Positionen zum Lager Horst

Musiker gegen Zustände in Erstaufnahme

Am 17. und 18. August fand das Protestwochenende der Lebenslaute in Mecklenburg-Vorpommern statt. Mit ihren Konzerten in Schwerin, in und vor dem Lager in Nostorf/Horst forderten sie: Isolation durchbrechen! Lager Horst auflösen! Bleiberecht für alle!

Die Musiker*innen und Aktivist*innen kamen aus ganz Deutschland angereist, um gegen die inakzeptablen Zustände im Lager in Nostorf/Horst anzuspielen: Isolation, die durch unzureichende Verkehrsanbindung noch verstärkt wird, unzureichende medizinische Behandlung, unzureichende rechtliche Beratung, nächtliche Zimmerdurchsuchungen, regelmäßige Abschiebungen, keinen Zugang zu Schulbildung für Kinder allen Alters

Auf die Pressemitteilung der Lebenslaute bezog das Innenmiminsterium im oben verinkten NDR-Artikel Stellung. Auf diese können wir leider – mal wieder – nur mit Kopfschütteln reagiern, denn sie zeigt: Im Innenministerium kennt man zwar seine Verträge und Konzepte, einen Blick auf die realen Zustände möchte man aber dennoch nicht wagen. 

Da PRO BLEIBERECHT gemeinsam mit anderen Initiativen mit regelmäßigen Mahnwachen vor Ort ist, möchten wir hier die Aussagen des Innenministeriums erwidern und zeigen, warum es weiterhin nötig ist gegen den Lagerbetrieb auf die Straße zu gehen – und endlich: Horst zu schließen!

 

These #1 des Innenministeriums

„Die Asylbewerber seien nicht eingesperrt, sondern könnten sich frei bewegen.“

Wenn diese Aussage Rückschlüsse darauf zulässt, was das Innenministerium unter „Freiheit“ versteht, können wir uns warm anziehen. Fakt ist: Ja, Bewohner*innen können das umzäunte Gelände verlassen. 
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Die erste Frage lautet nur: Wohin? Das Lager in den Räumen der ehemaligen Kaserne liegt abgelegen im ehemaligen Grenzstreifen zwischen Boizenburg und Lauenburg und ist ohne Auto kaum zu erreichen oder zu verlassen. Wir könnten an dieser Stelle die Frage stellen, wie viele Mitarbeiter*innen denn täglich mit Bus und Bahn anreisen. Unsere Vermutung: Niemand. 
Seit kurzem erhalten die Bewohner*innen ein Fahrticket für einige regionale Buslinien – dafür werden jeder Person 22 Euro vom monatlichen Taschengeld abgezogen, selbst, wenn schon Kürzungen vorliegen oder sie den Bus nicht nutzen können/möchten. Am Wochenende gibt es keine Busse. Diese Form der Isolation ist strategisch und hindert die Menschen daran Kontakte außerhalb des Lagers aufzubauen. 

 

Die zweite Frage lautet: Mit welchen Folgen? Denn: An jeder Ecke lauern Sanktionen. Für jeden Tag außerhalb des Lagers wird Geld vom eh schon viel zu gering bemessenen Taschengeld abgezogen. Zudem ist der Betreiber berechtigt das Zimmer zu räumen und neu zu vergeben, wenn ein/e Bewohner*in einige Tage am Stück nicht im Lager war.

These #2 des Innenministeriums

„Die medizinischen Behandlungen sei über die Boizenburger Klinik vertraglich abgesichert.“ & „Die Bewohner würden genauso versorgt, wie die einheimische Bevölkerung.“

Ja, dieser Vertrag scheint zu existieren. Nadelöhr der Überweisung in die Klinik ist jedoch der „medizinische Dienst“ vor Ort im Lager oder außerhalb der Sprechzeiten der Betreiber. Es ist kein*e Ärzt*in vor Ort. Krankenschwestern übernehmen die medizinische Versorgung der Bewohner*innen.
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Bedeutet: Niemand kann selbst entscheiden, wann sie oder er eine*n Ärzt*in aufsuchen möchte. Eine psychologische Beratung/Betreuung wird durch die Klinik in Boizenburg zudem überhaupt nicht abgesichert. Selbst wenn ein Bedarf festgestellt wird, fallen die Betroffenen in ein Versorgungsloch und können nicht weitervermittelt werden.

