Stigmatisierung in Sammelunterkünften für Asylsuchende – No Lager!

Folgenden Redebeitrag haben wir am 19. November bei der Kundgebung "No Lager! Bewegungsfreiheit für alle!" in Schwerin gehalten.

Moin! Ich spreche für Pro Bleiberecht, eine antirassistische Initiative, die sich mv-weit für die Rechte der Asylsuchenden einsetzt. 

In den vergangenen zwei Monaten sind wir unter dem Motto "No Lager!" durch das Bundesland getourt und haben verschiedene Sammelunterkünfte für Asylsuchende besucht. Wir haben diese Aktion gestartet, weil wir grundsätzlich denken, dass die Kasernierung von Menschen in Lagern - egal wo- nicht richtig ist! Egal, ob es in Agadez in Libyen, in Moria auf Lesvos, in Horst im Wald oder irgendwo sonst in Mecklenburg-Vorpommern ist: Sammelunterbringung stigmatisiert die Betroffenen. Sie ist ein rassistisches Gesetz, das schnellstmöglich abgeschafft werden muss! 

Sammellager machen krank

Sammelunterbringung macht Menschen zudem krank. Meistens merken wir Unterstützer*innen das, wenn Bewohner:innen von Unterkünften uns von den Auswirkungen des Lebens dort auf ihre mentale Gesundheit berichten. "Killing us slowly" hat es kürzlich jemand aus Horst genannt, der dort bereits nach etwa zwei Monaten unter einer Depression litt. Zum Nichtstun verdonnert, ohne richtigen Kontakt in die Gesellschaft, oft ohne Perspektive - das macht die Leute fertig. Es ist ein Zustand, den wir als kritische Zivilgesellschaft nicht akzeptieren dürfen!

Wie in so vielen Bereichen zeigt uns Covid-19 auch beim Thema Sammelunterbringung gesellschaftliche Missstände in aller Deutlichkeit. In Sammelunterkünften ist das Risiko an Corona zu erkranken 6-mal so hoch wie außerhalb davon. Dennoch wird diese ausgrenzende Unterbringungsform beibehalten - die Verantwortlichen zeigen damit in unbarmherziger Weise ihr rassistisches Weltbild. Was für die Einen (mit deutschem Pass) selbstverständlich ist, bekommen die Anderen (Asylsuchende) nicht: Das Recht auf Abstand. Und damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit.

Wir wollen euch an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen, was wir meinen.

In den vergangenen zwei Wochen entspann sich um die Corona-Infektionen im Erstaufnahmelager Stern Buchholz ein rassistisch geprägter Diskurs. Das Innenministerium MV hat damit angefangen, die Lokalpresse hat munter weitergemacht. 

Problem 1: Die Rassistische Meldung des Innenministeriums

Am 4. November veröffentlichte das Innenministerium eine Pressemitteilung mit der Überschrift "Covid-19 positiv getesteter Asylbewerber unerlaubt aus Quarantäneeinrichutung entfernt". Das Innenministerium macht damit das individuelle Handeln einer migrantischen Person zum Gegenstand öffentlichen Interesses. Der Aufenthaltsort deutscher Corona Patient:innenen scheint dementgegen nie relevant zu sein. Das impliziert eine von migrantischen Patient:innen ausgehende Bedrohung, die so durch deutsche "Quarantänebrecher:innen" nicht bestünde. Diese Unterscheidung ist klar rassistisch. 

Problem 2: Die einseitige Berichterstattung des Nordkurier

Der Nordkurier griff die Pressemitteilung des Innenministeriums auf und berichtete mehrfach über diese eine Person, die das Gelände verlassen hatte. Auch hier steht zuallererst die Frage: Warum? Welchen journalistischen Mehrwert hat diese Berichterstattung für die Gesellschaft?

Auch der reißerische Tonfall des Berichts ist unseriös: Die Formulierung "floh aus der Unterkunft" und "über den Zaun" lässt diese Person wie eine:n flüchtige:n Schwerverbrecher:in erscheinen. Verlässt eine deutsche Person ihr Zuhause, dann "verlässt sie ihre Wohnung". 

