Am internationalen Tag gegen Folter haben wir eine Kundgebung vor dem Verwaltungsgericht Greifswald gemacht. Aktivist:innen aus verschiedenen Kontexten hielten Redebeiträge. Wir dokumentieren sie hier.
Afghanistan
Ein Hallo an euch alle,
hallo an euch, die ihr aus meiner Generation seid, Gleichgesinnte, die ihr unseren Schmerz nachvollziehen wollt,
Wie schön ist es, dass die laute Stimme der Gerechtigkeit und der Freiheit hier schreien! Die Stimme, nach der jeder freie Mensch durstig ist! Euer Schrei hat vielleicht keinen Einfluss auf die Situation der Regionen, die unter Tyrannei und falschen Vorstellungen kämpfen; das Licht der Idee der Freiheit mag angesichts der Dunkelheit, die sie regiert, unbedeutend sein; aber ihr erfüllt euren Auftrag der Menschlichkeit. Heute protestiert ihr gegen Verbrechen, die viele eurer Mitmenschen tatsächlich erleben. Ihr tragt mit ihnen die Last der Unterdrückung, die ihnen auferlegt wurde.
Heute möchte ich bis zu dir schreien, Afghanistan, in ein müdes Land, das nicht nur unter Folter leidet. Deine Täler sind zum Schlachthof der Menschen geworden, in denen jeden Tag unschuldige Menschen geopfert werden.
Liebe Freundinnen und Freunde! Ich rede mit euch über Afghanistan. Afghanistan, das sich nirgendwo sicher anfühlt. Schüler in Schulen werden wie Blumen zertreten. Studenten in Universitäten werden erschossen. Gläubige in Moscheen werden in Stücke gerissen. Hochzeitssäle werden gesprengt. Die Freundeskreise der Menschen werden in Trauer verwandelt. Krankenhäuser werden überfallen, Kranke und das medizinische Personal werden erschossen. Passagiere und Passanten werden auf ihren Wegen geköpft. Die Stimme des friedlichen Protests der Bevölkerung wird mit Bomben und Selbstmordanschlägen beantwortet.
Jeden Tag fallen Verwaltungseinheiten in die Hände der Taliban und anderer Terrorgruppen. Die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Dies sind die objektiven Wahrheiten dieser Tage. Man kann die Tatsachen sehen ohne schwören zu müssen, dass es keine Lügen sind.
Ja, meine Freunde! Ich spreche zu euch von einem Land, das vor 20 Jahren von mehr als 40 Ländern im Kampf gegen internationalen Terrorismus und für die Wiederbelebung von Demokratie und Menschenrechten erobert wurde. Heute erleben wir Aktivitäten nicht nur von einer Terrorgruppe, sondern von mehreren terroristischen Netzwerken, die frei operieren und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen.
Es ist die Rede von Menschenrechten – aber die Menschen kämpfen ums Überleben und ihr grundlegendes Recht, das Recht auf Leben, wird verletzt. Auf der einen Seite herrscht eine blutige Atmosphäre, auf der anderen Seite gibt es herzliche Gespräche an bunten Tischdecken und Abmachungen zur Teilung der Macht. Wir reden über Demokratie, aber diese Inszenierung ist wie schwere Peitschenhiebe, die von allen Seiten auf die schwache Demokratie einschlagen.
Doch eure Bewegung ist schön. Vielleicht wird die Welle, die ihr erschafft, eines Tages die Barrieren von Folter, Tyrannei und Barberei und den Weg für die Ausbreitung der Freiheit für die leidenden Menschen ebnen.
Also schreit mit mehr Kraft, um euch gegen die Unterdrückung zu stellen, meine Freunde.
Iran
Aktuell finden im Iran viele Demonstrationen gegen die jüngste Wahl letztes Wochenende statt. Das iranische Regime hat die Menschen zum Beispiel in der Stadt Jassusch unter Einsatz von Polizeigewalt gezwungen an der Wahl teilzunehmen, mit Schlagstöcken zogen sie durch die Straßen und brachten die Leute zu den Wahllokalen. Andere wurden gezwungen ihre Stimmen abzugeben, indem ihnen mit Entlassung gedroht wurde oder dass ihre Gehaltszahlungen eingestellt werden, zum Beispiel Lehrer:innen und Bankangestellten.
Viele Menschen haben die Wahl dann boykottiert, indem sie ihre Stimmzettel ungültig gemacht haben. Sie schrieben darauf zum Beispiel „Nein zum Mullah“, „Nein zur Islamischen Republik Iran“. Im Iran ist das eine mutiger Akt des Aufbegehrens.
