Sie sind wieder in aller Munde: Die sog. „sicheren Herkunftsländer“. Wir werfen einen Blick auf die rassistischen Kontinuitäten dieses Konzepts und der rechten Mobilisierung, die dahinter steht.
„Sichere Herkunftsländer“ finden sich seit 1993 im deutschen Asylgesetz. Sie wurden mit dem sog. „Asylkompromiss“ eingeführt, der die Antwort der politischen „Mitte“ auf die rechtsextremen Gewaltwelle der frühen 1990er Jahre war. Drin steckten: Abschottung, Abschiebungen und Leistungskürzungen. Damals wie heute bestrafte man die Faschos und Rassisten nicht etwa, sondern belohnte sie für ihre Hetze und Gewalt mit genau den Gesetzen, die sie sich wünsch(t)en. Wie sehr rassistische Mobilisierung auf der Straße und in Parlamenten Hand in Hand gehen, können wir aktuell wieder beobachten.
Bis heute findet sich das Konzept der sicheren Herkunftsländer immer wieder in Paketen von Asylgesetzverschärfung, die die sog. Mitte immer wieder erlässt. Nun wollen Union und SPD in ihrem Abschottungswahn den nächsten Schritt gehen – und die demokratische Kontrolle darüber eindämmen, ob ein Herkunftsland als „sicher“ gilt. Wenn es nach ihnen geht, soll zukünftig per Rechtsverordnung beschlossen werden, ob ein Land als sicheres Herkunftsland eingestuft wird, statt wie bisher durch Bundestag und Bundesrat. Die Regierung könnte so direkt durchdrücken, dass Asylsuchende aus bestimmten Ländern kaum mehr eine Perspektive in Deutschland haben. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am 4. Juni beschlossen. Anfang Juli war die 1. Lesung im Bundestag.
Das Ziel der Erklärung möglichst vieler „sicherer“ Herkunftsstaaten ist es, den unsichtbaren Käfig aus Repression und Isolation für Asylsuchende noch enger zu bauen. Für Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ (SHKL) droht eine sehr schnelle Ablehnung des Asylantrags mit „offensichtlich unbegründet“ (von der CSU wurde vor einigen Jahren das Ziel ausgerufen: Ablehnung binnen 48 Stunden!). Die aufenthalts- und asylrechtlichen Folge dieser speziellen Form der Ablehnung: Kein Rechtsschutz mehr, Leistungskürzung auf das sog. physische Existenzminimum, Pflicht zum Leben im Erstaufnahmelager und keine aufenthaltsrechtlichen Perspektiven abseits des Asylverfahrens. Maximale Einschränkung, maximale Kontrolle, möglichst schnelle Abschiebung ist das Motto. Rassistische Politik auf Kosten der Asylsuchenden.
Was heißt „sicher“?
Bei der Definition von „sicher“ geht es keineswegs um eine Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in den jew. Herkunftsländern. Ghana wurde beispielsweise in den 90er-Jahren auf die Liste gesetzt, obwohl dort noch die Todesstrafe verhängt wurde. „Sicher“ ist hier ein asylrechtlicher Begriff, der für Menschen aus den jeweiligen Ländern die Folge hat, dass sich in ihren Asylverfahren die Beweislast umkehrt. Das BAMF muss nicht mehr begründen, warum sie einen Asylantrag ablehnen, sondern die Asylsuchenden müssen BEWEISEN, warum sie Schutz brauchen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Verfolgung schwer zu BEWEISEN ist, vor allem wenn man aus einem instabilen Land mit wenig formellen Staatsstrukturen (wie einer funktionierenden Verwaltung oder einer nicht-korrupten Polizei) kommt.
Die Einstufung von Ländern als „sicher“ geschieht meist, um Asylsuchende aus den jew. Ländern abzuschrecken. Bedient wird sich rassistischer Stereotype und einer breiten Mobilisierung durch das rechte bis rechtsextreme Spektrum. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit
- 2014/15: Im Laufe weniger Jahre wurden die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien als „sicher“ eingestuft. Dem voraus ging damals eine umfassende antiziganistische Hetze in Medien und Politik (hierzu diskursanalytisch). Ein Fazit zur Einstufung zog vor wenigen Monaten PRO ASYL.
- 2016: Kurz nach „der Sylvesternacht“ in Köln wurden dann „Nafris“ zum großen, bösen Sündenbock stilisiert. Die nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien und Tunesien sollten zu SHKL erklärt werden, obwohl selbst das BAMF diese Länder für Oppositionelle, religiöse Minderheiten, Frauen und LGBTIQ+ nicht für sicher hielt. Die Einstufung wurde im Bundesrat verhindert (namentlich an den Grünen), weswegen das Bundesinnenministerium sich für den informellen Weg entschied: Die Asylverfahren aus diesen Ländern wurden priorisiert und möglichst schnell abgelehnt. Abschiebeabkommen mit den entsprechenden Ländern wurden vorbereitet.