Darüberhinaus wird in den Artikeln keineswegs ein umfassendes Bild der Lage gezeichnet. Der Autor beschränkt sich darauf eine nicht näher genannte Quelle ("Insider") zu zitieren und die Antwort des IM auf deren Vorwurf wiederzugeben. Was fehlt sind - wie immer in der Lokalpresse Mecklenburg-Vorpommerns: Die Perspektiven der Bewohner:innen des Lagers. In diesem Fall insbesondere die Perspektive des betroffenen Asylsuchenden.

Was außerdem fehlt, ist der gesellschaftliche Kontext. Denn ohne diesen verkommt die Berichterstattung zu einer unseriösen Einzelfalldarstellung, die auf Klicks (heißt: Auf den rassitischen online-Mob) zugeschnitten ist.

Das eigentliche Problem: Der Rassismus im System

Das eigentliche Problem ist der hinter all dem stehende gesellschaftliche Rassismus, der sich in unseren Asylgesetzen widerspiegelt. 

Das deutsche Asylrecht behandelt Asylsuchende nicht einfach nur wie Menschen zweiter Klasse sondern spricht ihnen grundlegende Grund- und Menschenrechte ab. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, auf (Schul-) Bildung und auf medizinische Versorgung sind für deutsche StaatsbürgerInnen garantiert. Asylsuchende werden diese Rechte aber verwehrt. 

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Sozialleistungen, die Menschen in Deutschland zustehen. Es wurde ein Mindestmaß an Geld errechnet, das nötig ist, um in Deutschland ein lebenswertes Leben zu führen, also Wohnung, Lebensmittel, Transport, Hygiene, Freizeitgestaltung. Diese Summe wird als Hartz4 ausgezahlt. Für Asylsuchende gibt es eine rasssitische parallele Gesetzgebung, das Asylbewerberleistungsgesetz. Sie müssen mit noch weniger zurecht kommen. Sie erhalten nur etwa 80% des Hartz-4-Satzes.  Zusätzlich müssen sie in Sammelunterkünften in Mehrbettzimmern ohne eigene Toilette/Dusche oder Rückzugsmöglichkeit leben.

No Lager - Ohne Wenn und Aber!

Wir stehen jetzt hier und demonstrieren gegen die Unterbringung von Menschen in Lagern. Wir blicken dabei auf das Innenministerium, von dem wir in der Zukunft kaum erwarten können, dass sie ihre menschenverachtende Einstellung ändern. 

Für uns Unterstützer:innen bleibt also immer die Frage: Was können wir tun, um den Rassismus im System zu überwinden. Die Antworten sind vielfach.

  • Zunächst dürfen wir uns nicht entmutigen lassen: Unser Protest muss ungeachtet aller Gesetzesverschärfungen und Stigmatisierungen weitergehen. Es ist ein Kampf, den wir nicht aufgeben dürfen!
  • Dann muss unser erster Schritt immer Richtung derjenigen weisen, die von der rassistischen Lagerpolitik betroffen sind. Ob es Initiativen auf Lesvos oder in Italien sind, die die Menschen direkt nach der Ankunft in Europa supporten; oder ob es unsere No-Lager-Aktionen hier vor Ort sind: Wir müssen in Kontakt sein und die unsichtbaren Grenzen überwinden, die rassistische Gesetze zwischen Menschen ziehen!
  • Und zuletzt sollte unsere Solidarität praktisch werden. Deswegen: Schließt euch an und protestiert gegen jedes Lager! Kommt heute Abend zur online-Infoveranstaltung oder am 29. November mit zur Kundgebung in Nostorf-Horst. Alle Infos dazu findet ihr auf unserer Webseite. 
Lasst uns gemeinsam die Stimme erheben: 
Gegen jedes Lager - ohne Wenn und Aber!

Gegen Ausgrenzung und institutionellen Rassismus!

Alle zusammen:
Say it loud, say it clear: Refugees are welcome here!