Ein Kommentar dazu, warum Lorenz Caffier mal wieder niemandem hilft
Der NDR berichtete am 11. April unter dem Titel „Kriminalitätsstatistik mit Licht und Schatten“ über die Veröffentlichung der neusten Polizeistatistik für MV. Lorenz Caffier, seines Zeichens Innenminister des Landes, spannt in seinen Äußerungen dazu einen gewagten Bogen von der genannten Statistik zu Abschiebungen nach Syrien.
Warum das gefährlich ist und wo solche Äußerungen ihre Rolle in rassistischen Diskursen haben, haben wir von Pro Bleiberecht in einem Kommentar zusammengefasst.
Kriminalstatistik, Tatverdächtige und Zuwandererkriminalität
Zunächst einmal ganz grundsätzlich: Der Begriff „Kriminalitätsstatistik“ ist irreführend. Denn er erweckt den Anschein, als ließen sich aus der Statistik Rückschlüsse daraus ziehen, welche Gruppe innerhalb der Gesellschaft wie häufig „kriminell“ wird. Doch das ist nicht so. Und das liegt an einer Eigenschaft der Statistik: Echte Aussagen lassen sich nur über diejenigen treffen, die auch „überprüft“ wurden. Möchte man diese Aussagen verallgemeinern, muss man die Stichprobe per Zufallsprinzip wählen. Das heißt: Die Polizei dürfte nicht nur diejenigen kontrollieren, die sie für verdächtig hält – zum Beispiel die Jugendlichen, die in Rostock am Kröpeliner Tor oder in Schwerin auf dem Marienplatz abhängen –, sondern sie müsste eine zufällig gewählte Stichprobe aus allen gesellschaftlichen Schichten auf mögliche Verbrechen hin überprüfen.
Liest man genauer, stellt man fest, dass 45.091 Menschen Tatverdächtige waren, und eben nicht Kriminelle im Sinne von verurteilten Straftäter*innen. Denn die Schuldigkeit an einer Straftat stellen in Deutschland immer noch die Gerichte fest, nicht die ermittelnden Polizeibeamt*innen oder Lorenz Caffier.
Wie die Menschen zu Tatverdächtigen wurden, erfahren wir nicht:
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Wie wählt ein*e Polizist*in jemanden aus, den er oder sie zum Beispiel auf Drogen hin überprüft?
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Wird am Kröpeliner Tor ein jugendlicher „nichtdeutsch“ Aussehender eventuell mit höherer Wahrscheinlichkeit kontrolliert, als der Geschäftsführer einer angrenzenden Ladenkette (und wissen wir von ihr*ihm, ob er*sie Drogen konsumiert, Steuern hinterzieht oder seine*n Partner*in misshandelt)?
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Könnte es sein, dass Menschen das Verhalten von „Nafris“ anders deuten als das von Deutschen, weil in den Medien eine Erwartungshaltung geschürt wird, die solches begünstigt?
Die „Kriminalitätsstatistik“ ist also eine Tatverdächtigenstatistik - und eben keine Verurteiltenstatistik. Sie heißt amtsdeutsch ganz einfach „Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)“. Denn nichts anderes kann sie erfassen, als die vermeintlichen Vergehen, die über die Schreibtische der Ermittler*innen wandern. Zur Neutralität menschengemachter Statistiken findet auch die Bundeszentrale für politische Bildung klare Worte, die hier nachzulesen sind.
Postfaktisch, Populimus oder Rechtsruck?
Wenn Lorenz Caffier dann im Zuge der Veröffentlichung dieser Polizeistatistik die Behauptung aufstellt, der „Abschiebestopp für Syrer“ werde „von manchen als Einladung für gesetzwidriges Verhalten interpretiert“, dann verbreitet das Innenministerium damit in seiner Pressemitteilung Vorurteile und Stereotype, die in keiner Weise durch die veröffentlichte Statistik belegt werden können. Denn Tatmotive werden in der Statistik nicht erfasst. (Zumal „Weil ich‘s eben kann!“ wahrscheinlich auch kein häufiges Tatmotiv ist).
Solche Plattitüden finden wir rauf und runter, auf Wahlplakaten und Aufmärschen der AfD-Anhänger*innen, bei MVGIDA, in Kameradschaften und den Köpfen der antimuslimischen Rassist*innen: Die pauschale Vorstellung von Asylsuchenden als Verbrecher*innen und Terrorist*innen, die Deutschland so schnell wie möglich verlassen sollten.
„Mecklenburg-Vorpommern ist ein sicheres Land“
Was uns zurückführt zu Lorenz Caffier, der verkündet, dass Schwerstkriminelle auch nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden sollten.
… Moment mal. Abschiebungen nach Syrien? In ein Land, in dem das Regime hunderttausende Zivilist*innen vertreibt? Giftgas auf die Bevölkerung wirft? Folterknäste betreibt?
Die Forderung Menschen nach Syrien abzuschieben, ist reiner Populismus. Er klammert jede Überlegung zur Geltung der Menschenrechte aus. Und die gelten - oh Wunder! - eben auch für Straftäter*innen und Tatverdächtige.
Dass diese Frage bei Abschiebungen nach Afghanistan die politischen Entscheidungsträger*innen schon längst nicht mehr interessiert, ist bitterer Alltag. Monatliche Abschiebungen dorthin machen dies deutlich. Caffiers Äußerungen zeigen die schrecklichen Zukunftsaussichten: Eine Logik, die mit Afghanistan begann, wird vor anderen Krisengebieten nicht Halt machen.
Rassismus und der Rechtsruck in der Gesellschaft machen wütend. Unfassbar wird es, wenn jemand, der als Innenminister Verantwortung für die Zukunftsperspektiven der hier lebenden Asylsuchenden trägt und auch indirekt z.B. in Sachen Familiennachzug die Leben der Verwandten in Händen hält, auf stumpfe Stereotype und verkürzte Parolen setzt.
Und schmerzhaft ist das alles noch viel mehr, wenn wir in die Gesichter unserer Freund*innen sehen, deren Familien und Freund*innen in Afrin, in Ghouta, in Idlib um ihr Leben kämpfen oder sterben. Die PKS vermittelt vielleicht Vielen das Gefühl: MV ist sicherer geworden. Doch sollte daraus nicht blinder Law-and-Order-Wahn folgen, sondern die Muße, die Augen für den Blick über den Tellerrand zu öffnen.