 

Die Aussage, „die Bewohner*innen würden genauso versorgt, wie die einheimische Bervölkerung“ darf demnach gerne wütend machen, denn sie zeichnet nicht nur ein falsches Bild von der Realität, sondern ist schlichtweg gelogen. Die medizinische Versogung findet auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) statt und das besagt per Definiton: Notversorgung, „Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ (§4 AsylblG).
Warum diese Gesetzgebung seit Jahrzehnten problamtisch ist, lest ihr zB bei PRO ASYL, bei den Medibüros/Medinetzen und beim BafF 

 

Als Beispiel haben wir vor Kurzem über die Situation schwangerer Frauen im Lager berichtet. Nicht nur, dass sie sich selbst bei medizinischer Indikation kein eigenes Essen zubereiten dürfen, sie erhalten auch keine zusätzliche Versogung durch Nahrungsmittelergänzungen, Vitaminpräparate.

These #3 des Innenministeriums

„Kinder würden in interkulturellen Lernwerkstätten zur Schule gehen.“

Es ist erstaunlich, wie das Ministerium auf die „Interkulturelle Lernwerkstatt“ pocht, ein freiwilliges Angebot, in dem Kinder beschäftigt werden, weil das Land sich weigert sie im Regelbetrieb zu beschulen. Welches pädagogische Konzept liegt dem Angebot zugrunde? Welche Qualifikationen haben die Mitarbeiter*innen? Informationen dazu findet man nicht.
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Erst im April 2019 hat man sich in der Neufassung des Landesschulgesetzes erneut aktiv gegen die Schulpflicht für Kinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen/AnkER-Zentren entschieden. 

 

Wie bei allen Kindern und Jugendlichen sind die individuellen Bedarfe auch in Horst äußerst unterschiedlich: Schüler*innen können hochbegabt sein, eine Lernschwierigkeit aufweisen, besonders kreativ/musikalisch/mathematisch begabt sein, usw. Keinem dieser Ansprüche kann im Lager Rechnung getragen werden. Kinder von Geflüchteten können erst dann zur Schule gehen, wenn sie auf die Kommune verteilt werden.

Mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ ist die Unterbringungszeit in Aufnahmelagern für Kinder und ihre Familien auf maximal 6 Monate beschränkt. Wie es in Dublin-Fällen aussieht, ist Ländersache. Hier würden wir uns zur Abwechslung über eine konkrete Stellungnahme statt Allgmeinplätzen des Innenminisetriums freuen, wie sie gedenken dies zu regeln.

 

Das Recht auf Bildung ist gesetzlich verankert: In der UN-Kinderrechtskonvention und in der EU-Aufnahmerichtlinie. Dass das in anderen Bundesländern durchaus umgesetzt wird, könnt ihr in dieser bundesweiten Übersicht des Deutschen Instituts für Menscherechte nachlesen.  

These #4 des Innenministeriums

„Der Zugang zu Beratung und die Erreichbarkeit von Rechtsanwälten sei jederzeit gegeben.“

Ein Mythos, der sich rund um Horst beständig hält. Das Innenministerium sieht sich bestärkt durch das enttäuschende Urteil des VG Schwerin bezüglich der Zutrittsklage des Flüchtlingsrats Hamburg. Die Realität sieht weiterhin so aus: Die asylrechtliche Beratung durch die Flüchtlingsräte findet in den Containern vor dem Lager statt. Bewohner*innen, die diese aufsuchen wollen, müssen das Lager verlassen und ihren Hausausweis abgeben. Damit ist die Beratung nicht anonym.
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Zudem können die Mitarbeiter*innen der Flüchtlingsräte in den kurzen Besprechungszeiten lediglich auf Anwält*innen verweisen. Diese finden sich dann in Hamburg, Rostock, Schwerin, usw. Eine Kontaktaufnahme ist damit nicht „jederzeit gegeben“, sondern vielmehr „fast unmöglich“. 

 

Seit der Unterzeichnung des Vetrags, der Horst und Stern Buchholz zu AnkER-Zentren macht, führt das BAMF selbst eine sog. „unabhängige staatliche Beratung“ durch. Viele Verbände hatten eine unabhängige Beratung jahrelang gefordert, Die neue Regelung bewerten sie so: „Trotz dieser Erkenntnis wird seit August 2018 ein weiteres Pilotprojekt „Asylverfahrensberatung“ durch das BAMF umgesetzt, in dem Mitarbeitende des BAMF allgemeine Informationen zum Asylverfahren vermitteln, jedoch keine Beratung in Bezug auf die individuellen Verfolgungsgründe und explizit keine Rechtsberatung anbieten. Aus Sicht der Verbände entspricht dieses Projekt weder der Asylverfahrensberatung, wie sie seit langem durch die Verbände angeboten wird, noch den Grundideen des oben erwähnten positiv evaluierten Pilotprojektes.“

Protest gegen Flüchtlingsheim im Wald. Das Lager im Wald soll weg.

