Am 18. März haben wir bei der Kundgebung anlässlich des Internationalen Tags der politischen Gefangenen in Rostock den folgenden Redebeitrag gehalten.
Asylverfahren politischer Gefangener
Moin. Schön, dass ihr alle hier her gekommen seid, um eure Solidarität mit den Kämpfen der Menschen auszudrücken, die überall auf der Welt für Freiheit und Würde kämpfen.
Wir möchten euch heute kurze Einblicke darin geben, was ein Asylverfahren in Deutschland für diejenigen heißt, die es schaffen hier her zu fliehen - entweder nachdem sie schon im Knast saßen oder bevor sie verhaftet werden. Wir möchten euch damit anregen, in Kontakt mit Genoss:innen zu treten, die sich im Asylverfahren befinden und sie in den Kämpfen um Anerkennung und Bleiberecht zu unterstützen, die sie leider oft führen müssen.
Generell: Bewertungen von Fluchtgründen
In einem Asylverfahren geht es im Kern darum, dass ein deutscher Bürokratieapparat überprüft, ob er Gesetze zum Schutz vor Verfolgung auf einen Menschen anwenden muss, der oder die krasse Erfahrungen gemacht hat. Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, sitzen beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) nicht gerade politische Aktivist:innen, sondern ganz normale Schreibtischtäter:innen. Es sind Menschen, denen es im Normalfall fern liegt, ihr Leben für eine politische Sache zu riskieren. Es treffen zwei völlig verschiedene Lebenswelten aufeinander.
Ein Beispiel aus dem echten Leben: Jemand schildert seine regimekritischen Tätigkeiten im Iran.
Gegenfrage des BAMF: „Wenn Sie wussten, dass dafür die Todesstrafe droht, warum haben sie nicht aufgehört damit?“
Völlige Sprachlosigkeit beim Genossen.
„Weil ich an Gerechtigkeit glaube. Weil ich etwas ändern will.“
Völliges Unverständnis beim BAMF-Mitarbeiter.
Der häufigste Grund für Ablehnungen in politischen Asylverfahren ist, dass das BAMF den Leuten nicht glaubt, dass sie aktiv waren. Weil sie zB solche Antworten nicht glaubwürdig finden.
Manchmal lehnt das BAMF auch ab, weil es urteilt, man wäre nicht „herausragend“ politisch tätig gewesen. Man war kein bekannter Parteifunktionär, sondern hat „nur“ Flyer verteilt oder war „nur“ ein einfaches Mitglied. Solche „Kleinigkeiten“ führen angeblich nicht 100% sicher in den Folterknast. Sagt das BAMF. Tatsche: Im vergangenen Jahr wurden 834 Menschen im Iran hingerichtet. Sie waren nicht alle „herausragende“ Parteikader der demokratischen Opposition.
Fehlende Infos: Anhörungsvorbereitung
Die Befragung zu den Fluchtgründen findet bereits wenige Wochen nach der Ankunft in den Aufnahmestellen für Asylsuchende statt. Das birgt Fehlerquellen, eigentlich offensichtlich: Jemand, der:die gerade vor einem Unrechtsregime geflohen ist, soll nach wenigen Wochen das Vertrauen in die neuen Behörden aufbringen, sein:ihr ganzes Leben auf den Tisch zu packen. Ohne unsere deutschen Vorstellungswelten zu kennen, meistens mit schlechter Übersetzung. Das geht regelmäßig schief mit der Folge, dass das BAMF den Asylantrag ablehnt.
Ein Beispiel: Im Iran arbeiten Aktivist:innen, die in verbotenen Parteien aktiv sind, in anonymisierten Parteizellen. Das heißt man kennt nur etwa 5 Leute. Ein „Head of“ kennt wiederum wenige Weitere. Die Idee dahinter ist klar: Wer nur 5 Leute kennt, kann unter Folter nur 5 Namen nennen. Mit einem schlechten Übersetzer wird in einer Anhörung aus Parteizelle schnell mal „Team“ und aus Genosse „Freund“. Im Kontext liest sich die regimekritische Tätigkeit dann eher wie ein skurriles Beisammensein unter Freund:innen als riskante Oppositionsarbeit.
Das BAMF ignoriert solche offensichtlichen Fehler in der sprachlichen Übertragung, denn „Übersetzung ist Übersetzung“. Es ist daher ungemein wichtig, Genoss:innen auf die Sturheit und Ignoranz des BAMF vorzubereiten, damit sie ggf. angemessen darauf reagieren können.
Folgeanträge: "Nur" Mecklenburg-Vorpommern
Abgelehnte Asylsuchende haben die Möglichkeit einen zweiten Asylantrag zu stellen, zB wenn man exilpolitisch tätig ist. Hier haben wir tatsächlich schon eine ablehnende Antwort des BAMF gesehen, die dem O-Ton nach besagte: Mecklenburg-Vorpommern ist viel zu unbedeutend. Den iranischen Geheimdienst interessiert es nicht, wenn man hier Demos organisiert.
Das ist natürlich ebenso Bullshit, wie vieles Andere was das BAMF aufschreibt. Wir wissen, dass Familien von Aktivist:innen in bestimmten Herkunftsländern angesprochen werden, wenn sie hier regimekritisch in Erscheinung treten. Das ist der häufigste Grund, den Genoss:innen im Exil uns nennen, warum sie hier nicht regimekritisch in Erscheinung treten wollen. Um ihre Familien und Freund:innen zuhause zu schützen.