„Gewählt“ wurde trotzdem ein Präsident, der im iranischen Regime für den Mord an tausenden Oppositionellen verantwortlich ist. Raissi war jahrelang führender Jurist im Land, obwohl er nicht mal einen Schulabschluss hat. Er hat Todesurteile unterschrieben. Unter seiner Aufsicht fand und findet grausame Folter an den politischen Gefangenen im Land statt.
Als er kürzlich von einem Journalisten dazu befragt wurde, sagte er, er hätte das für sein Land, für sein Volk und dessen Sicherheit getan. Das zeigt uns, auf welcher Seite er steht. Er steht neben den Terroristen rund um den „Revolutionsführer“ Khamenei, die das Land unter islamischer Herrschaft halten.
Im iranischen Teil Kurdistans gibt es seit 1979 Widerstand gegen das Regime, damals unter Chomenei. Schon damals benutzte das Regime einen islamistischen Richter, Chalchali, um die Aufstände niederzuschlagen und vor allem diese Repression als rechtmäßig erscheinen zu lassen.
Raissi wird die scharfe Politik des iranischen Regimes weiterführen und noch verschärfen. Er hasst Israel, er hasst die USA und Europa. Wir müssen damit rechnen, dass Repression und Angriffe auf Protestierende und Oppositionelle zunehmen und schlimmer werden.
Iran ist ein reiches Land. Es hat Öl, Gas und vieles mehr. Doch von diesem Reichtum profitieren nur Wenige. In den letzten Jahren haben Tausende dagegen protestiert. Einige von ihnen wurden dafür erschossen und hingerichtet. Viele haben Repression erlebt.
Doch die Menschen kämpfen weiter für ein freies Land ohne das Regime. Lasst uns ihnen hier unsere Solidarität zeigen. Hoch die internationale Solidarität!
Mauretanien
Wir haben hier Ausschnitte aus dem Radiobeitrag zu Mauretenien abgespielt:
Abschiebungen
Folter ist das gezielte Zufügen von Schmerzen, um die Persönlichkeit eines Menschen bis in ihr Innerstes zu erschüttern, zu zerstören, um damit eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu halten.
Wer geflüchtete Menschen in ihrem Kampf um Schutz und Existenz bei uns begleitet, wird immer wieder unweigerlich mit der ständigen Angst, wieder ins Ursprungsland zurückkehren zu müssen, konfrontiert. Diese als exístentiell empfundene Angst überschattet die Hoffnungen, die jeder, der oder die nach einer anstrengenden beschwerlichen Flucht hier zur Ruhe kommen will, mit einem ständigen Aufenthalt verknüpft. Diese Situation allein schon produziert Unsicherheit, sie wird verstärkt, wenn Traumata und Gewalterfahrungen in der Vergangenheit gemacht worden sind. Die Betroffenen leben in einem ständigen Wechselbad der Gefühle.
Das Leben im Asylverfahren bedeutet:
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Die Lagersituation,
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die bewusst gehaltene Unsicherheit,
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die langen, unverständlichen Asylverfahren,
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die rassistische Ausgrenzung und möglicherweise physische Gewalt, die Asylsuchende in ihrer neuen Umgebung, auf der Strasse, in ihrem unmittelbaren Lebensraum, in ihren sozialen Lebensbezügen erfahren müssen,
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die Einschränkung ihrer Grundrechte,
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das endlose Warten auf Entscheidungen von Behörden und überforderten Sachbearbeiter:innen,
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das Arbeitsverbot,
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die ständige Bedrohung, keine Fehler machen zu dürfen, um nicht bestraft zu werden
All diese strukturelle Gewalt lastet zusätzlich auf Menschen, die Traumata mit hier her bringen und löst schreckliche Widererinnerungsbilder an Gewalt und Folter aus. Trotzdem schaffen es Viele ein inneres labiles Gleichgewicht seelisch herzustellen.
Wenn dann trotz aller Anstrengungen in Anpassung und Integration am Ende nicht der erhoffte Schutz und die notwendige Sicherheit stehen, sondern die vernichtende Entscheidung, ins existenzbedrohende Herkunftsland zurückgehen zu müssen, dann bricht das innere seelische Ressourcen- und Abwehrsystem zusammen. Die Betroffenen werden psychisch, sozial und körperlich krank. Die hilflose Auslieferung an erneute staatliche Gewalt führt in der Regel zu schweren Retraumatisierungen und kann – im psychologischen Sinn - die Persönlichkeit zerstören. Wenn jemand Betroffene in dieser Situation begleitet, erfährt man von den zerstörerischen Effekten, zum Beispiel:
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nachts bei jedem Geräusch eines Autos ans Fenster zu springen, um zu schauen, ob es der Polizeiwagen ist, der eine:n abholen soll - selbst dann wenn objektiv keine Gefahr besteht.