- 2016/17: Nachdem „Wir schaffen das“ von 2015 wieder gesamtgesellschaftlich in einen flüchtlingsfeindlichen Diskurs umgeschlagen war, fabulierten Rechte und Faschos plötzlich auch von Ländern wie Afghanistan als sicher. Doch auch hier scheiterte die entsprechende Einstufung am Bundesrat. Während zehntausende Asylsuchende Jahr für Jahr dem BAMF von der Bedrohung und Übernahme verschiedener Institutionen durch die Taliban in verschiedenen Regionen in Afghanistan berichteten und Afghan:innen überall in Deutschland unter dem Motto „Afghanistan nicht sicher“ gegen Abschiebungen protestierten, war das sozialdemokratische Außenministerium fünf Jahre später total überrascht, als genau diese Taliban binnen weniger Tage das Land übernahmen und damit den Kampf um die „Freiheit am Hindukusch“ gewannen, indem sie seitdem wieder eine islamistische Schreckensherrschaft errichten.
- 2023: Georgien und Moldau wurden zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt – trotz Protesten von Rom:nja-Organisationen. Einen Redebeitrag dazu hat das Roma Center Göttingen einige Monate vorher beim Gedenken an das Pogrom in Lichtenhagen gehalten. MV stimmte im Bundesrat mit der Stimme der LINKEN dafür.
- Aktuell: Derzeit möchten Union und SPD zB Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als „sicher“ einstufen. In dieser Liste fällt sofort ins Auge, dass dort religiös-nationalistische Regierungen an der Macht sind und damit in diesen Ländern ein gesellschaftches Klima herrscht, in dem regelmäßig Hetze und Gewaltausbrüche gegen bestimmte rassifizierte Gruppen stattfinden, Frauen nicht die vollen Bürger:innenrechte haben und LGBTIQ-Menschen die Existenz abgesprochen wird. Schwarz-rot rechnet bei ihrer seltsamen Vorstellung von „sicher“ zu recht mit Gegenwind aus der Zivilgesellschaft.
- Daher sieht der aktuelle Gesetzesentwurf vor, dass zukünftig nicht mehr Bundestag und Bundesrat über die Einstufung entscheiden, sondern die Koalition für sich alleine per Rechtsverordnung wurschteln kann. Wir sehen hier ein weiteres Beispiel dafür, wie die Regierung versucht, ihre politische Entscheidungsgewalt auszudehnen, indem sie demokratische Kontrolle und Entscheidungsfindung ausklammert – wie auch schon bei den illegalen Zurückweisungen trotz gegenteiligem Gerichtsbeschluss. Ein weiteres Mal macht die sogenannte bürgerliche Mitte lange vor Regierungsbeteiligung der Faschisten deutlich: Ein Rechtsstaat schützt nur diejenigen, die er schützen will. Gleichberechtigung ist schneller per Rechtsverordnung abgesägt als wir uns vorstellen können.
Rassistische Kontinuitäten brechen!
Das Konzept und politische Stilmittel „Sichere Herkunftsländer“ hat eine rassistische Kontinuität. In Mecklenburg-Vorpommern sind wir mit dieser besonders verbunden durch die Verknüpfung des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen und der darauf folgenden Asylgesetzverschärfungen im sog. „Asylkompromiss“.
Wo Rassismus ist, ist auch Widerstand. Auch der hat eine Kontinuität, an die wir anknüpfen können. Sinti:zze und Rom:ja protestieren seit dem Ende des Porajmos für ihre Rechte und volle Anerkennung in Deutschland, auch gegen die Einstufung von Ländern als „sicher“, in denen Rom:nja Verfolgung und struktureller Benachteiligung ausgesetzt sind. In MV gab es zuletzt 2016 größere Proteste gegen eine Sammelabschiebung aus Laage in „sichere Herkunftsländer“. Aktuell sind Überlebende des Pogroms in Lichtenhagen erinnerungspolitisch aktiv in Rostock.
Auch heute müssen wir Widerstand gegen institutionellen Rassismus organisieren. Rassismus ist tief in unsere Gesellschaft eingeschrieben. Wir müssen ihm auf vielfältige Weise widersprechen, auch dort, wo er sich in Gesetzen und Institutionen zeigt.
Was könnt ihr tun? Einige Ideen
- Protestiert gegen den Gesetzesentwurf. Organisiert Demos, unterschreibt Petitionen, schaut in den Sprechstunden eurer Abgeordneten vorbei.
- Mault Sozialdemorkat:innen voll, wenn sie sich in der CSD-Saison als Kämpfer:innen für die Rechte queerer Menschen inszenieren und gleichzeitig für LGBTIQ+ aus vielen Ländern das Asylverfahren hier strukturell unmöglich machen.
- Unterstützt migrantische Kämpfe für Gleichberechtigung und Bleiberecht, zum Beispiel das Roma Center Göttingen.
- Positioniert euch pro Asyl und pro Bleiberecht – jeden Tag: Online, in Gesprächen mit Kolleg*innen, Freund*innen oder Familie, auf der Straße.
We stand United!
Gegen jeden Rassismus!