslogistik, auch im Nahen Osten[9] und inklusive Atomwaffen[10].

Damit ist Serco Spezialist in Nekropolitik, einer Politik des Tötens und Sterben-Lassens: durch Waffengewalt vor der Flucht, Inhaftierung auf der Flucht, Sammellager im Aufnahmeland und durch Abschiebeeinrichtungen nach der Ablehnung.

Was nun?

Die Übernahme von EHC durch Serco lässt erwarten, dass die ohnehin schon zermürbenden Verhältnisse in Sammellagern noch schlimmer werden. Serco gewinnt damit außerdem an Einfluss und kommt damit in eine Position, bald bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland und Europa den Ton anzugeben.

Doch bevor das passieren kann, muss die Wettbewerbsbehörde der Übernahme zustimmen. Das darf nicht passieren!

Wir fordern:

Die Übernahme von European Homecare durch Serco muss abgelehnt werden, damit die Unterbringung von Asylsuchenden nicht weiter privatisiert und zu Geld gemacht wird!

Falls die Übernahme durchgeht, müssen sich die Städte und Kommunen in MV aus Verträgen mit Serco/European Homecare lösen. Keine Kooperation mit dem Rüstungskonzern!

Generell gilt: Dezentrales und selbstverwaltetes Wohnen für Geflüchtete! Für ein selbstbestimmtes Leben statt staatliche Kontrolle!

Stop Deportation! Die Verwicklungen von Serco machen die globalen Zusammenhänge überdeutlich. Niemand flieht ohne Grund. Für das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben!


[1] https://www.serco.com/media-and-news/2023/acquisition-of-european-homecare-a-leading-provider-of-immigration-services-in-germany
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/fluechtlingsunterkuenfte-serco-millionen-umsatz-100.html
[3] https://ch.marketscreener.com/kurs/aktie/SERCO-GROUP-PLC-9590148/news/Serco-erwartet-hoheren-Betriebsgewinn-durch-Ubernahme-von-European-Homecare-45568113/
[4] https://ch.marketscreener.com/kurs/aktie/SERCO-GROUP-PLC-9590148/news/Serco-erwartet-hoheren-Betriebsgewinn-durch-Ubernahme-von-European-Homecare-45568113/
[5] Mbembe, A. (2011). Nekropolitik. In: Pieper, M., Atzert, T., Karakayalı, S., Tsianos, V. (eds) Biopolitik – in der Debatte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92807-4_3
[6] https://www.abc.net.au/news/2012-02-17/20120217-amnesty-horror-stories-from-detention-centres/3836172
[7] https://anfdeutsch.com/aktuelles/der-tod-von-hogir-a-todliche-verantwortungslosigkeit-deutscher-behorden-40001
[8] http://100-jahre-abschiebehaft.de/de/suizid-in-abschiebungshaft
[9] https://www.serco.com/me/sector-expertise/defence
[10] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Serco