Gutes Framing ist die halbe Miete für rückschrittliche Politik. Der Weg zu alternativen Fakten ist dabei aber nicht weit. Deswegen haben wir uns auch noch die Mühe gemacht und die Aussagen des Innenministeriums aus dem Artikel „Protest gegen Flüchtlingsheim im Wald. Das Lager im Wald soll weg in der taz Nord unter die Lupe genommen. 

These #5 des Innenministeriums

„Laut Teich gibt es in Horst „keinen Anlass zur Kritik“, auch die Bewohner äußerten dies nicht…“ 

Die Hände, die im Bild zu sehen sind, gehören zu Bewohnenden der Einrichtung. Links auf englisch: „Stop killing me“, die Aussage bezieht sich auf die fehlende psychologische Versorgung. Die Betroffenen nehmen die eklatante Verschlechterung ihres Gesundheitszustands durchaus wahr. Rechts: „Camp Horst schließen!“ auf türkisch.

These #6 des Innenministeriums

„…und es sei falsch, die Einrichtung als „Lager“ zu bezeichnen.“

Im online-Duden, einsehbar für jedermensch, steht unter dem Stichwort >Lager< geschrieben: „für das vorübergehende Verbleiben einer größeren Anzahl Menschen eingerichteter [provisorischer] Wohn- oder Übernachtungsplatz“. Also doch, ja: Horst ist ein Lager.
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Die Asylsuchenden sollen dort nur vorübergehend bleiben. Sie werden entweder in die Kommunen verteilt (bei guten Aussichten im Asylverfahren) oder harren bis zu ihrer Abschiebung dort aus. In der Wartezeit werden sie vorsorglich dahingehend beraten "freiwillig" auszureisen. Leistungskürzungen, Tristesse und Abgeschiedenheit sollen ihr Übriges tun, um sie wieder zu vergraulen.
Wir verwenden den Begriff Lager natürlich nicht nur beschreibend im Sinne des Duden, sondern ganz bewusst politisch. Die "AnkER" - und Lagerpolitik der Bundesregierung ist Teil eines globalen Phänomens: Rechte Agitator*innen schaffen überall auf der Welt Lager für Migrant*innen und Geflüchtete, weil sie denken durch Kasernierung ließen sich Menschen besser aufhalten und kontrollieren. Horst ist sicher nicht das schlimmste Lager der Welt, was wir auch gar nicht behaupten.

 

Aber unwürdig im Vergleich zu den Möglichkeiten, die dieses reiche Land hätte. Aus unserer Sicht sollen diese Verhältnisse der Abschreckung dienen gegenüber Menschen, die Schutzbedürftig sind und in der Regel vieles Traumatische hinter sich haben. Der Druck, die ständige Beobachtung und Kontrolle, das Gefühl nicht sicher und selbstbestimmt zu leben - das wird ganz bewusst hervorgerufen und als Abschreckungsinstrument benutzt. Das verstößt gegen das Grundrecht im Artikel 1 des Grundgesetzes.

 

Wenn die Christ*innen aus der CDU/CSU ihren Mitmenschen das mit ihren politischen Entscheidungen antun, dann sagen wir: Steht gefälligst dazu! Hört auf es schön zu reden, zu leugnen und als "Humanität und Ordnung" zu verkaufen! 

These #7 des Innenministeriums

"Es gebe vom Malteser Hilfsdienst eine sehr umfangreiche Betreuung, die auch einen Friseur, ein World-Café und ein schulähnliches Angebot mit ehrenamtlichen Kräften umfasse."

Eine*n Friseur*in scheint es tatsächlich zu geben, das hörten wir bereits auf vergangenen Mahnwachen von Bewohner*innen. Allerdings wurde uns berichtet, dass dort von Bewohner*innen anderen Bewohner*innen die Haare geschnitten werden, nicht etwa von externen Friseur*innen. 
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Die Grenze zwischen „Betreuung“ und Beschäftigungsmaßnahme ist fließend, ebenso die zwischen „Freiwilligkeit“ und „Zwang“. Die Asylsuchenden, die das tun, bekommen dafür 80 Cent pro Stunde, so wurde uns berichtet. Damit handelt es sich höchstwahrschenlich um eine Arbeitsgelegenheit nach Asylbewerberleistungsgesetz. Den „Lohn“ zahlt somit nicht der Betreiber, sondern das zuständige Sozialamt.

