PRO BLEIBERECHT für Schulterschluss zwischen Gemeinden und Aktivist*innen
Dass die Kirchenasylbewegung als eine ‚Bewegung von unten‘ begann, anhand derer sich engagierte Gemeinden gemeinsam mit Geflüchteten solidarisch Räume erkämpften, um Abschiebungen in Krisengebiete oder andere EU-Länder nicht nur zu verhindern, sondern auch grundsätzlich zu kritisieren, ist heute nur noch schwer vorstellbar.
Dass neun Monate vor dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen Asylsuchende aus Greifswald Schutz vor einem Angriff auf ihre Unterkunft in einer Kirche in Neumünster suchten, ist in MV heute weitgehend vergessen.
Dass neun Monate vor dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen Asylsuchende aus Greifswald Schutz vor einem Angriff auf ihre Unterkunft in einer Kirche in Neumünster suchten, ist in MV heute weitgehend vergessen.
PRO BLEIBERECHT wirft einen Blick auf die christliche Solidaritätsbewegung mit Asylsuchenden.
Institutionalisierung einer Graswurzelbewegung
Der „Kompromiss“ von Kirchenvertretern und Behörden im Jahr 2015, bei dem das Kirchenasyl durch Behörden als „tolerabel und vernünftig“ abgenickt wurde, weil es als humanitärer Beistand im Einzelfall verstanden werden muss, legte den Grundstein für die zunehmende Verregelung der solidarischen Bewegung. Um die Menschen besser verwalten zu können, verpflichtete das Bundesamt (BAMF) die Gemeinden zu einem standardisierten Verfahren. Dies bedeutete für Pastor*innen und Sozialdiakon*innen bei jeder Aufnahme Anwält*innen zu kontaktieren, die Komplexität des Einzelfalls im Wirrwarr des europäischen und deutschen Asylsystems zu begründen und dafür ein aufwendiges Dossier zu verfassen, das über die Kirchenbeauftragten der Region an das BAMF weitergeleitet wird.
Da prekäre Verhältnisse im Aufnahmeland und drohende Kettenabschiebungen für das BAMF nicht zählen, folgte daraufhin entweder keine Rückmeldung oder eine standardisierte Ablehnung des Härtefalls.
Lief die sechsmonatige Überstellungsfrist unterdessen aus, erging die Entscheidung im nationalen Verfahren. Heißt: Deutschland war zuständig. Denn der Deal war: Das BAMF verlängert keine Überstellungsfristen, denn mit dem Kirchenasyl übt Kirche keine grundsätzliche Kritik am Dublin-Verfahren.
Julia Lis und Benedikt Kern des Instituts für Theologie und Politik (ITP) befürchteten bereits 2015, dieser Kompromiss bedeute „de facto eine Aushöhlung aller kritischen Potentiale, die das Kirchenasyl mit sich bringt." Es handele sich dabei nur noch um eine „Unterbringung auf Kosten der Kirchen, die dann erfolgt, wenn die zuständige Behörde selber einsieht, einen Fehler gemacht zu haben, so dass sich die Notwendigkeit einer neuen Prüfung des Falles ergibt."
Populismus im Innenministerium: Verschärfung der Anforderungen
Der Dialog zwischen BAMF und Kirchen, der laut des damaligen Justizministers Heiko Maas „ohne jede Schärfe“ geführt wurde, resultierte am 1. August 2018 genau darin: Einer Verschärfung.
Weil angeblich zu viele Abschiebungen misslängen – u.a. auf Grund von Krankheit, fehlenden Dokumenten, Unwillen der Herkunftsländer Menschen wieder aufzunehmen – stürzten sich die Innenminister*innen im Sommer 2018 auf etwas, was ihnen greifbar erschien: Das Kirchenasyl.
Neu ist dieser Gedanke allerdings keineswegs. Hans-Georg Maaßen hetzte bereits 1997 gegen das Kirchenasyl.
Die Verschärfung der Regeln durch die Innenministerkonferenz bedeutet nun: Beenden die Gemeinden das Kirchenasyl nicht direkt nach der ggf. Ablehnung des Härtefalls, wird die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert. Es wird somit behauptet, der betroffene Mensch sei flüchtig - obwohl das BAMF ganz genau weiß, wo er oder sie sich aufhält.
Dass Asyl in der Kirche jedoch mitnichten so stark ins Gewicht fällt, wie es medial und parteipolitisch oft fehlerhaft vermittelt wird, zeigt für MV allein der letzte Jahresbericht des Landesamts für innere Verwaltung: 42 Menschen suchten in 2017 Schutz in Kirchgemeinden.
Die Rechtswidrigkeit der staatlichen Repressionsversuche, hat eine Reihe an Verwaltungsgerichten bereits beschieden, zuletzt in NRW. Menschen im Kirchenasyl sind offiziell angemeldet, ihr Aufenthaltsort ist den zuständigen Behörden bekannt. Die Kategorisierung dieser als „Untergetauchte“ muss fundamental in Frage gestellt werden.
Gemeinden, Pastor*innen und Engagierte stehen dennoch unter enormen Druck. Es wird mit Klagen gedroht, die Kommunikation zu den Behörden ist erkaltet, der Verwaltungsaufwand steigt, der Staat pocht auf sein Gewaltmonopol. In Rheinland-Pfalz führte der Vorwurf der "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" kürzlich zu Hausdruchsungen in fünf Gemeinden.
Wenn Recht zu Unrecht wird...
1965 fand Martin Luther King Jr. deutliche Worte: „I must be honest enough to say that I do feel that there are two types of laws, one is a just law and one is an unjust law. I think we all have moral obligations to obey just laws, on the other hand we have moral obligations to disobey unjust laws because non-cooperation with evil is as much a moral obligation as is cooperation with good.”
Menschen bei Nacht und Nebel aus ihren Betten zu holen und sie in Länder zu deportieren in denen sie weder leben können noch wollen, ist und bleibt Unrecht.
... ist Solidarität unsere Waffe!
Auf staatliche Repressionen kann daher nur die gegenseitige Solidarität all derer folgen, die sich aktiv gegen inhumane Abschiebungen einsetzen – völlig gleich, ob dieser Widerstand in politischen, christlichen oder ethisch-moralischen Beweggründen wurzelt.
Der Schulterschluss zwischen engagierten Gemeinden, Aktivist*innen und Initiativen kann auf vielen Ebenen stattfinden: in der asylrechtlichen Beratung und Begleitung von Kirchenasylfällen, in der Organisation gemeinsamer Workshops, in der Unterstützung bei der alltäglichen Betreuung, in der Bereitstellung von Wohnraum oder der finanziellen Unterstützung bei etwaigen Verfahrenskosten - wie ein aktuelles Beispiel aus Rostock zeigt: #TeamArne aus Rostock.
Inspiration und Anknüpfungspunkte bieten deutschlandweit Solidarity Cities - Städte, aus denen kein Mensch abgeschoben wird, in der sich alle frei und ohne Angst bewegen können, in der kein Mensch nach der Aufenthaltserlaubnis gefragt wird. In der kein Mensch illegal ist.
PRO BLEIBERECHT solidarisiert sich mit allen Gemeinden und Engagierten, die weiterhin Menschen vor der Abschiebung schützen!
#AbschiebungenStoppen! #GetInvolved
*Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Bildwerk Rostock.