Antira in Zeiten des Krieges

Am 21. März ist der internationale Tag gegen Rassismus. Ein Anlass für uns, unsere Auseinandersetzung mit Rassismus rund um die europäische Asylpolitik hinsichtlich der Flüchtenden aus der Ukraine hier transparent zu machen.

Vor wenigen Wochen brach ein Krieg in Europa aus. Ein Krieg, der von einem radikalkonservativen Autorkraten unter pseudo-antifaschistischer Propaganda geführt wird. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist enorm. Wir sind begeistert, wieviele Menschen bereit sind, die Angegriffenen und Flüchtenden zu unterstützen.

Als antirassistische Initiative, möchten wir auf ein paar grundlegende Forderungen zur deutschen & europäischen Asyl- und Migrationspolitik hinweisen. Diese Forderungen in die aktuelle Empathiewelle und Unterstützungspraxis einzubeziehen, halten wir für wichtig, um auch in der Krise noch Ansätze für eine fortschrittliche, emanzipatorische Veränderung der Welt zu finden.

Grenzen öffenen! Bewegungsfreiheit für alle!

Es ist die Kernforderung der antirassistischen Bewegung. Sie ist gleichermaßen radikal-utopisch wie realpolitisch nötig, um das Sterben an den Grenzen zu beenden: Die Menschheit muss die "Sortiermaschinen" Grenzen überwinden. Grenzen sind vor allem für diejenigen am tödlichsten, die am schutzbedürftigsten sind. Überwinden können sie meist am einfachsten diejenigen, die Privilegien wie den "richtigen Pass", "das richtige Visum" oder das nötige Geld besitzen. Sortiert wird stets nach rassistischen und klassistischen Ordnungssystemen.

Auch angesichts des Krieges und des faschistoiden Vormarschs in der EU müssen wir unsere Solidarität global denken. Auch wenn wir jetzt über Geflüchtete sprechen, sollten wir dies mit dem Blick auf die Welt tun: Flucht findet größtenteils nicht in Europa statt. Die wenigsten fliehenden Menschen können sich umsonst in den ICE setzen. Millionen Menschen verlassen nicht das Land, in dem ihnen Verfolgung und Krieg drohen. Millionen hängen in den Regionen rund um die Krisenherde in riesigen Flüchtlingslagern fest. Die Lager in Kenia, in Yemen, in Nordsyrien und an hunderten anderen Orten zeigen uns deutlich, dass wir Unterdrückung nur global bekämpfen können.

Geschlossene Grenzen bedeuten im globalen Grenzeregime stets Gewalt. Dieser Gewalt macht sich die EU seit Jahren schuldig: An der belarussisch/polnischen Grenze erfrieren Menschen. Im Mittelmeer ertrinken Menschen oder werden in Libyens Folterknäste und Sklavenmärkte zurückgeschoben. In Melilla prügelt die Grenzpolizei auf Flüchtende ein. Strafverfolgung richtet sich nicht gegen Grenzpolizist:innen, die illegale Pushbacks machen, sondern gegen Flüchtende und Unterstützer:innen.

Break Isolation!

Klassische antirassistische Forderungen, die darauf abzielen, die Ausgrenzung von Asylsuchenden in Deutschland abzuschaffen, sollten von Ukraine-Support-Initiativen aufgenommen werden. Wir dürfen keine Unterschiede zwischen den Menschen machen, die hier ankommen. >Gleiche Rechte für alle!< bedeutet zum Beispiel:

Sammellager schließen! Solidarität in Form von Wohnungsangboten ist eine feine Sache, aber bitte für alle. Dass MV innerhalb weniger Tage 1000 Wohnungen bereitstellen kann, zeugt davon, dass wir als Gesellschaft die rassistischen Gesetze hinnehmen, die wiederum tausende Leute zum Leben in Sammellagern und Erstaufnahmelagern zwingen.

Arbeitserlaubnis für alle! Es ist schön, dass Ukrainer:innen mit dem §24 schnell und unkompliziert Zugang zu Arbeit haben werden. Denn das eigene Leben aktiv in die Hand zu nehmen, kann helfen emotionale und seelische Wunden zu heilen, die mit Krieg, Verfolgung und abrupter Migration einhergehen. Das Recht auf Arbeit muss jedem Menschen zustehen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Es wird im Asylrecht als Sanktion zur Repression eingesetzt, das muss unverzüglich beendet werden. Der schnelle Zugang vieler tausend Menschen zum deutschen Arbeitsmarkt darf außerdsem nicht mit einem Abbau an Arbeitsrechten einhergehen. Gute Arbeit für alle!

Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen! Die ukrainischen Geflüchteten werden ebenso wie andere Menschen im Asylverfahren und mit Duldung Sozialleistungen nach dem "Asylbewerberleistungsgesetz" (AsylbLG) bekommen. Dieses Gesetz ist ein rassistisches Parallelgesetz. Es entstand während der Repressionswelle gegen Asylsuchende Mitte der 90er Jahre. Es schließt Asylsuchende und Geduldete von regulären Sozialleistungen aus. Die enthaltenen Leistungen bewegen sich weit unter dem ohnehin zu niedrigen "Existenzminimum". Medizinische Versorgung ist laut AsylbLG nur in aktuten Notfällen und bei Schmerzzuständen möglich.

Aufenthaltsperspektiven statt Duldungen und zermürbende Asylverfahren! Es ist wunderbar, dass für ukrainische Geflüchtete nun unkompliziert eine Aufenthaltserlaubnis nach §24 möglich sein wird. Dass das möglich ist, liegt an der Haltung, mit der Europa den Geflüchteten begegnet: Wir gehen davon aus, dass sie nicht einfach an einem anderen Ort in der Ukraine unterkommen können. Wir rechnen nicht nach, wie hoch die "Tötungswahrscheinlichkeit" "tatsächlich" ist. Makaber. Aber ja, das machen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Gerichte für Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus Nigeria und anderen Ländern, in denen Krieg und bewaffnete Konflikte herrschen.
Genau diese Haltung brauchen wir allen Asylsuchenden gegenüber: Niemand flieht ohne Grund. Häusliche Gewalt, Ausbeutung oder Marginalisierung sind genauso gute Gründe an einem anderen Ort in der Welt eine Perspektive und Freiheit zu suchen wie Krieg und Verfolgung.

Rassismus bekämpfen!

Rassismus sitzt tief in unserer Gesellschaft. Wir können gar nicht oft genug sagen, wie wichtig es ist, ihn jeden Tag aufs neue auf jeder denkbaren Ebene zu bekämpfen.

Rassismus ist fester Bestandteil nationalistischer, konservativer Weltbilder und findet über entsprechende Parteien und Akteur:innen Eingang in staatliches Handeln. Wir sehen dies derzeit unmissverständlich dort, wo europäische Politiker:innen davon sprechen, dass Ukrainer:innen als "Christ:innen" bzw. als "kulturell Gleiche" willkommener sind als Flüchtende aus anderen Regionen der Welt. Institutionell zeigt sich dieser Rassismus, wo nun die Anwendung des europäischen Massenfluchtparagrafen für Menschen aus der Ukraine möglich wird. 2015 wurde diese unkomplizierte Form der Aufnahme Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan verweigert, weil sich die offen rassistisch argumentierenden Regierungen in Polen und Ungarn sperrten.

Rassismus ist fester Bestandteil der Gesetze, die unsere Welt und unsere Gesellschaft ordnen. Wir sehen das auch dort, wo Menschen ohne europäische Pässe die Einreisen aus der Ukraine in die EU verweigert werden, weil sie ein Visum bräuchten, um vor dem Krieg zu fliehen. Wir sehen diesen Rassismus auch dort, wo die Sortiermaschiene Grenze zuerst Menschen of Colour trifft, die mittels Racial Profiling an den Grenzübergängen oder Bahnhöfen zur Seite genommen werden.

Bezüglich dieser rassistischen Handlungen gab es in den sozialen Medien in den letzten Wochen eine breite Solidarität und die Handlungsbereitschaft sie nicht zu akzeptieren und Betroffene von den Grenzen abzuholen. Das zeigt, dass in Deutschland das Bewusstsein um Rassismus in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Wir müssen an die Erfolge der antirassistischen Bewegungen anknüpfen und auch jetzt weiterhin unermüdlich Rassismus benennen und Sand ins Getriebe rassistischer Institutionen werfen.

Rassismus ist Teil des Denkens und Fühlens jedes einzelnen Menschen. Über Jahrhunderte wurden bestimmte rassistische Zuschreibungen in unsere Vorstellung von der Welt gepflanzt. In den vergangenen Wochen traten insbesondere Orientalismus/antimuslimischer Rassismus und Rassismus gegen Schwarze Menschen ins Licht der Öffentlichkeit. Auch antislawischer Rassismus, insbesondere in Verbindung mit sexistischen Vorstellungen wurden thematisiert.

Auf der To-do-Liste für jede:n von uns steht:

  • Verstehen, wie Rassismus unsere Welt strukturiert
  • Ihn dort bekämpfen wo wir ihn treffen
  • Rassist:innen aus Ämtern entheben
  • Rassistische Gesetze unmöglich machen

Abrüstung und Antifaschismus!

