Manchmal ist es schwer, das, was wir in Horst hören, in Worte zu fassen. Wir begegnen dort Menschen, die Unglaubliches erreicht haben. Die soviel mehr erlebt haben und für soviel mehr gekämpft haben als wir es uns vorstellen können.
Manchmal ist es schwer, von diesen Begegnungen zu berichten. Wir benennen die immergleichen Missstände (die die Verantwortlichen immerwieder leugnen) und wiederholen die immergleichen Forderungen (die die Verantwortlichen immerwieder ignorieren).
Manchmal ist es leichter, einfach wiederzugeben, was Leute in Horst uns erzählen. Das versuchen wir hier heute und laden euch gleichzeitig ein, zur nächsten Mahnwache zu kommen und es selbst zu hören. Die folgenden Informationen haben wir aus den Gesprächen am Sonntag entnommen. Es handelt sich um Berichte von Menschen, die alle bereits mehrere Monate zwangsweise in der Aufnahmeeinrichtung leben müssen. Um die Berichte zu anonymisieren, sind sie nicht bestimmten Personen zugeordnet.
Rassismus ist Alltag
Für manche Menschen ist das Leben in Horst einfacher als für Andere. Manche sind weißer als Andere. Für Manche gibt es Ansprechpartner*innen in ihren Erstsprachen (russisch, farsi, arabisch). Für Andere nicht. Schwarze Asylsuchende erleben mehr offenen Rassismus als Andere, im Camp, aber auch bei Spaziergängen rundherum und in den nächstgelegenen Städten. Rassismus ist Alltag. Ignoriert werden, angerempelt werden, auf den Status reduziert werden.
Rassismus ist: „We are in Germany. Speak German!“ von denjenigen zu hören, die im Alltag unterstützen sollen, wenn man sich erst wenige Tage (!) oder Wochen in Deutschland aufhält.
Rassismus ist: Keine medizinische Beratung zu bekommen, weil sich eine Mitarbeiterin weigert, ihre Antworten auf englisch zu geben (während sie offensichtlich die Fragen versteht). Rassismus ist, wenn keine*r zuhört und keiner*r sagt, was Phase ist.
Menschen verkümmern
Der Alltag in Horst ist monoton. Der gleiche Speiseplan, jede Woche. Die gleichen Essenszeiten, jeden Tag. Der gleiche Wurst-und-Käse-Misch jeden Vormittag und jeden Abend. Keine Schule, kein richtiger Deutschkurs, keine Beschäftigung. Lächerlich langsames Internet. 3 Monate, 6 Monate, 18 Monate, länger.
Es verdummt, es raubt die Lebensenergie. Die Gedanken kreisen. Um das, was man erlebt hat; um das, was man zurückgelassen hat; um das, was kommen mag. Es gibt keine Perspektive. Keine Ansage, was einen erwartet, wie lange man in Horst sein wird, wo man danach hin kommt.
Es gibt keine Hilfe. „Sorry, I can‘t help you“, ein Satz den Mitarbeitende der Einrichtung wohl stoisch wiederholen. Ein absurder Inhalt für einen Job, der „Sozialbetreuer*in“ heißt. I - can‘t – help - you. Deutsche Gefängnisse sollen besser sein als diese Monotonie. Man kann dort arbeiten und etwas lernen.
Man läuft in Horst gegen Wände, bemüht sich um Veränderung, aber nichts ändert sich. „It turns us into emotional cripples“. Das Camp-System stutzt Menschen zurecht in Menschen, die tun was man ihnen sagt. 80-Cent-Jobs (natürlich unfreiwillig). Nichtstun. Aushalten. Abwarten. Abwarten. Abwarten. Man verliert die Hoffnung und die Lust am Leben.
Asylsystem in Deutschland
Jemand hat am Sonntag das Asylsystem in Deutschland so beschrieben: „Stell dir vor, du bist an einem Bahnhof. Draußen, auf der Straße. Mit nichts, nachts. Jemand kommt und sagt >Hey, ich helfe dir, komm mit zu mir nach Hause<. Er nimmt dich mit – aber er lässt dich draußen vor seiner Tür, wieder auf der Straße. Du wartest. Wenn du beginnst kleine Steine an sein Fenster zu werfen, um auf dich aufmerksam zu machen, schreit er dich an. Und dann stehst du einfach weiter vor seinem Haus. Immer noch draußen, auf der Straße.“
Unsere Antwort: Solidarität
Diese Welt ist kaputt und auch das System, mit dem wir leben. Was uns nach Horst treibt, ist der Kontakt mit den unglaublich starken Menschen, die den Weg hier her gegangen sind. Jemand, die die Mahnwache betritt mit den Worten „Ach, scheiße! Erdogan!“ und dann eine Stunde von ihren Aktivitäten für die Freiheit berichtet. Jemand, der sich in Thailand gegen den wachsenden Einfluss der Monarchie gewehrt hat. Jemand, der sich gegen die Unterdrückung ihrer künstlerischen Freiheit im Iran aufgelehnt hat. Jemand, der offen über die Missstände in Horst berichtet.
Die Mahnwachen enden meist mit gemischten Gefühlen: Kaum eine*r von uns Besucher*innen geht fröhlich nach Hause. Horst liegt schwer im Magen. Doch das Feedback der Bewohnenden ist meistens positiv: „Schön, dass ihr hier wart“. „Es hat gut getan, mit euch zu sprechen“. „You are the first people i meet in Germany, who are not racist“. „Fuck the system“!
Die nächste Mahnwache ist am 25. April, 13-16 Uhr.
Bildet Autobanden.
Wenn ihr Aktionsideen habt, schreibt uns gerne vorher und bringt sie mit.