Anlässlich des Jahrestags der syrischen Revolution hat das Sozialministerium MV durch die Integrationsbeauftragte des Landes ein online-Treffen zur Frage "13 Jahre Krieg in Syrien - wie geht es den Geflüchteten in MV?" initiiert. Wir haben uns mit folgenden Antworten eingebracht.
Am 15. März begehen Syrer:innen auf der ganzen Welt den Jahrestag der Revolution, des arabischen Frühlings in Syrien. An diesem Tag sollte es nicht um den Krieg in Syrien gehen. Es sollte um die Revolution gehen, das Aufbegehren, den Drang zur Freiheit. Der 15. März steht für die Glut der Hoffnung in den Herzen der Menschen aus Syrien, die bis heute glimmt. Er steht für den ungebrochenen Willen in Freiheit, Würde und Demokratie zu leben.
Tausende Menschen aus Syrien haben sich entschieden dieses Leben in Freiheit hier in Mecklenburg-Vorpommern zu führen. Was beschäftigt die Menschen aus Syrien heute, die hier in MV ein neues Zuhause gefunden haben?
0. Niemals ganz hier
Die Menschen, die Syrien als Flüchtlinge verlassen haben, haben das nicht freiwillig getan. Einer von ihnen sagte uns:
"Die Neuigkeiten aus der Revolution [aus Syrien] zu verfolgen, ist uns allen wichtig. Wir alle haben Familie dort. Wenn unseren Angehörigen etwas zustößt, ist es egal, was wir hier haben.
Dann ist das Leben hier die Hölle."
Den Nordenwesten Syriens halten die Türkei und die islamistische Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) besetzt. Dort leben hunderttausende Binnenvertriebene, die Assads Belagerungen und Bombardierungen hinter sich haben. Die Versorgungslage ist desolat.
Der Nordosten steht unter relativer Selbstverwaltung der dort lebenden Menschen, wird aber formell weiter vom Assadregime regiert. Die Menschen kämpfen mit dem Erbe des Islamischen Staates, u.a. mit zehntausenden islamistischen Häftlingen, die kaum zu kontrollieren sind. Die kurdischen Gebieten werden nahezu täglich von der Türkei bombardiert.
Die regime-kontrollierten Gebiete sind der Willkür Assads ausgesetzt. Internationale Sanktionen bedeuten für die einfachen Menschen: Entbehrung und Armut. Das Regime versucht sich auf internationaler Bühne zu rehabilitieren. Russland ist ein langjähriger Verbündeter, die arabischen Staaten werden langsam wieder zu solchen.
Im Südwesten, wo vorrangig Drus:innen leben, gibt es seit einigen Monaten wieder Proteste gegen das Regime.
"Ich wünsche mir, dass die Menschen sich mehr beschäftigen. Es macht uns traurig, dass wir heute nur als Extremisten betrachtet werden. Wenn ich jemanden frage, was er über Syrien weiß, sagen die meisten: Islamischer Staat, Erdogan, Kurden. Aber wo ist die Bevölkerung? Wir sind Millionen Menschen. Wo sind wir in dieser Aufzählung? Das macht mich fassungslos. Es geht Vielen nur darum, Flüchtlinge von Deutschland fernzuhalten."
1. Bedrohung durch das Regime, auch in MV
In den letzten Monaten sind uns einige Fälle berichtet worden, dass in Unterkünften für Asylsuchende in Mecklenburg-Vorpommern regimetreue Syrer:innen als Sozialbetreuer:innen arbeiten oder gearbeitet haben. In diesen Funktionen haben sie Zugang zu persönlichen Daten von Asylsuchenden und können Informationen sammeln, wer sich hier in MV aufhält. Sie haben Zugang zu den privaten Räumen, deren Gestaltung oft Rückschlüsse auf die politische Einstellung zulässt (zB Bilder oder Symbole an der Wand).
In deutsche Verhältnisse übersetzt: Regimetreue in solchen Jobs arbeiten zu lassen, ist als hätte ein Pastor als Informeller Mitarbeiter angeheuert und Zugang zu allen persönlichen Informationen der örtlichen Opposition, die sich in seiner Kirche getroffen hat an staatliche Institutionen weitergeben können, von Punx bis Neues Forum.
Das syrische Regime ist eng verbunden mit dem Putin-Regime. Die Ausweitung seines Einflusses in Deutschland muss verhindert werden. Organisationen, die mit Asylsuchenden arbeiten, müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass ihre Strukturen interessant für Unterwanderung sind und entsprechende Vorkehrungen treffen.