Wir leben im Kapitalismus. Der Betrieb von Sammelunterkünften ist schon lange nicht mehr ausschließlich Dienst am Gemeinwohl durch herzensgute Samariter. Der Zuschlag wird vorrangig nach dem Kriterium „billig“ vergeben. Einbezogen wird auch das inhaltliche Betreuungskonzept der betreibenden Vereine, gGmbHs oder GmbHs. Clever gemacht also von den Betreibern beides zu verschränken: Ein „Betreuungsangebot“, für das man keine*n Sozialpädagog*in einstellen muss, finanziert vom Sozialamt.

These #8 des Innenministeriums

"Eine komplette Verlagerung der Erstaufnahme nach Stern-Buchholz sei nicht möglich, weil es nur in Horst die dafür erforderliche Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebe, sagt der Ministeriumssprecher."

Tatsächlich ist das BAMF auch in Stern Buchholz vor Ort. Es führt dort Anhörungen und Widerrufsverfahren durch und nimmt Fingerabdrücke im Rahmen der Identitätfeststellung ab. Stern Buchholz wird auf der Webseite des BAMF als "Stern-Buchholz - Außenstelle im Ankunftszentrum" geführt, Horst einfach nur als "Außenstelle".
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Eine Verlegung des BAMF wäre eine reine Formsache: Mietvertrag kündigen, Umzugsunternehmen beauftragen, Briefkopf anpassen. Wir wollen deutlich anmerken, dass die Verlegung nach Stern Buchholz zwar einige Vorteile bringt: z.B. Bessere Infrastruktur, Anbindung an Beratung und Zivilgesellschaft, mehr Kapazitäten zur medizinischen Versorgung in Schwerin. Doch auch die Erstaufnahmestelle in Schwerin ist aus u.g. Gründen als Sammellager ebenso kein geeigneter Wohn- und Lebensort für hunderte Menschen. Denn: Es gibt kein richtiges Lager im falschen.  

These #9 des Innenministeriums

"Außerdem sei eine Unterkunft bereits ausgelastet, wenn nur 75 Prozent der Plätze belegt sind, da man nur dann die besonderen Belange von Müttern mit Kindern oder verschiedenen Ethnien berücksichtigen könne."

Die besonderen Belange von Individuen (die wiederum als Frauen, als Kinder, als Opfer von Menschenhandel, Folter und/oder Gewalt, als politisch Verfolgte, als Arme, als Reiche, als Europäer*innen, als Latin@s, als gesellige Menschen, als scheue Menschen, als Informatikerin, als Schweißer, oder, oder, oder wiederum jede*r unterschiedliche Bedürfnisse haben) können in einem Sammellager grundsätzlich nicht ausreichend berücksichtigt werden. 
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Zu behaupten, dies wäre so, verschleiert die eigene Verantwortung: Nämlich Menschen in eine psychisch und individuell hochgradig belastende und meist als unsicher empfundene Situation zu bringen.

„In meinem Land gibt es nur eine Sache, die auf mich wartet: Der Tod.
Ich überlege in mein Land zurück zu gehen. Denn hier sterbe ich jeden Tag aufs Neue.“
– Schilderung eines Bewohners von Horst, Übersetzung aus dem Englischen

Lorenz Caffier, Chef des zitierten Ministeriumssprechers, hat immer wieder deutlich gemacht, dass genau diese psychische Zerrüttung von Asylsuchenden sein Anliegen ist – um abzuschrecken und den Ausreisedruck zu erhöhen. Möglicherweise hat er nie mit jemandem gesprochen, der*die 3 Monate oder 2 Jahre in Horst leben musste. Gut tun würde ihm das.

Konzepte, die Asylsuchenden die schwierige Siuation in Aufnahmelagern möglichst erleichtern, sind lobenswert. Sie gehen aber immer am grundlegenden Bedarf vorbei: Dezentrale Unterbringung, in deren Rahmen Menschen ihr Leben selbst bestimmen können. Und gerade im Kontext von Flucht und Asyl: In deren Rahmen seelische Wunden heilen können und der Blick nach vorne gerichtet werden kann.

Fazit

Das Innenministerium stellt gerne Behauptungen hinsichtlich des Lagers in Nostorf/Horst auf. Journalist*innen drucken diese ab. Es entsteht eine Patt-Situation, in der die Berichte von Bewohner*innen, die wir und z.B. Lebenslaute sie veröffentlichen, gegen offizielle Aussagen stehen. Wir würden uns wünschen, dass Journalist*innen den Aufwand wagen und vor Ort selbst mit Geflüchteten sprechen. 

Wir solidarisieren uns mit den Bewohner*innen des Lagers und den Protestaktionen der Lebenslaute und fordern: Isolation durchbrechen! Lager Horst auflösen! Bleiberecht für alle!
Kommt zu unseren Mahnwachen!