Corona macht die Doppelbödigkeit der Geflüchtetenpolitik sichtbar

Folgenden redebeitrag haben wir am 19. November bei der Kundgebung "No Lager! Bewegungsfreiheit für alle!" in Schwerin gehalten.
Seit Jahren schreitet die Aushöhlung in Recht- und Würdelosigkeit im Asyl- und Flüchtlingsbereich ständig fort. Abschottung, Abwehr und Abschiebungen, die drei A's, bestimmen den Alltag von Geflüchteten - sei es in Europa, auf der Balkanroute, in Ungarn oder auch in Deutschland. Wie durch ein Brennglass verschärft die Corona-Pandemie weiter die Situation der nach Schutz suchenden Menschen.

Alles, was im Infektionsschutzgesetz an demokratischen Einschränkungen für die gesamte Gesellschaft nun vorgegeben ist, wurde vorher im "Labor der Ausgrenzung" bei der Gruppe der Geflüchteten ausprobiert und angewandt. Dieses Muster erleben wir seit Jahren im Bereich der Repression und Einschränkung von Grundrechten. Deshalb ist es nicht überraschend, wie der Umgang mit der Pandemie an den Geflüchteten staatlicherseits vollzogen wird. Hier erlebten wir viele Doppelstandards, die manchmal ein unerträgliches Leid verursachten und ein Kennzeichen sind, wie man mit marginalisierten Gruppen in Zukunft umgehen möchte.

Unhaltbare Zustände in Moria

Als besondere offene Wunde muß Moria auf Lesbos genannt werden. Auf minimalen Boden werden mehr als zehntausend Menschen in Lagern unter entwürdigenden Bedingungen zusammengepfercht und sich mehr oder weniger selbst überlassen. Unter dem Label des Infektionsschutzes wurde das Lager nach außen hin geschlossen und von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Weder Helfer:innen noch Unterstützer:innen konnten  in das Lager rein oder raus, die dringend notwendigen Güter wie Masken, Seife, genügend Wasser zum Waschen und Waschstellen wurden äußerst knapp gehalten. Polizei und Militär wachten darüber, dass die Isolation von etwa 15.000-20.000 Menschen nicht durchbrochen wurde. 

Was sich da in der geschlossenen Institution an Dramatiken abspielte, entbehrt jederwo der sinnvoller gezielter Infektionsschutz bei gleichzeitiger würdevollen Umgang  praktiziert wurde, Phantasie. Die Forderung, stattdessen das Lager aufzulösen und die Menschen in menschenwürdige Bedingungen unterzubringen, was der beste Infektionsschutz wäre, wurde ignoriert. Erst als dieser Schandfleck durch einen Brand zerstört wurde, wachten die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und Athen auf und handelten, indem sie die panisch gewordenen Menschen mit Gewalt wieder einfingen und in ein neues, noch abgeschotteres Lager packten - mit zwar neuen Zelten, aber weiter unzureichenden äußeren und inneren Bedingungen und sehr knapper Infrastruktur. Demhingegen wurde das gut funktionierende Lager Picpa von Sicherheitskräften angegriffen und letztlich "platt" gemacht. Dort wurde ein gezielterer Infektionsschutz und gleichzeitiger würdevollen Umgang praktiziert wurde. Das Lager stellte für die politisch Verantwortlichen offensichtlich einen provokative Stachel der Menschlichkeit dar, der entfernt werden musste.

Die Zustände in Deutschland

Ähnliches erlebten wir in den 8 Monaten Coronapandemie auch hier in Deutschland. Die Gemeinschaftsunterkünfte, insbesondere die Erstaufnahmelager, wurden zu geschlossenen Institutionen erklärt, Unterstützer:innen und Helfer:innen war es verboten, sie zu betreten. Innerhalb der Lager wurden erst sehr zögerlich Vorkehrungen für den Infektionsschutz vorgenommen, die entsprechenden Materialien wie Masken, Desinfektionsmittel etc erst nach viel öffentlichen Druck genügend zur Verfügung gestellt. Die Angebote, leerstehende Gebäude wie Hotels, Jugendherbergen etc für Geflüchtete zu öffnen und damit die räumliche Enge (der beste Boden zur Ausbreitung einer Infektion) zu entzerren, wurde harsch zurückgewiesen. Stattdessen wurden an einzelnen Orten ganze Kollektive  und Wohnhäuser unter Quarantäne gestellt. Selbst Kindern wurde verboten, bestimmte Areale zu verlassen, die mit Zäunen vom übrigen Lagergelände abgetrennt worden waren. Das Prinzip >Wegschließen< hinter Zäune und Mauern und kollektive Verbannung auf engsten Boden war das durchgehende Prinzip im Umgang mit Geflüchteten.

Abschiebungen in Zeiten der Pandemie

Anders herum war man großzügig unerwünschte Menschen - dazu gehören abgelehnte Asylsuchende, Geflüchtete und Migrant:innen - möglichst geräuschlos wieder aus dem Land zu schaffen. Während überall Reisebeschränkungen und Reisewarnungen ausgesprochen und ganze Reiseindustrien für ihre Untätigkeit subventioniert wurden, schob man weiter in alle möglichen Länder ab, wohin man gerade noch ein Flugzeug hin schicken konnte. 

Unabhängige Abschiebebeobachter an den Flughäfen bestätigten, dass in der gesamten Pandemiezeit Abschiebungen stattgefunden haben, selbst zu dem Zeitpunkt als es Reisebeschränkungen gab. Besonders krass fiel es bei Afghanistan auf. Neben Krieg, Gewalt und Armut liegt bis heute die Infektions- und Krankheitsrate relativ hoch, die Dunkelziffer ist wegen der nur äußerst eingeschränkten Testmöglichkeiten noch viel höher, sodass Afghanistan zum Notstandsgebiert durch die WHO ausgerufen wurde. Trotzdem wurden solange dorthin noch Menschen zurückgeschickt, bis die Regierung von Afghanistan die Grenze dicht gemacht hat. Sie konnte aber dem massiven Drohungen, Gelder zu kürzen und dem politischen Druck der EU-Bürokratie nicht standhalten, für abgeschobene Personen ihre Grenzen wieder zu öffnen. Einige Länder- und die Bundesregierung nutzten die Gelegenheit wieder Abschiebeflüge nach Afghanistan zu organisieren. Erst der massive öffentliche Protest hat sie letzten Montag davon abgehalten, den Flug durchzuführen. 

Freiheit und Solidarität!

Unter dem Label des Infektions- und Gesundheitsschutzes werden heimlich weitere Einschränkungen für die Bewohner:innen der Lager und Massenunterkünfte beschlossen und organisiert, anstatt die Bedingungen für die Infektionsausbreitung zu bekämpfen. Das einzig sinnvolle wäre die Auflösung dieser Lager. 

Wir müssen uns gegen diese Tendenzen des Ausschlusses, der Isolation, der Abschottung, der Verknappung und der Kontrolle bis hin zur Auhöhlung der allgemeinen Grundrechte widersetzen!

Wir müssen uns konsequent schützend vor vulnerable Personen stellen!

Schutz und Solidarität für marginalisierte Gruppen bedeutet auch immer den Schutz der Freiheit für uns alle!