2. Zwang das Regime zu unterstützen - Defund Assad!
Die deutschen Behörden zwingen bis heute Syrer:innen sich alle zwei Jahre syrische Pässe für 400-1000€ beim Regime zu kaufen. Denn die Behörden in MV legen die Pflicht zur Identitätsklärung maximal restriktiv aus. Es reicht nicht, einmal einen gültigen Pass vorzulegen und damit die eigene Identität zu beweisen. Nein, man muss den Pass alle zwei Jahre neu beantragen und jedes Mal bittet das Regime zur Kasse. Seit 2022 sind so über 200 Millionen Euro an das Regime geflossen - und das obwohl es international stark sanktioniert ist.
Für Syrer:innen bedeutet dies Geld zu bezahlen, wissentlich den Phosphor, die Knäste und Repressialien mitzufinanzieren, die ihre Familien und Freund:innen dort täglich verletzen und töten.
Es gab zu diesem Thema Gespräche in Mecklenburg-Vorpommern mit Landespolitiker:innen. Diesen Gesprächen müssen Taten folgen.
Defund Assad! Lest hier mehr zur Kampagne.
3. Fehlende Informationen zu den Asylverfahren
Syrer:innen, die das Land verlassen mussten, weil sie der Opposition angehören, sollte das BAMF den internationalen Flüchtlingsschutz zuerkennen. Doch leider fehlen vielen Syrer:innen Informationen darüber, auf was es in der Anhörung beim BAMF ankommt. Diese Anhörung findet bereits wenige Tage oder Wochen nach der Ankunft in Deutschland statt. Besonders in den Erstaufnahmeeinrichtungen grassieren anhaltend Gerüchte, dass Menschen aus Syrien möglichst kurze Anhörungen geben sollen und wenig über ihre Aktivitäten berichten müssen.
Dies führt dann dazu, dass sie nur Subsidiären Schutz erhalten und vom BAMF als "Bürgerkriegsflüchtlinge" klassifiziert werden. Die syrische Opposition wehrt sich gegen diese Einordnung des Leids in Syrien als "Bürgerkrieg", denn es kämpfen hier nicht verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander, sondern das Regime gegen die Bevölkerung. Wer vor Assads Bomben und Belagerungen flieht, ist politisch verfolgt.
Das BAMF und deutsche Gerichte weigern sich zudem beharrlich die europäische Rechtsprechung hinsichtlich der Verweigerung des Militärdienstes für das Regime als politischen Verfolgungsgrund anzuerkennen. Männern aus Syrien droht laut der Rechtsprechung Verfolgung inklusive Inhaftierung in den berüchtigten Folterknästen des Regimes. Das BAMF - auch in MV - entscheidet weiterhin in diesen Fällen nur mit Subsidiärem Schutz. Es hat darüberhinaus vor zwei Jahren die Folgeanträge von Syrern mit Subsidiärem Schutz nicht angenommen, was ebenfalls mittlerweile als unionsrechtswidrig abgeurteilt wurde.
Den betroffenen Geflüchteten helfen die Gerichtsurteile wenig, wenn die Exekutive diesen nicht folgt. Das Signal an die Betroffenen: Für euch gilt der Rechtsstaat nicht. Besonders zynisch ist die Praxis angesichts der Verschärfungen des sog. "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" (GEAS), die unter anderem damit begründet werden, dass die Asylverfahren in Europa einheitlicher werden sollen. Anscheinend aber nur zu Bedingungen rechter Abschottungspolitiken.
4. Gnadenlos rassistische Debatten
Assad hat es nicht geschafft meine Familie zu töten. Jetzt will die deutsche Regierung sie durch Hunger töten?
Das sagte uns ein syrischer Aktivist, dessen Familie in Idlib lebt und anhaltenden Luftangriffen durch das syrische Regime (unterstützt von Russland) ausgesetzt ist. Die letzten Asylgesetzverschärfungen treffen auch Menschen aus Syrien, zumal die Asylverfahren beim BAMF wieder länger dauern.
Es trifft sie sowohl der rassistische Diskurs, der in der politischen Landschaft vertreten wird und durch zunehmend mehr rassistische Gewalt auf der Straße flankiert wird. Es treffen sie aber auch die Gesetzesverschärfungen, die Ergebnis dieses Diskurses sind, beispielsweise die Leistungskürzungen während dem Asylverfahren für 3 Jahre und in Sammellagern mit fremdbestimmter Kantinen-Versorgung.
Legen wir einen neuen Maßstab für Asylgesetze und den Diskurs darum an: Fordern wir Asylverfahren für zukünftige Freund:innen und zukünftige Kolleg:innen. Das ändert asylpolitisch alles.
5. Und andere
Es gibt viele weitere Anliegen, die Menschen aus Syrien in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen. Die genannten sind die Handlungsfelder, in denen wir als antirassistische Initiative aktiv sind. Weitere Punkte wurden ausführlich dargestellt beim online-Austausch der Integrationsbeauftragten MV.