Interview mit Cheikhna Ntieh von der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Mauretanien
Vor fast einem Jahr gründeten Asylsuchende aus Mauretanien in Rostock den Verein „Initiative pour la résurgence du mouvement abolitionniste – Allemagne“ (IRA) — nur eine von vielzähligen Exilvertretungen der ursprünglich in Mauretanien ansässigen Organisation. Die „Initiative zur Wiederbelebung der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei“ macht es sich zur Aufgabe, die anhaltende Versklavung, Ausbeutung und Diskriminierung großer Teile der Schwarzen und Harratin-Bevölkerung in Mauretanien in Deutschland ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen und dagegen zu kämpfen.
Am 7. September trug die IRA mit einer Kundgebung ihr Anliegen an den deutschen Bundestag.
Anlässlich der Inhaftierung des mauretanischen IRA-Präsidenten und Menschenrechtspreisträger der Vereinten Nationen Biram Dah Abid sprachen wir mit Cheikhna Ntieh, Vorstandsmitglied der IRA Deutschland.
Hallo Herr Ntieh, vor kurzem hörten wir von der abermaligen Inhaftierung von IRA-Präsident Biram Dah Abid in Mauretanien. Was zeichnet die Arbeit der IRA aus, dass ihre Mitglieder immer wieder mit Repressionen zu kämpfen haben?
Wir verstehen uns als Organisation, die Missstände anprangert und den betroffenen Menschen helfen möchte, ihre Rechte wahrzunehmen. In Mauretanien werden wir deswegen illegalisiert. Seit der Gründung 2008 arbeitet die Regierung aktiv gegen unsere Organisation. Immer wieder werden Aktivist*innen für ihr politisches Engagement verhaftet, unser Präsident Biram Sah Abid bereits zum vierten Mal. Unsere Organisation ist inzwischen die größte außerparlamentarische Opposition im Land. Als wir eine Partei gründen wollten, um als IRA auch politische Mandate erringen zu können, verhinderte die machthabenden Parteien das rigoros.
Gegen welche konkreten gesellschaftlichen Missstände wendet sich die IRA?
Wir setzen uns gegen Diskriminierung von Menschen, Rassismus und das immer noch existierende System der Sklaverei ein. Nach unserer Einschätzung leben ungefähr 20 Prozent der mauretanischen Bevölkerung als Sklav*innen. Sie müssen für ihre „Master“ ohne Lohn arbeiten, ohne Pausen und ohne Urlaub. Der Zugang du elementaren Arbeitsrechten oder Grundrechten wie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird ihnen verwehrt. Diese Menschen werden von ihren „Master“ als Eigentum betrachtet. Früher wurde Sklav*innen noch gehandelt, allerdings ist dies gesellschaftlich heutzutage nicht mehr akzeptiert. Es ist möglich, diese Menschen durch genügend Druck aus ihren Umständen zu befreien, jedoch werden auch ehemalige Sklav*innen gesellschaftlich ausgegrenzt. Weil sie oft keine Papiere besitzen, finden sie keinen Platz zum leben oder arbeiten. Wir probieren diese Menschen zu unterstützen und kämpfen Seite an Seite mit ihnen. Viele von uns sind befreite Sklaven der dritten Generation. Während unsere Großeltern noch in diese Umstände hineingeboren wurden, konnten unsere Eltern uns Schulbildung ermöglichen, die uns nun hilft, gegen die aktuellen Zustände zu kämpfen.
Sie erwähnten, dass es möglich ist, Menschen aus der Sklaverei zu befreien. Wie funktioniert das?
Im Jahr 2007 wurde in Mauretanien offiziell ein Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei verabschiedet. Seit dem ist es mit genug Nachdruck möglich, sich beim Gouverneur einer Provinz zu beschweren. Man muss ihm den Namen des „Master“ und der Sklav*innen nennen. Der Gouverneur ist dann verpflichtet, die Polizei vorbei zu schicken und die benannten Personen mitzunehmen. Obwohl das Gesetz mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe für Sklavenhaltung vorsieht, lassen Polizei und Gerichte die „Master“ immer wieder unbehelligt gehen. Nur in einem Fall, in dem ich involviert war, landete ein „Master“ im Gefängnis — er wurde zu sechs Monaten verurteilt.
Die Sklav*innen werden meist in die Obhut der Befreienden, beispielsweise unserer Organisation, übergeben, weil sie kaum selbst in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wieso lässt sich das System der Sklaverei aufrecht erhalten, obwohl es inzwischen gesetzlich verboten ist?
