Redebeitrag: Kontinuitäten von Rassismus und Widerstand

Am 19. Februar fand in Rostock eine Gedenkkundgebung für die Opfer und Überlebenden des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau statt. Vielen Dank an den Migrant:innenrat Rostock für die Orga! Unseren Redebeitrag lest ihr hier.

Der heutige Tag ist ein Anlass, um den Betroffenen rassistischer Gewalt zu gedenken.

Wir gedenken heute Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov, die durch den rechsterroristischen Anschlag in Hanau viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden. Wir gedenken nicht nur ihrem Tod, sondern auch ihrem Leben und sind in Gedanken bei ihren Freund:innen und Angehörigen.

Tage des Gedenkens sind ein Anlass, um im Blick zurück Antworten für die Gegenwart und für das Morgen zu finden. Ich spreche hier für Pro Bleiberecht, eine antirassistische Initiative. Rassismus prägt die Welt, in der wir leben und er prägt uns Menschen, die wir in dieser Welt leben. Rassismus zu bekämpfen ist eine tägliche und eine globale Aufgabe für jede:n von uns, mit der wir einen individuellen und kollektiven Umgang finden müssen. Dieses Gedenken ist eine der kollektiven Antworten.

Ich möchte im Folgenden die Verbindungslinien zwischen Rassismus und Gewalt aufzeigen, zwischen körperlicher Gewalt und institutioneller Gewalt. Abschiebungen, Terror, Asylgesetzverschärfung, es sind Ausformungen derselben Ideologie. Sie alle haben gemein, dass sie tödlich enden können: In Folterknästen, bei Anschlägen, durch Suizide. Wir erinnern heute an extreme Gewalt, nämlich die Morde eines Terroristen, der Angst und Verunsicherung in die Gesellschaft säen wollte, insbesondere unter Migrant:innen und migrantisierten Menschen.

Wenn von rassistischer Gewalt die Rede ist, folgen wir gern dem Reflex von physischer Gewalt durch ideologisch gefestigte Faschisten zu sprechen. Wir sprechen selten über diejenige Gewalt, die unsere Gesellschaft von Grund auf strukturiert: Rassistische Gesetze und rassistische Institutionen - mit denen wir Menschen täglich eine stille, eine scheinbar "normale" Form der Gewalt antun. Es ist die Gewalt, die nicht von gewaltbereiten Terroristen kommt, sondern Gewalt, zu der wir alle bereit sind, weil wir sie schweigend hinnehmen: Wir Bürger:innen, wir Schreibtischtäter:innen, wir die wir andere Dinge im Kopf haben.

Wir möchten hier heute über institutionellen Rassismus reden, weil wir denken, dass wir dessen Gewalt nicht vergessen dürfen, während wir der Opfer und Überlebenden des rassistischen Terrors gedenken. Wir müssen den Terror jeden Tag bekämpfen, indem wir den Rassismus an seinen Wurzeln angehen: In den Köpfen, in den Institutionen, im Alltag.

Institutioneller Rassismus

Institutioneller Rassimsus, das sind rassistische Gesetze. Es sind Gesetze, die  jeden Tag Menschen psychische und strukturelle Gewalt antun: Menschen werden stigmatisiert und in Lagern isoliert, ohne Ruhe, ohne Privatsphäre, ohne Rücksicht auf das Kindeswohl. Sie werden unter Generalverdacht gestellt und ihre Grundrechte werden ausgesetzt – beispielsweise mit der massenhaften Auslese der Handys von Asylsuchenden oder der absurden Ausweitung von Abschiebehaft auf per Defintion Jede:n.

Duldungen und „erhöhter Ausreisedruck“ sind es, die den Betroffenen Formulierungen abringen wie: „They are killing us, slowly. They take humanity from us.“

Rassistische Gesetze zeigen uns, dass Rassismus niemals ausschließlich ein Phänomen der extremen Rechten oder des rechten Randes war und ist. Institutionelle rassistische Gewalt findet breite Zustimmung bis hinein in die sog. linke Mitte bei Entscheidungsträger:innen, zB in der SPD - von Asylkompromiss bis Asylpaket.

Vom Ende der Unsichtbarkeit

Solange es Rassismus gibt, solange gibt es Menschen, die sich dagegen wehren. Institutioneller Rassismus bleibt nie unbeantwortet. Es gibt Widerstände, die aber aus dem öffentlichen Gedächtnis gedrängt werden, das war lange das Erfolgsrezept der Rassist:innen. Denn Rassismus und rassistische Gesetze wurzeln im Rassenwahn und der Idee "weißer Vorherrschaft", die wir noch nicht geschafft haben aus unserer Gesellschaft zu tilgen.