Zusammenarbeit mit Autokraten und Regimen
Exilpolitisch aktive Asylsuchende und ehemalige politische Gefangene sind während der Asylverfahren an sich keineswegs sicher. Die Bundesregierung und das BAMF finden diverse Möglichkeiten Leute in Gefahr zu bringen:
- Beim BAMF arbeiten beispielsweise Sprachmittler:innen auf Honorarbasis, keine staatlich vereidigten Dolmetscher:innen. Es gibt diverse Berichte, dass hier Geheimdienstspitzel, zB aus der Türkei oder Eritrea, Informationen an die Regierungen gespielt haben.
- Das BAMF arbeitet mit Anwält:innen in verschiedenen Ländern, um Infos gegenchecken zu lassen: Gibt es zB wirklich einen Haftbefehl gegen XY? Bekannt wurde vor einigen Jahren ein Fall, als Erdogan (ist ja nicht dumm) einfach einen dieser Anwälte verhaftete und die Daten von etwa 900 Asylsuchenden beschlagnahmte.
- Seit 2021 hat das Bundesinnenministerium es den Regimen dieser Welt aber noch viel einfacher gemacht. Seitdem werden die Anhörungen und damit die persönlichsten aller persönlichen Informationen von Asylsuchenden im Ausländerzentralregister gespeichert – politische Einstellung, ggf. Sexualität, Religionszugehörigkeit, Folter- und Knastberichte usw. Auf diese Daten haben folgende Behörden Zugriff: Alle 600 lokalen Ausländerbehörden, die Länder-Aufnahmeeinrichtungen, die Bundesagentur für Arbeit, Sozialämter und Jobcenter, die Bundespolizei, alle »sonstigen« Polizeivollzugsbehörden, Zolldienststellen, Staatsanwaltschaften, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter sowie deutsche Auslandsvertretungen. Insgesamt etwa 150.000 Mitarbeiter:innen können so auf die Datensätze von ca. 19. Mio Menschen zugreifen. Für Regime mit Verfolgungsinteresse nicht gerade schwer, eine:n davon auf die Gehaltsliste zu setzen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt bereits gegen dieses Gesetz.
Unterbringung: Besondere Schutzbedürftigkeit
Wer sich mit den Asylverfahren von Genoss:innen beschäftigt, begegnet unumgänglich Schilderungen von Folter und schwerer Gewalt. In den Knästen in der Türkei, in Syrien, im Iran gehören Isolationshaft und Folter zum Tagesgeschäft. Wir sind immer wieder beeindruckt, wieviel Kraft und Ressourcen Menschen in sich und unter Genoss:innen mobilisieren können, um diese Gewalt zu überleben und zu verarbeiten.
Die Wunden von Gewalt und Folter tragen Menschen lange mit sich. Diese Wunden können körperliche Wunden sein. Chronische Schmerzen, Narben, Einschränkungen. Die Wunden können auch emotionale, seelische Wunden sein. Depressionen und posttraumatische Belastungen wie Schlaflosigkeit und Flashbacks. Die Wunden können auch mit der abrupten unfreiwilligen Migration zusammenhängen: Schuldgefühle, weil man Freund:innen, Familie und Genoss:innen zurückgelassen hat und Schwierigkeiten hat hier anzukommen.
In der Theorie gibt es das Recht auf eine Versorgung, die den Gewalterfahrungen entspricht, zB entsprechende Unterbringung (nicht in Sammellagern). Die Landesregierung MV setzt die entsprechende EU-Richtlinie aber schlichtweg nicht um.
Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung während des Asylverfahrens folgt den Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetze, einem rassistischen Parallelgesetz, das mit dem „Asylkompromiss“ 1992 eingeführt wurde. Medizinische Versorgung gibt es nur bei „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“.
Für Betroffene von Folter während politischer Inhaftierung kann das zum Beispiel bedeuten:
Therapeutische Behandlung, um das Erlebte zu verarbeiten: Nein. Stationäre Behandlung nach Suizidversuch: Ja. „Akut“ ist ein Begriff, der gern als das denkbar Schlimmste ausgelegt wird.
Für Menschen, die sich nicht mit Asylverfahren und dem daran angrenzenden institutionellen Rassismus beschäftigen, klingt das vielleicht überspitzt oder zynisch, vielleicht sogar unglaubwürdig. Leider ist es Realität in Deutschland. Eine Realität, gegen die leider viel zu wenige Menschen laut werden.
Deswegen: Widerstand und Solidarität!
Es ist gut und wichtig, dass ihr alle heute hier seid und euch solidarisch mit den politischen Gefangenen auf der ganzen Welt zeigt.
Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.
Wir sind aber auch wieder ein paar mehr geworden seit dem letzten 18. März, nämlich die, die es hierher geschafft haben und die, die bleiben konnten. Deshalb:
Setzt euch für sichere Fluchtwege ein!
Das meint sowohl: Grenzen abschaffen als auch Aufnahme aus dem Ausland verstärken.
Setzt euch gegen Abschiebungen in Folterstaaten ein!
Das meint sowohl generelle Forderungen nach Abschiebestopp, sowie die aktive Parteinahme für einzelne Genoss:innen, die von Abschiebungen bedroht sind.
Unterstützt Genoss:innen, die hier in MV Asylverfahren machen!
Das meint sowohl Support im Asylverfahren, als auch freundschaftlichen Support.
Hoch die internationale Solidarität!