Am 13. Juni fand in Schwerin eine Gerichtsverhandlung wegen einer Demo mit Women in Exile im vergangenen Jahr statt. Wir hatten ihre Tour gegen Rassismus und Lagersystem durch MV unterstützt und in diesem Rahmen auch vor dem Schweriner Landtag protestiert. Lest hier mehr zum Fall.
Women in Exile protestiert seit 20 Jahren auf verschiedenen Wegen gegen die diskriminierende Asylpolitik, unter anderem den Zwang in Sammellagern zu leben, schlechte medizinische Versorgung und rassistische Verhältnisse. Nach Mecklenburg-Vorpommern waren sie gekommen, weil Frauen aus verschiedenen Lagern in MV ihnen berichtet hatten, wie schlecht die Situation hier ist. Das Motto der Tour: „Frauen* unterwegs gegen Lagersystem und Rassismus“.
Am 26. Juli 2021 gab es die zweite Kundgebung der Tour in MV vor dem Erstaufnahmelager in Sternbuchholz bei Schwerin. Daran anschließend beschlossen die Aktivistinnen und Unterstützer:innen spontan den Protest auch in Schwerin vor den Landtag zu tragen, um damit deutlich die verantwortlichen Entscheidungsträger:innen anzusprechen.
Vor dem Landtag Mecklenburg-Vorpommern #AbolishLagerSystem pic.twitter.com/4G3oTKt3et
— Women in Exile (@women_in_exile) July 26, 2021
Da das Ordnungsamt leider nicht mehr erreichbar war, wurde die Spontanversammlung bei der Polizei angemeldet. Diese lehnte ohne inhaltliche Begründung diese Spontanversammlung ab. Wir waren ungehorsam und haben sie dennoch durchgeführt. Mit Transparenten skandierten etwa 10 Menschen verschiedene Slogans vor dem Landtag, sprachen mit Passant:innen und Landtags-Polizei und machten Fotos. Die Demo war recht kurz und symbolischer Art. Es kam im Anschluss zu einer Personalienfeststellung eines Teilnehmers, der von der Polizei als Versammlungsleiter verstanden wurde. Er steht am 13. Juni vor Gericht, weil er die Strafe in Höhe von 15 Tagessätzen nicht akzeptiert.
Protest gegen Rassismus ist legitim. Rassismus ist tief in unsere Gesellschaft und Gesetzgebung eingeschrieben. Die Lagerpolitiken von Sternbuchholz über Moria bis Dadaab sind Teil rassistischer Ausgrenzungspolitik – lokal und global. Diesen Rassismus gilt es zu überwinden.
Juristisch: Was wird verhandelt?
Am 13. Junii wurde leider nicht verhandelt, ob Lagerpolitik abgeschafft wird. Auch nicht, ob die Zwangsunterbringung in Sammellagern rassistisch ist. Verhandelt wird, ob die Durchführung der Kundgebung strafbar war. Aus unserer Perspektive: Protest gegen Rassismus ist immer legitim und kann deshalb nicht strafbar sein. Da die Frage an 1 Tag nicht endgültig geklärt werden konnte, wird der Prozess fortgeführt.
Formal juristisch geht es um folgende Fragen:
Offen ist zum Einen, ob diese Ablehnung ohne inhaltliche Begründung rechtens war. Im polizeilichen Bericht vom 26. Juli 2021, der die zentrale Grundlage für die Anklage bildet, wurde lediglich formal argumentiert: "Die vermeintliche Spontanversammlung ließ sich unter Würdigung der Gesamtumstände nicht eindeutig von der zuvor abgehaltenen Versammlung differenzieren." (Anmerkung: Hier geht um die Kundgebung in Sternbuchholz am Vormittag).