Wir stehen hier neben einer Stele, die an das rassistische Pogrom in Lichtenhagen erinnert und möchten daher ein Beispiel für institutionellen Rassismus nennen, das daran anschließt: Das Aufnahmelager Nostorf-Horst, das auf die ZASt Lichtenhagen folgte. Es liegt, wo es liegt, weil das einen Zweck erfüllt: Es liegt isoliert und abgelegen. Es steht damit für die Lesart der Schreibtischtäter: "Das Problem sind die Flüchtlinge. Wenn wir sie un-sichtbar machen, haben die Rassisten kein Ziel mehr." Nach dem Motto: Ohne Pogrome kein Problem.
Dass Horst keineswegs ein sicherer Unterbringungsort für die Betroffenen aus der ZASt war, zeigen mehrere Angriffe in den Vormonaten auf die nahegelegene Unterkunft in Bahlen. Die Situation war für die dort untergebrachten Asylsuchenden so bedrohlich, dass 140 Menschen im Mai 1992 nach Lauenburg (Schleswig-Holstein, ca. 10 km entfernt) gingen und dort forderten, ihre Asylverfahren in den alten Bundesländern machen zu können. Diese Forderung wurde übergangen  und weitere Gewalt schlichtweg einkalkuliert und eingepreist.

Betroffene forderten zu Beginn der 90er Jahre wiederholt, dass sie nicht in die neuen Bundesländer umverteilt werden, da dort die Gewalt ungemein stärker tobte als in den alten Ländern. Doch wer erinnert sich heute noch an die Forderung "Keine Zwangsverteilung!"? Die Kirchenbesetzung in Neumünster 1991, mit der Menschen gegen die Zwangsverteilung nach Greifswald demonstrierten ist dafür ebenso ein Beispiel wie der Protestzug von Bahlen nach Lauenburg und die Besetzung der TU in Berlin durch Aktivist:innen aus verschiedenen Bundesländern.

Und um die Kontinuitätslinien noch etwas weiter zurückzuverfolgen: Rom:nja-Aktivst:innen verweisen seit den 80er Jahren auf die Kontinuitäten der nationalsozialistischen Vernichtung während des Porajmos. 1991 taten sie dies gemeinsam mit jüdischen Aktivist:innen, als sie das Rathaus in Rostock besetzten und die erste Erinnerungstafel an das Pogrom dort anbrachten - lediglich 2 Monate nach dem Pogrom. Die Regelung rund um "sichere Drittstaaten", die allen voran Rom:nja traf, die vor Gewalt und Marginalisierung flohen, steht in der Kontinuität des vernichtenden Gadje-Rassismus und seiner Institionen. Zuletzt mündete dieser Rassismus in den sog. "sicheren Herkunftsländern", die 2014/15 von der Bundesregeriung beschlossen wurden.

Und auch nach Hanau können wir diese Linie verfolgen. Mit dem Anschlag auf einen migrantisch geprägten Ort, traf der Rassismus des Terroristen 9 Menschen, darunter Mercedes Kierpacz. Ihr Großvater starb im Vernichtungslager in Auschwitz, verfolgt als Rom.

Was sich ändert

Die Angehörigen und Überlebenden in Hanau haben sich einen Ort der Erinnerung geschaffen und fordern unermüdlich Aufklärung und Konsequenzen. Sie warten nicht darauf gesehen zu werden, sie machen sich und ihre Positionen sichtbar. Das zeugt von Stärke und einem klaren Bewusstsein über den Rassismus in unserer Gesellschaft. Sie stehen in einer langen Reihe der Selbstermächtigung von Betroffenen, die über viele Jahrzehnte unermüdlich diese Gesellschaft zum besseren verändern.

In Hanau sehen wir, wie Solidarität und Zusammenhalt Antworten auf die Gewalt und den Schmerz der Überlebenden, Angehörigen und Freund:innen sind. Wir sehen auch, dass wir kollektiv in der Lage sind, dem rechten Terroristen ein Stück seiner Macht zu nahmen, indem wir die Leerstelle, die seine Gewalt gerissen hat, mit unserem Erinnern, mit Solidarität und Mitgefühl füllen, mit Zusammenhalt und einer antirassistischen Praxis. Denn: Erinnern heißt verändern.

Wir nehmen genauso die Verantwortung für den täglichen, den stillen Rassismus an, der in Aufnahmelagern und Asylgesetzen steckt. Wir müssen uns die Kämpfe ins Bewusstsein rufen, die Akivist:innen seit Jahrzehnten gegen institutionellen Rassismus führen und auch diesen Rassismus bekämpfen. Denn: Erinnern heißt verändern.

Für eine antiraisstische Praxis gegen Rassismus in jedem Gewand.