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ständig im Halbschlaf schreckliche Albträume zu haben, an deren Ende jemand häufig nicht mehr unterscheiden kann, was Realität und was Traum ist.
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tagsüber sich ständig zu verstecken oder sich unsichtbar machen zu wollen, um der Gefahr, der man immer weniger zu begegnen weiß und damit einer völligen Hilflosigkeit ausgesetzt sieht, aus dem Wege zu gehen.
Und all das manchmal über Monate, Jahre mit einer Duldung.
Wenn dann die Polizei eines Nachts wirklich kommt, finden sie meist seelisch und körperlich zermürbte Menschen vor sich, die willig, quasi in einem dissoziativen Rausch, alles über sich passiv ergehen zu lassen. In den Poliozeiberichten heißt es dann zynisch: "Alle waren ruhig und gefaßt." Es wird völlig verkannt, dass diese Haltung ein Zeichen eines persönlichkeitszerstörenden Effekts ist. In dieser Situation verharren Betroffene quasi wie in einem Schockzustand. Alles, aber auch wirklich alles, was sie sich vom neuen Leben nach der beschwerlichen Flucht erhofft haben, ist zerstört. Das ist der gleiche Effekt, den die unmittelbare Folter bewirkt.
Kommen Menschen, die Folter durchleben mussten und später aus Deutschland abgeschoben wurden, in eine fremde und manchmal ausgrenzende Umgebung zurück, wo kein soziales Netz sie noch auffangen können, bricht häufig der Überlebenswille, der sie bis dahin gehalten hat, zusammen. Am Ende dieses Wegs stehen gebrochene Persönlichkeiten.
Ungezählt viele Menschen sterben unerkannt an den Folgen. Ich persönlich habe von Hirnblutungen, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Bluthochdruck, vorzeitigem Tod und auch von Suiziden nach Abschiebungen erfahren. Bisher ist mir keine einzige Studie bekannt, wo die Folgen dieses Abschiebeprozesses systematisch untersucht worden sind.
Deshalb wird diese staatlich legitimierte Gewaltmaßnahme in der Regel verharmlost und als Rückführung verniedlicht. Leider machen sich auch viele Richter:innen, ja Ärzt:innen und andere Fachleute nicht klar, welchen persönlichkeitszersetzenden Effekt Abschiebungen und das Warten darauf haben.
Am Tag der Folter wollen wir daran erinnern. Jede Abschiebung ist Gewalt. Jede Abschiebung ist eine zuviel. Abschiebungen stoppen!
Abschiebung nach Afghanistan - ein schreiendes Unrecht
Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es herrscht seit mehr als 40 Jahren Krieg dort - bis heute. Seit 19 Jahren mischt auch die deutsche Bundeswehr dort mit. Ein Scheitern dieser Militäroperation, eine der Teuersten seit dem 2. Weltkrieg, ist unübersehbar.
Laut Global Peace Index gehört Afghanistan auch zu dem tödlichsten Ländern der Welt. Das UNHCR spricht vom unsichersten Land der Erde für geflüchtete Rückkehrer:innen. Das Gesundheitswesen ist weitgehend zusammengebrochen. Fast 1/3 der Bevölkerung ist auf der Flucht. Familien, früher der soziale Schutz, sind meist durch die herrschende Gewalt auseinander gerissen. Über 80 % leben am Rande des Existenzminimums.. Menschenrechtsverletzende Warlords und radikale islamistische Gruppen haben längst ihre Machtbereiche abgesteckt, wo Andersdenkende sofort verfolgt werden. Anschläge erschüttern fast täglich die als sicher behauptete Hauptstadt Kabul. Als sogenannte Verräter:innen werden alle diejenigen angesehen, die ins westliche Ausland geflohen und von dort nun wieder zurückgeschickt werden. Zu guter Letzt hat sich die Pandemie auch in diesem Kriegsland rasant ausgebreitet, ohne dass auch nur ansatzweise für die Bevölkerung Schutz- und Präventivmaßnahmen geschaffen werden konnten.
Trotz dieser katastrophalen Sicherheits- und sozialen Situation schicken die Landes- und Bundesregierung konstant monatlich Menschen in dieses Elend zurück. Angeblich sollen es nur Straftäter:innen sein - als ob diese nicht genauso rechtsstaatlich anerkannte Grundrechte besitzen! Von der Öffentlichkeit unbemerkt wurden die Abschiebungen nach Afghanistan auf weitere Gruppen ausgedehnt, darunter psychisch Kranke, gut Integrierte oder kurz vor einer Ausbildung stehende junge Männer, die als "Identitätsverweigerer" vorher gebranntmarkt wurden. Dabei ist die Nicht-Preisgabe persönlicher Daten häufig nur noch der einzige Schutz, der für diese Menschen bleibt.