Der zweite Anknüpfungspunkt ist die Auflösung der Spontanversammlung durch die Polizei. Im Polizei-Protokoll heißt es dazu: "Im Rahmen eines kooperativen Ansatzes zur Wahrnahme ihres Versammlungsrechts wurde ein Zeitfenster von 10 Minuten nach Versammlungsbeginn gewährt, in denen der Aufenthalt am Versammlungsort geduldet wird, wenn die Teilnehmer diesen daraufhin unmittelbar räumen. Mit Ablauf des Zeitfensters wurde den Versammlungsteilnehmern seiterns unterzeichnender Beamten ein Platzverweis für den Bereich des Schweriner Schlosses einschließlich der Schlossbrücke ausgesprochen. Diese verweigerten jegliche Kooperation zu den Polizeikräften, skandierten innerhalb des Zeitfensters wiederholt lautstark >Black Lives Matter< und >We stay<. Keine der teilnehmenden Frauen erschien deutschsprachig. Darüber hinaus waren diese nicht gewillt, die Ausführungen der Poilizeikräfte anzuhören."
Durch die Kundgebung wurde niemand geschädigt und niemand belästigt. Durch die Unterbringung in Sammellagern, schlechte medizinische Versorgung und diskriminierende Gesetze werden dagegen täglich Menschen geschädigt und belästigt. Das unbegründete Verbot der Demo gegen diesen institutionellen Rassismus war eine Provokation gegenüber dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Es blieb kein anderes Mittel, um in diesem Augenblick dieses Grundrecht wahrzunehmen als ein Akt des Zivilen Ungehorsams.
Ziviler Ungehorsam und Laienverteidigung
Ziviler Ungehorsam weist auf ein Unrecht im staatlichen Handeln in zugespitzter Weise hin. Er zeigt, dass man ggf. Konsequenzen für das wichtige Anliegen trägt. Ziviler Ungehorsam ist ein gewaltfreier politischer Akt von Widerstand, den Aktivist:innen ins demokratische Diskursfeld, aber auch in die Justiz und Öffentlichkeit tragen.
Warum wir zivilen Ungehorsam wichtig finden, haben wir schon vor einiger Zeit hier aufgeschrieben.
Der Angeklagte führt den Prozess ohne Anwalt - und zwar aus Überzeugung. Wir glauben daran, dass Recht und Gerichte so funktionieren müssen, dass es jedem Menschen möglich ist für sein/ihr Recht dort zu streiten ohne Unsummen an Geld investieren zu müssen. Das bedeutet, dass wir uns aktiv mit juritischen Fragen, Grund- aber auch Verfahrensrechten auseinandersetzen.
Wir dokumentieren hier die Einlassung des Angeklagten zur Anklage.
Ich werde beschuldigt, eine Versammlung unter freien Himmel ohne Anmeldung und trotz eines Verbotes abgehalten zu haben. Zum Sachverhalt soviel: Am 26.07.2021 wurde im Rahmen der NO Lager Tour von Women in Exile e.V. eine Versammlung am Lager Stern Buchholz durchgeführt. Im Anschluss daran wurde spontan beschlossen, die Ergebnisse zu den Defiziten und Missständen in diesem Flüchtlingslager symbolisch vor den Landtag als verantwortlicher Kontrolleur von Landesregierung und Verwaltung für die Unterbringung von Geflüchteten zu tragen.
Dafür bemühten wir uns um eine Anmeldung einer Spontanversammlung bei der Versammlungsbehörde, da diese um diese Zeit schon geschlossen war, wurden wir an das zuständige Polizeirevier verwiesen. Diese lehnte ohne inhaltlich ausreichende Begründung die Durchführung ab. Von einer fehlenden Bemühung um rechtmäßige Anmeldung kann also keine Rede sein. Sie wurde schlicht verboten, und das ohne inhaltliche Begründung für sachliche Eingriffsvorrausetzungen, die dieses Verbot auf freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum begründen würde. (Gefährdung, Behinderung etc). Dabei wollten wir nur friedlich und ohne jegliche Behinderung unserer Pflicht nach Aufklärung eines gerade erfahrenen großen Unrechts nachkommen.
