Pressemitteilung: Recht auf unabhängige Beratung!

Am 12. April um 11 Uhr wird im Verwaltungsgericht Schwerin die Klage des Flüchtlingsrat Hamburg e.V. auf Zutritt für unabhängige Beratungsorganisationen im Flüchtlingsaufnahmelager Nostorf-Horst verhandelt. Die Initiative PRO BLEIBERECHT in Mecklenburg-Vorpommern hat ab 10.30 Uhr eine Kundgebung unter dem Motto „Recht auf unabhängige Beratung - Break Isolation!“ vor dem Verwaltungsgericht in der Wismarschen Straße angemeldet.

„Bei dieser Klage geht es darum, dass dem Flüchtlingsrat Hamburg zugestanden wird in Horst eine unabhängige Beratung zum Asylverfahren anzubieten. Denn diese findet dort in absolut unzureichendem Maße statt“, so Hanna Berth von PRO BLEIBERECHT. „Wir unterstützen dieses Anliegen mit der Kundgebung, weil wir bei unseren regelmäßigen Mahnwachen vor Horst feststellen, dass den Bewohner*innen der Einrichtung Informationen fehlen. Diese Woche hat Innenminister Caffier zugegeben, dass Horst bereits quasi ein >AnkER-Zentrum< ist. Auch ohne das Label bleibt die Situation dort unzumutbar.“

Die Verhandlung wird inhaltlich zwei Abschnitte behandeln. Bevor die Frage nach dem Recht auf Zutritt beantwortet wird, wird das Gericht sich mit der Frage beschäftigen, ob dem Flüchtlingsrat Hamburg e.V. ein Verbandsklagerecht zugestanden wird. Diese sind in Deutschland kaum möglich. Der Flüchtlingsrat Hamburg und PRO BLEIBERECHT bewerten dies generell, aber besonders im Bereich des Migrationsrechts als undemokratisch. Beide betonen zudem die grundsätzliche Bedeutung der Klage.

„Denjenigen, die von der verfehlten Asylpolitik betroffen sind, fehlt das Wissen über Klagemöglichkeiten. Ihnen fehlt oft auch der Kontakt zu Unterstützer*innen und das Geld ihre Rechte einzuklagen, besonders in Erstaufnahmelagern“, so Franz Forsmann vom Flüchtlingsrat Hamburg. „Es muss für alle Menschen einen Zugang zur demokratischen Kontrolle des behördlichen Verwaltungshandelns durch Gerichte geben. Davon darf niemand strukturell ausgeschlossen werden".

Hintergrund zur Klage

Der Flüchtlingsrat Hamburg e.V. führt seit mittlerweile vier Jahren die Klage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern. Die Unterstützungsorganisation sieht sich gemäß Richtlinie 2013/33/EU des europäischen Parlaments im Recht in Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge eine unabhängige Beratung anzubieten. Die Aufnahmerichtlinie wird in Deutschland seit 2013 nicht umgesetzt, da sich Bund und Länder die Verantwortung gegenseitig zuschieben.

Richtlinie 2013/33/EU

Im Rahmen der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU werden diesen Schutzsuchenden verschiedene Verfahrensgarantien zugesprochen. Nach Art. 22 haben die Schutzsuchenden einen Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung in allen Phasen des Verfahrens, der effektiv die Gelegenheit dazu einräumen muss, diese auch wahrzunehmen. In Art. 24 sind für Schutzsuchende, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, Maßnahmen festgelegt, die die Mitgliedsstaaten umzusetzen haben. Hierzu zählt, dass diese u.a. innerhalb einer angemessenen Zeit zu prüfen haben, ob solche besonderen Verfahrensgarantien benötigt werden. Sollte dies festgestellt werden, haben die Mitgliedsstaaten sicher zu stellen, dass solche Menschen eine angemessenen Unterstützung erhalten, damit sie während der Dauer ihres Verfahrens die Rechte aus der Richtlinie in Anspruch nehmen können.

