Sammelabschiebung aus Horst

Von Freunden, Helfern und der Angst bei Nacht

Bei unserem Besuch vor Horst am 27. Mai hörten wir von einer Abschiebe-Aktion, die zwei Tage vorher frühmorgens in der Erstaufnahmestelle Nostorf-Horst stattgefunden hat. Dieser Artikel dokumentiert das an uns übermittelte Geschehen und zeigt auf, was derartige Einsätze für die Betroffenen bedeuten. 

Die Abschiebung

In der Nacht von Donnerstag zu Freitag durchsuchten etwa 50 Polizist*innen die Zimmer in Horst. Sie kontrollierten die Bewohner*innen des Erstaufnahmelagers und weckten viele Unbeteiligte, die offensichtlich nicht zur Abschiebung auf der Liste standen. Die Polizist*innen der Landespolizei gingen dabei in Vollmontur, teilweise behelmt und bewaffnet durch die Zimmer. Der Einsatz wirkte auf Bewohner*innen bedrohlich und verschreckend. Insbesondere, weil die Gesichter vieler Polizist*innen nicht zu erkennen waren.*
So schilderten uns Bewohner*innen die Abschiebe-Aktion.

Die Angst bei Nacht

Ich war in meinem Zimmer. Ich muss schon länger Tabletten einnehmen, weil ich psychisch krank bin. Ich glaube ich war am schlafen. Plötzlich standen vermummte Personen mit einer Waffe im Zimmer. Ich glaube, dass mich die Tabletten davor bewahrt haben, vor Angst zu sterben. Ich bekam aber furchtbaren Stress. Seitdem schlafe ich nicht mehr richtig. Meine Schmerzen in den Armen, im Kopf und in der Brust haben wieder stark zugenommen. Immer wieder kommen mir die Bilder von den vermummten Leuten vor meinen Augen hoch.
- Aussage einer Bewohner*in
Solche Polizeieinsätze - nachts und überraschend - bergen die große Gefahr, dass Menschen an ihre traumatischen Momente erinnert werden. Statistisch betrachtet sind 30-70% der Asylsuchenden traumatisiert (je nach Statistik). In den Erstaufnahmestellen in Mecklenburg-Vorpommern gibt es kein Verfahren zur Erkennung traumatisierter Personen, geschweige denn ein Konzept, um sie in Behandlung zu bringen. 
Abschiebeaktionen, wie die vom Freitag sind zutiefst verunsichernd. Gleichgewicht und Stabilität, das sich traumatiserte Menschen oft mühevoll für den Alltag aufbauen, werden so erschüttert. In manchen Fällen kann es dabei zu einer Reaktualisierung oder gar Retraumatisierung kommen. Das bewusst in Kauf zu nehmen ist ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf Gesundheit.
Es war 3.00 Uhr nachts. Ich habe geschlafen. Ohne zu klopfen standen plötzlich neben meinem Bett vermummte Personen mit Waffen. Später stellte sich heraus, dass es Polizisten waren, die nach jemandem suchten, den sie abschieben wollten. Ich bekam einen furchtbaren Schrecken. Mein Herz raste. Ich hatte furchtbare Angst. Noch heute geht meine Tochter nachts nicht mehr allein auf die Toilette. Sie hat zuviel Angst.
- Aussage einer Bewohner*in
Solche Polizeieinsätze bergen die große Gefahr, dass sie diejenigen treffen, die besonders verletztlich sind: Beispielsweise Kinder. Man billigt mit diesen Einsätzen wissentlich, dass Kinder nachts von vermummten Gestalten geweckt werden – ein Alptraum, den wohl keine Eltern ihren eigenen Kindern wünschen würden. Zu dem belastenden Moment kommen die Vorerfahrungen der Kinder, die in solchen Momenten wieder stark ins Bewusstsein treten. Hinzu kommt, dass der Moment, in denen ihnen ihre Eltern ihnen nicht helfen können, zusätzlich das Gefühl von Sicherheit nimmt. Forderung bleibt weiterhin: Alle Asylsuchenden so schnell wie möglich raus aus den EAS! Dies gilt besonders für Kinder - denn EAS sind keine kinderfreundlichen Orte!

