Bericht zum Leben im Lager

Am Donnerstag fand in Greifswald eine solidarische Kundgebung gegen rechte Hetze statt. Wegen der aufgeheizt Stimmung fanden leider keine Redebeiträge statt. Wir möchten hier die Worte eines Menschen dokumentieren,  der schon mehrere Jahre im Greifswalder Sammellager wohnt.

Ja, ich bin in Deutschland – seit mehreren Jahren – aber ich lebe noch nicht in Deutschland! Mein Fernseher ist das Fenster des Zimmers und meine beliebteste Sendung, das Leben in Deutschland!

Isolation für mehrere Jahren lang in einem Gebäude mit Kameras und Security. Einerseits Ablehnungen   von Asylverfahren, andererseits Isolation. Einerseits Isolation, andererseits gute Integration? Die Botschaft: Sie dürfen noch nicht in die Gesellschaft!

Wie fühlt man sich, wenn alle Menschen draußen frei leben, aber man pflichtig in einem Gebäude mit Kameras und Security und Beschränkungen für mehrere Jahren isoliert bleibt? – Man wird belehrt: du bist anders, ein anderes Lebewesen, du kommst von einem anderen Planeten; du bist ein Krimineller, du schadest der Gesellschaft; deswegen musst du – immer unter Überwachung – in so einem Gebäude abgesondert von der Gesellschaft bleiben. Es ist da nicht außergewöhnlich, wenn man eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung entwickelt, sich ständig minderwertig und unsicher fühlt und die sozialen Kontakte vermeidet.

Flüchtlingsheimplanet, ein dunkler, depressionsbedingter, schmutziger Planet. Angekommen, war ich sehr froh, hatte eine sehr gute Stimmung und große Motivation. Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt den   richtigen Platz zum Leben gefunden habe und ohne Gefahr leben und meine Ziele erreichen könnte.   Eigentlich beschloss ich am Anfang, in einer Universität in der Zukunft ein Dozent werden. Seht komisch aus, oder? Genau, denn ich hatte keine Ahnung von den Fluten...  Ich wurde im Flüchtlingsheim isoliert und mein Asylantrag wurde abgelehnt. Da mein Asylantrag abgelehnt wurde, musste ich für mehrere Jahre mit unsicherer Zukunft im Flüchtlingsheim abgesondert bleiben. Die neue große Herausforderung meines Lebens: Ein neues Kämpfen zum Überleben.

Ja! Ich wurde von der Gesellschaft isoliert. Obwohl man mehrere Jahre lang in Deutschland ist, wartet man trotzdem darauf, wann man in Deutschland mit dem Leben anfängt und wann man genauso wie andere in der Gesellschaft mit Leuten lebt und redet, Freundschaften aufbaut und genießt. Wann endlich  werde ich in Deutschland leben? Ich habe das Gefühl, dass ich Europa/Deutschland noch nicht erreicht habe. Das ist nur ein Traum, von dem ich noch in meinem Heimatland oder irgendwo innerhalb des Wegs nach Europa träume.

Am Anfang sah ich ein paar Flüchtlinge mit sehr traurigen Gesichtern und depressiven Stimmungen –  Ich fragte, was ist mit diesen Leuten los? Jemand lachte und antwortete: „Das ist deine Zukunft. Warte ein paar Jahren, dann weißt du es.“ Genau, jetzt weiß ich, was er meinte und ich höre manchmal, dass die neuen Flüchtlinge dieselbe Frage über mich stellen: „Was ist los mit ihm?“.

Die Leute sagen, Greifswald sei schön und läge am Meer. Ja, das stimmt: es ist schön, wenn man die  Fluten nicht sieht. Die dunklen Fluten, die oft ins Flüchtlingsheim fließen. Fluten von Angst, Hoffnungslosigkeit, Stress und Depressionen. Die fast alle Bewohner bereits betroffen haben und in  denen bereits einige ertrunken sind. Wenn dein Nachbar/Freund dich nicht mehr erkennt und braucht, da er mit sich selbst spricht und lacht und weint und an die Wand mit seinem Blut malt. Wenn die Polizei in der Mitternacht kommt und der/die Flüchtling vor Abschiebung weint und schreit und alle andere Flüchtlinge aufwachen, aufstehen, rauskommen und ihre wahrscheinliche Zukunft mit schläfrigen Augen und Sorgen beobachten – dann erinnert man sich an eine Schafherde, die eines von ihnen mit Angst beobachtet, das geschlachtet wird.

Es ist hier keine Überraschung mehr, wenn jemand plötzlich kommt und dich ohne Grund körperlich  oder verbal belästigt und beleidigt; oder wenn zwei Männer mit einander kämpfen; wenn jemand die  Spiegel, die Tür und Fenster zerbricht. Das passiert, wenn man für mehrere Jahre keine Privatsphäreund keine Ruhezeiten hat. Man muss in diesem Depressions- und Drogengebäude immer gegen diese Fluten kämpfen, um zu überleben. Wenn man das Heim betritt, kann man nichts anderes machen, außer gegen diese Fluten zu kämpfen. Ein Teufelskreis, der einem nicht erlaubt, sich zu entwickeln; der einen zwingt, aufzugeben.

Wir sind mit diesem Heim konditioniert. Es geht immer mit Stress, Angst und Depression einher. Alle Hoffnungslosen unter einem Dach!  Verbreiteter Drogenmissbrauch – Arme Flüchtlinge, sie wissen nicht, dass Drogen sie gegen diese Fluten nicht retten können, sondern sie ertrinken lassen, sodass sie nichts mehr empfinden können.  Flüchtlingsheim – eine Maschine, die Flüchtlinge gesund aufnimmt und nach ein paar Jahren krank wieder abgibt!

Notiz: ich bedanke mich bei den netten Mitarbeiter*innen der European Homecare, da sie immer nett   zu uns sind.