Die mauretanische Gesellschaft ist unterteilt in verschiedene Gruppen, die sich aus ihrer Abstammung ergeben. Die meisten Menschen im Land haben eine sehr dunkle Haut, ungefähr 20 Prozent jedoch haben arabische Abstammung und dementsprechend einen helleren Hauttyp. Darin sehen viele eine natürliche Überlegenheit. Sie sind Muslime, wie wir auch, allerdings leben viele nach einer Auslegung des Islam, die Sklaverei erlaubt. Dies wirkt in unserem sehr religiösen Land vor allem unter den weniger Gebildeten als Unterdrückungsmechanismus. Gerade in den ländlichen Regionen kennen weite Teile der schwarzen Bevölkerung nichts anderes als das Arbeiten für ihre „Master“. So setzt sich dieses System über Generationen fort. Dieses Über- und Unterlegenheitsdenken wird in der Erziehung weitergegeben. Als Kinder hatten wir noch kein Verständnis dafür und haben unabhängig unserer Hautfarbe zusammen gespielt. Doch je älter wir wurden, desto mehr hat sich das segregiert.
Wie wirkt sich das im Alltag aus?
Quasi das gesamte gesellschaftliche Leben, das Bildungswesen und die Behörden werden von den „Master“ kontrolliert. Gesetze bringen nichts, wenn sie niemand umsetzt. So kann trotz rechtlicher Gleichstellung von staatlicher Unterdrückung gesprochen werden. Dies zeigt sich auch daran, dass besonders seit 2014 jeder politische Protest gegen diese Zustände enorm kriminalisiert wird. Teilnehmende werden immer wieder willkürlich verhaftet, bis zu einer Woche auf der Polizeistation festgehalten und dann vor Gericht gestellt. Dort werden sie dann ohne Angabe von einer Haftzeit ins Gefängnis gesteckt und nach einiger Zeit wieder freigelassen. In den Gefängnissen gibt es keine Kontrolle darüber, was passiert. So sind Gewalt und sogar Morde trauriger Alltag hinter Gittern. Außerdem probiert die Polizei politische Gefangene umzudrehen. Ihnen wird angeboten, dass sie entlassen werden, wenn sie sich anschließend öffentlich von ihren politischen Überzeugungen lossagen und die Organisationen durch Unwahrheiten diskreditieren. Viele ehemalige Gefangene führen deswegen jetzt ein gutes Leben, weil sie von der Regierung bei der Arbeit gegen ihre ehemaligen Organisationen unterstützt werden. Wer sich nicht von seinen politischen und humanitären Überzeugungen befreien kann, lebt in Mauretanien auf Dauer sehr gefährlich.
Was sind die Hintergründe der Verhaftung von Biram Dah Abid, dem Präsidenten der IRA in Mauretanien?
Biram wurde am 06. August in seinem Haus verhaftet. Einem Monat zuvor hatte er einem Journalisten ein Interview geben wollen und ihn dafür zu sich nach Hause eingeladen. Der Journalist trat jedoch von Beginn an sehr aggressiv auf und fing an Biram zu beleidigen, woraus ein Streit entstand. Auf der Polizeistation stellte sich heraus, dass dieser Journalist Biram wegen verschiedener Dinge angezeigt hat. Am 14. August wurde er einem Haftrichter vorgeführt und zu einer nicht näher definierten Haftstrafe verurteilt. Eine Woche vor dem Interviewtermin mit dem besagten Journalisten gab Biram seine Bewerbung für die Parlamentswahlen in Mauretanien ab. Wir vermuten daher, dass das Auftreten des Journalisten und die Verhaftung damit in direktem Zusammenhang stehen. Seit Biram 2014 Zweiter bei den Präsidentschaftswahlen wurde, wird er von der Regierung und Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz als großes Problem betrachtet. Während der Wahl am 01. September saß Biram nun im Gefängnis. Auch wenn es immer noch kein offizielles Ergebnis gibt, häufen sich die Gerüchte, dass er einen Platz im Parlament bekommen hat. Dieses Mandat wird er wegen seiner Inhaftierung nun wohl nicht antreten können. Wir hoffen, dass das Unrecht in diesem Fall nicht siegt und Biram bald wieder in Freiheit sein wird.
Das hoffen wir auch. Vielen Dank für das Gespräch.