Das erteilte Verbot war aus unserer Sicht völlig willkürlich und verstieß gegen die Verhältnismäßigkeit. Um unser Recht nach Artikel 8 des Grundgesetzes in diesem Fall aktuell nicht einschränken zu lassen, ja verteidigen zu müssen, blieb uns nichts anderes übrig, als uns mit unseren Transparenten friedlich vor dem Landtag aufzustellen. Dabei wurde niemand gefährdet, niemand behindert, niemand hat Schaden genommen. Das war ja auch nicht unsere Absicht. Es sollte auch nicht über längere Zeit erfolgen, sondern eine kleine abgegrenzte Aktion sein, die das Unrecht, was in den Lagern wie Stern Buchholz geschieht, öffentlich zur Sprache zu bringen. Dazu hätte es durchaus Raum für Absprachen mit der Polizei geben können.
Von daher ist die erste Frage, die hier geklärt werden muss, ob dieses Verbot verhältnismäßig und damit rechtens gewesen ist. Gerade in der jüngsten Vergangenheit musste ja häufig ein solches Verbot der freien Meinungsäußerung von Gerichten korrigiert werden. Dabei spielen ja nicht nur ganz formale Gesichtspunkte eine Rolle, sondern das Recht auf freie Meinungsäußerung, die niemand schadet, aber auf ein Missstand oder Unrecht hinweist, ist ja Kennzeichen einer demokratisch verfassten Gesellschaft und seiner Rechtsordnung. Ich hoffe, dass zu dieser prinzipiellen Frage das Gericht eine differenzierte Entscheidung fällt. Dann wäre dieser kleine Akt des Zivilen Ungehorsams die Wiederherstellung eines Rechtszustandes.
In dem von der Polizei verfassten Bericht heißt es: Vom Versammlungsthema "Solidarität gegen Rassismus" war hierbei zu keiner Zeit die Rede. Das kann so nicht stimmen. Denn die gezeigten Transparente und die "skandierten Aussagen", die in dem Polizeibericht zitiert werden, sprechen genau dieses Thema einer rassistischen Flüchtlingspolitik an, wie wir es gerade vorher vor dem Lager von Stern Buchholz hautnah und für uns schockierend durch Berichte von Bewohner*innen erfahren hatten.
Dann sollte in der Zeugenbefragung geklärt werden, was der Verfasser dieses Berichtes, auf dem die Anklage ja wesentlich beruht, unter "unkooperatives Verhalten" im Konkreten versteht. Aus meiner Sicht waren wir zu allen Beamten sehr höflich, freundlich und zuvorkommend, haben niemanden beleidigt, haben nur bestimmt auf unser Grundrecht auf Meinungsäußerung bestanden, das uns nach Artikel 8 des GG zuerkannt ist. Das ist demokratische Praxis. Sich nicht jeder obrigkeitsstaatlichen Aufforderung kritiklos zu beugen, sondern mit seiner Haltung diese auch zu hinterfragen, muss nach meinem Verständnis ein demokratisches Gemeinwesen aushalten, wenn die Handlung gewaltfrei bleibt, niemanden beleidigt oder herabsetzt und gar jemanden schädigt.
Von daher hatten wir auch die uns an das zehnminütige Zeitfenster, das uns zugestanden wurde, gehalten und haben dann friedlich diese kleine Versammlung beendet. In diesem Sinne waren wir auch sehr kooperativ. Im Bericht der Polizei wird behauptet, dass es um 17.45 Uhr eine mündliche Auflösungsverfügung erging. Darüber gibt es offensichtlich unterschiedliche Wahrnehmungen. Ich hatte in jeden Fall verstanden, dass wir noch 10 Minuten dort mit unseren Transparenten stehen könnten, erst danach polizeiliche Zwangsmassnahmen zu erwarten seien z.B. Platzverbot. Bei mir und den Teilnehmer*innen ist zumindest der Eindruck entstanden, dass unsere kleine friedliche Aktion zumindest für 10 Minuten toleriert werde. Innerhalb dieses Zeitraumes haben wir von uns aus und ohne äußeren Zwang unsere Versammlung beendet und sind friedlich davon gegangen. Aus unserer Sicht ist unsere spontane Aktion und versammlungsmäßige Meinungsäußerung zwar nicht gerne gesehen, aber letztlich toleriert worden. Dieses Zeitfenster ist ja laut im Polizeibericht eingeräumt worden.