Strukturelle Gewalt

Diese Form der Abschiebungen bezeichnen wir als strukturelle Gewalt. Sie ist eine Form struktureller Gewalt, die im System der Abschiebeindustrie** der Abschreckung von Asylsuchenden dient: Man soll gehen. Man soll Anderen erzählen, dass in Deutschland „hart durchgegriffen“ wird (damit andere vielleicht gar nicht erst kommen). Man soll sich nicht verstecken. Man soll wissen, wer am längeren Hebel sitzt.
Diese Form der strukturellen Gewalt arbeitet mit der systematischen Verletzung des Grundbedürfnisses nach Sicherheit und Schutz in eigenen Privaträumen, nach einem Rückzugsraum. 
Wenn auch Unbeteiligte jederzeit damit rechnen müssen, dass sie durchsucht und gestört werden, gibt es keine Minute um zur Ruhe zu kommen. 
Dabei ist Erholung genau das, was Menschen brauchen, wenn sie eine anstrengende Flucht und vorher möglicherweise traumatisierende Erlebnisse hinter sich gebracht haben.

Der Aufschrei, der fehlt

Abschiebungen, wie die beschriebene am 25. Mai sind keine Einzelheit. Sie sind Alltag in deutschen Erstaufnahmestellen, Sammelunterkünften und dezentralen Wohnungen. Auch das politische Kalkül, mit dem Abschiebungen und strukturelle Gewalt als „rechtsstaatlich“ und „notwendig“ gelabelt wird, begegnet uns jeden Tag. Die Gesichter der Betroffenen zu sehen, wenn sie erzählen, macht nicht nur traurig und wütend, sondern ist beschämend für unsere Gesellschaft.  Es gibt keinen akzeptablen Grund Menschen solche Erfahrungen zuzumuten.
Was fehlt ist der Aufschrei der Menschen, die denken und fühlen. Der Aufschrei gegen die strukturelle Anwendung von Gewalt, die in solchen Polizeieinsätzen deutlich wird.
Diejenigen, für die Humanität nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, müssen ihren Protest öffentlich machen. Betroffene, Unterstützer*innen, Anwält*innen und Ärtz*innen müssen diesen Protest gemeinsam führen. Landtagsabgeordnete können kritische Anfragen stellen; Journalist*innen recherchieren und derartige Fälle aufdecken; Polizist*innen können sich für solche Einsätze krankschreiben lassen.
Im aktuellen gesellschaftlichen Klima hat sich die Erhöhung von Abschiebezahlen zum zentralen Element der innenpolitischen Agenda entwickelt. In den geplanten AnkER-Zentren soll diese Zielsetzung möglichst effizient angegangen werden. 

Was tut nun Not? 

Nicht schweigen und immer neue Gesetzesverschärfungen hinnehmen - sondern aufstehen und laut sagen: Nicht in unserem Namen! Abschiebungen sind nicht nötig, wenn wir Flüchtlinge willkommen heißen wollen. 
Keine*r flieht freiwillig! Um die Gründe wahrzunehmen, bedarf es des Kontaktes und des Zuhörens, nicht der Isolation. 
PRO Bleiberecht fordert: Keine Verschlimmerung des Status Quo! Stattdessen:
Faire Asylverfahren! Aufenthaltsperspektiven schaffen! Abschiebungen und populistische Stimmungsmache beenden!
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* Das Titelbild zu diesem Beitrag stammt nicht von der Abschiebung in Horst, sondern von den Gegenprotesten zur AfD-Demo am 14. Mai in Rostock. Danke an Bildwerk Rostock für die Bereitstellung der Bilder auf flickr. Die Bebilderung soll transparent machen, was wir mit "vermummte Gestalten" meinen.
** Mit dem Begriff Abschiebeindustrie beziehen wir uns auf Alexander Dobrindts selbstkritisches Konzept der „Abschiebe-Industrie“, auf welches er implizit durch seine reichhaltigen Ausführungen zur „Anti-Abschiebe-Industrie“ aufmerksam machte.