Die Gerichte sind Teil dieser Abschiebekette. Wo das BAMF keine Kriegsflüchtlinge sieht, Übernehmen Gerichte die grausige Rechnung der „Tötungswahrshcienlichkeit“. Wieviele Zivilst:innen leben in einer Region in Afghanistan? Wieviele isnd dort in den letzten Jahren gestorben? Wie wahrschienlich ist es dass jemand Opfer eines islamistischen Anschlags wird? Meistens ist der Tod nach dieser bitteren zynischen Rechnung zu unwahrscheinlich, um den Betroffenen hier einen Schutzstatus zuzuerkennen.
Hier in MV sind es auch die sogenannten "Dublin"-Fälle, die ein großes Problem darstellen und in der Vergangenheit zu vielen Kirchenasylen geführt haben. Da sie zunächst in einem Drittland, hier meist in den skandinavischen Ländern, den erforderlichen Schutz gesucht, aber nicht gefunden haben, sind sie in ihrer Verzweifelung weiter nach Deutschland geflohen. Anstatt hier ihre Asylverfahren durchzuführen, werden sie, abgeschirmt von der Öffentlichkeit und Unterstützer:innen, geräuschlos wieder in diese EU-Länder zurückgeschickt, wo ihnen dann die endgültige erzwungene Rückkehr nach Afghanistan droht. Wir wissen von Fällen, wo Betroffene aus Horst nach Schweden abgeschoben und dort sofort in Abschiebehaft genommen wurden. Wenige Tage später haben sie uns aus Kabul kontaktiert.
Diese Kettenabschiebungen sind völkerrechtlich verboten, sind aber häufige Praxis im sogenannten rechtsstaatlichen Europa. Denn das BAMF und die Gerichte sagen ganz einfach: Das Asylverfahren in Schweden funktioniert. Das Asylverfahren funktioniert angeblich in jedem europäischen Land – ungeachtet rechter, nationalistischer und rechtspopulistischer Regierungen und deren Repressionen und Abschottungspolitik.
Dass es soviele ausreisepflichtige Menschen aus Afghanistan überhaupt juristisch gibt, hat mit der politisch motivierten Anerkennungspraxis des Bundesamtes zu tun. Viele Leute sind zudem mit dem komplizierten Asylverfahren völlig überfordert, zumal ihnen in den Erstaufnahmelagern fast jegliche unabhängige Beratung verweigert wird. Im gegenteil: Seit 2019 macht das BAMF selbst die sogenannte „unabhänbgige staatliche Asylverfahrensberatung“, die Beratung zur sogenannten „freiwilligen Rückkehr“ vom ersten Tag an mit einschließt.
Aus den Augen, aus dem Sinn, so das Motto des deutschen Staates.
Eine in mühevoller Kleinarbeit entstandene unabhängige Studie von der Ethnologin Friedericke Stahlmann, die nach Afghanistan Zurückgeschickte befragt hat, zeigt, dass fast 80 % das Land wieder verlassen mussten. Unter den 20% Zurückgebliebenen musste fast jeder sich verstecken und niemand hatte bis zur Befragung eine existenzsichernde Beschäftigung gefunden.
Aufgabe von Gerichten ist es in einem Rechtsstaat, solchen menschenunwürdigen und innenpolitisch motivierten Rechtsbrüchen einen Riegel vorzuschieben und eine korrigierende Wächterfunktion wahrzunehmen. Im Falle von Afghanistan haben endlich zwei Oberverwaltungsgerichte mit Feststellung höchster Gefährdung für Rückkehrer:innen geurteilt und Abschiebestopps verhängt. Meist ging ein langer zäher nervenaufreibender Kampf von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Unterstützungsstrukturen voraus. Das hiesige Verwaltungsgericht sollte sich daran orientieren.
Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention sind aus unserer deutschen Vergangenheit und den Erfahrungen des Nationalsozialismus geboren.
Uns als Zivilgesellschaft bleibt angesichts des Unrechts an schutzbedürftigen Menschen nur, immer wieder zivilen Widerstand zu leisten und Monat für Monat gegen diese systematische Abschiebepolitik lauthals zu protestieren. Die Verantwortung für den Schutz dieser Menschen kann niemand uns nehmen.
Außerdem gab es Redebeiträge zur Situation in Syrien und Honduras.