Ich erhoffe von diesem Prozess einen Freispruch, denn ich kann mit dem besten Willen nicht erkennen, worin unsere kriminelle Straftat besteht. Allenfalls gibt ja das Gesetz vor, bei einer Regelübertretung ein Bußgeld zu verhängen. In diesem Fall ist die Erhaltung unseres Grundrechtes auf freie unzensierte Meinungsäußerung zu einem gravierenden Unrecht, das in den Verhältnissen des Lagersystems, wie z. B. unzureichende medizinische Versorgung, Nicht-Wahrnehmen von traumatisierten Menschen, wie es die EU Aufnahmerichtlinie eigentlich vorschreibt, der Zwang, sich in diesen Lagern aufhalten zu müssen, auch wenn man stark belastet ist, die Würdelosigkeit, nicht einmal sein eigenes Essen zubereiten zu dürfen, sondern nur vorgesetzte meist unbekannte Nahrungmittel einnehmen zu dürfen, das Wegsperren von der Aufnahmegesellschaft, was zum einen den latenten Rassismus in unserer Gesellschaft nur fördert, und einzig und allein bestimmt ist, gewaltsames staatliches Handeln durch Abschiebungen zu erleichtern.
Dieses Lagersystem macht krank. Seit über 30 Jahren bin ich in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit tätig, beruflich als Arzt habe ich in vielen Fällen erfahren müssen, dass erst durch die Lebensbedingungen in den Lagern hier Menschen psychisch zermürben und krank werden. Unsere kleine Aktion sollte auch eine kleine Ermutigung sein, öffentlich gegen diese Unrechtssituation aufzustehen und diese Unrechtssituation zuzuspitzen, selbst wenn sie Konsequenzen hätte.
Ich frage Sie als Richterin, ist unsere vielleicht kleine Regelübertretung, wofür der Zivile Ungehorsam steht, nicht verhältnismäßig gegenüber dem immensen Leid und dem Unrecht, das den Geflüchteten angetan wird?
Oder anders herum gefragt: Ist nicht gerade Ziviler Ungehorsam notwendig in einer Zeit, wo dieses Unrecht medial sonst verschwiegen wird?
Ich zumindest bin überzeugt, dass wir dadurch mehr zu Korrekturen von praktizierten Unrecht beitragen als Briefe, Eingaben oder Appelle an die Entscheidungsträger, die seit vielen Jahren einfach unbeachtet bleiben und die Verhältnisse sich nicht ändern.
Eine auch demokratisch beschlossene Ungerechtigkeit bleibt eine Ungerechtigkeit, auch wenn sie formaljuristisch kein Unrecht darstellt. Zu einer lebendigen Demokratie gehört dieser Ziviler Ungehorsam dazu.
Ich danke für das geduldige Zuhören.
Aktuell: Lichtenhagen und institutioneller Rassismus
In diesem Jahr gedenken wir das 30. Mal dem rassistischen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Ein gewichtiger Teil der diskriminierenden Gesetze, denen noch heute Asylsuchende unterworfen werden, geht auf den sog. „Asylkompromiss“ zurück. Diesen verabschiedeten CDU/CSU, FDP und SPD kurz nach der Welle der rassistischen Gewalt Anfang der 1990er Jahre. Rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen Hand in Hand.
Zum 30. Gedenken an das Pogrom im August tauchen vermutlich Bundes- und Landespolitiker:innen in Rostock auf, um zu beteuern wie viel weniger Rassismus es heute im Vergleich zu damals in Deutschland gibt. Man tut sich leicht damit, auf den rechten Rand zu verweisen, während man den institutionellen Rassismus, den „die Mitte“ der Gesellschaft trägt, nicht angreift. Als antirassistische Initiative ist uns wichtig: Wir müssen die rassistische Grundstruktur unserer Gesellschaft jeden Tag angreifen. Demos und Aufklärung gegen den Rassismus im Asylsystem ist Teil dieses Kampfes.