Die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, bei der Aufnahme von Geflüchteten die Verfahrensgarantien nach der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU umzusetzten.
In Kapitel IV, Art. 21, werden die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die spezielle Situation von besonders schutzbedürftigen Personen wie u.a. von Minderjährigen, älteren Menschen, Behinderten, Menschen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen schwerer physischer, psychischer und sexueller Gewalt erlitten haben, zu berücksichtigen.
In Art. 22 werden die hierfür erforderlichen Maßnahmen, die die Mitgliedsstaaten durchzuführen haben, festgelegt, u.a. die Verpflichtung zur Beurteilung der Antragsteller im Hinblick auf eine entsprechende Bedürftigkeit innerhalb einer angemessenen Frist, die Gewährleistung der Unterstützung für Personen mit besonderen Bedürfnissen.
In Art. 18 der Aufnahmerichtlinie ist festgelegt, dass neben Familienangehörigen, Rechtsbeiständen oder Beratern, Personen, die den UNHCR vertreten auch einschlägig tätige, von den betreffenden Mitgliedsstaaten anerkannte Nichtregierungsorganisationen, Zugang zu den Antragstellern erhalten müssen, um diesen zu helfen.

Gegenstand der Verhandlung

Im Laufe des Klageverfahrens gab es einen Mediationsversuch, der scheiterte. Das Innenministerium hatte Bedingungen für die Beratung gestellt, bei der die Anoynmität der Klient*innen nicht gewährleistet ist. So sollte die Beratung nicht auf dem Gelände der Einrichtung stattfinden, sondern im sogenannten „vorgelagerten Wohnbereich“. Der Flüchtlingsrat Hamburg e.V. akzeptierte diese Variante als Zwischenlösung und berät derzeit alle zwei Wochen in einem Container vor der Einrichtung. Im Rahmen des Beratungsstellenprojekts begleitet ein Fachanwalt die Beratung.

Die Unterstützungsorganisation besteht weiterhin darauf das Recht auf Zugang zur Einrichtung von einem Gericht feststellen zu lassen, insbesondere unter Bedingungen, die die Anonymität der Klient*innen gewährleisten. Alle Bewohner*innen der Einrichtung müssen am Eingang die Hausausweise abgeben. Für die Behörden ist so nachvollziehbar, wer zu den Beratungszeiten das Gelände verlassen und wieder betreten hat. Anonymität ist neben der Ergebnissoffenheit aber ein zentrales Merkmal unabhängiger Beratungsangebote – speziell wenn inhaltlich Verwaltungsakte der zuständigen Behörde thematisiert werden könnten.

Im Rahmen des Klageverfahrens steht noch zur Disposition, ob der Flüchtlingsrat Hamburg e.V. überhaupt klageberechtigt ist. In Deutschland existieren Verbandsklagen nur in sehr engem Rahmen. Am 12. April wird also durch den Einzelrichter zunächst entschieden, ob nicht ein Betroffener das Recht auf Beratung einklagen müsste.
Die lange Klagedauer zeigt bereits, dass dies strukturell den Zugang der Asylsuchenden zu diesem Recht unterbinden würde. In den Erstaufnahmeeinrichutngen sind Asylsuchende zwischen drei Monaten und zwei Jahren untergebracht. Es herrscht eine hohe Fluktuation, da häufig Verteilungen in Kommunen oder Abschiebungen stattfinden.

Die Berufung eines Einzelrichters bedeutet darüberhinaus, dass das Gericht der Klage keine „grundsätzliche Bedeutung“ beimisst. Der Flüchtlingsrat Hamburg e.V. und PRO BLEIBERECHT werten dies als Bagatellisierung  der anhaltenden Gesetzesverschärfungen zur Isolation von Asylsuchenden von gesellschaftlicher Teilhabe. Die Organisationen fordern, dass die Umsetzung bindenden EU-Rechts durch deutsche Behörden ernster genommen wird.