Von Krieg und Aufrüstung profitieren immer in jeder Situation Waffenkonzerne und deren Aktionäre. Krieg trifft dagegen immer am härtesten und mörderischsten die Menschen, die kein Geld haben, um (weit weg) zu fliehen. Klüger als Krieg ist deswegen immer eine gewaltfreie Umwälzung der Verhältnisse und ziviler Aufbau duch Bildung und Emanzipation.

Diesem Anspruch kann man schwer gerecht werden, wenn man einem Angriffskrieg gegenübersteht. Bewaffneter Kampf gegen den Vormarsch grausamer Regime und Autokraten ist deshalb legitim. Doch wir dürfen Selbstverteidigung und Krieg nicht romantisieren. Faschos und Radikalkonservative werden in bewaffneten und gewaltvollen Auseinandersetzungen immer im Vorteil sein, weil ihre Weltbilder auf Abwertung und Töten fußen. Es gibt keine Kriege und keine Kämpfe ohne Tod von Zivilist:innen und ohne Menschenrechtsverletzungen. Dass wir uns damit in den letzten Jahren in Europa so wenig befassen mussten, ist ein Privileg. Dass wir aktuell keine tragfähige emanzipatorische Antwort auf den russischen Angriffskrieg haben, zeugt davon, wie wenig wir uns mit den Freiheitsbewegungen an anderen Orten auf der Welt verbunden fühlen, wie wenig wir mit ihnen solidarisch im Austausch sind und wie wenig wir ihre Strategien kennen.

Die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro aufzurüsten, ist mittelfristrig keine schlaue Idee: Rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr sind völlig unzureichend aufgearbeitet. Eine Remilitarisierung Deutschlands mit den derzeit genannten Summen ist daher absolut unangebracht. Neben organisierten Netzwerken in bewaffneten Strukturen sollten wir auch die deutsche Naziszene genauestens beobachten: Nazis sind weltweit vernetzt. Deutsche mit ukrainischen Faschos, AfD mit Assad, Putin mit Trump, Erdogan & Chamenei. Mit dem Aufruf an internationale Freiwillige werden sich diese Faschos zusammentun und gemeinsame Kampferfahrung sammeln. Das sollte uns Sorgen bereiten und uns zu entsprechenden Debatten veranlassen.

Als Antifaschist:innen sehen wir zudem mit Sorgen, wie viele Menschen ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine mit nationalistischen Symbolen wie Nationalflaggen und -farben Ausdruck verleihen. Der Wunsch nach Frieden vermischt sich hier mit der Begeisterung für Nationalstaatlichkeit, die Kriege eher provoziert als sie zu verhindern. Auch hier zeigt sich eine Lücke: Uns fehlen Symbole für Freiheit und Demokratie, die uns als globale Bewegung einen. Unsere Solidarität mit den Betroffenen des faschistoiden Einmarschs in der Ukraine muss im gleichen Atemzug unsere Solidarität mit den Revolutionären in Syrien ausdrücken, die sich gegen Assads und Putins Bomben wehren; genauso muss sie unsere Solidarität mit den Genoss:innen in russischen Knästen ausdrücken; und mit den mutigen Frauen in Afghanistan, die sich den Taliban widersetzen; und hunderttausenden Menschen mehr, die sich Faschismus und Diktaturen in den Weg stellen.

Refugees welcome!

Frieden ist kein Normalzustand, Frieden ist fragil. Auch wenn wir in Deutschland uns das in den letzten Jahren wenig bewusst gemacht haben: Frieden und Freiheit müssen wir als globale Bewegung gegen rechte Ideolog:innen verteidigen. Unsere Unterstützung und Solidarität muss für dabei allen Flüchtenden und Migrant:innen gelten, die nach Europa wollen - nicht nur weißen christlichen europäischen Flüchtenden. Wir dürfen Rassismus nicht dulden.

Als antirassitsiche Initiaive wollen wir hier einen Debattenbeitrag leisten, zu einem Zeitpunkt, an dem kaum jemand den Kopf dafür hat, Debatten zu führen. Dennoch ist uns wichtig, die vielfältigen Erfahrungen, die wir mit Aktivist:innen aus verschiedenen Ländern in den letzten Jahren geteilt haben, nun zu besprechen.

Genau jetzt ist es wichtig mit den Freund:innen zu sprechen und von ihnen lernen, die seit Jahren in Syrien, in Afghanistan, in Mali, und unter anderen radikalkonservativen und rechten Regierungen Widerstandsformen entwickelt haben.