Seit mittlerweile drei Jahren machen wir die Mahnwachen vor Horst. Immer wieder schließen sich neue Leute dem Protest an. Zwei von ihnen haben ihre Eindrücke von ihrem "ersten Mal" im März hier niedergeschrieben. Tut es ihnen nach und kommt im April zur Mahnwache.
Der Bericht
Es ist eine weite Fahrt von Rostock bis nach Horst. 2 Stunden hin und 2 Stunden zurück. Auf der Hinfahrt schallt Musik durch das Auto. Wir singen laut mit und schaukeln auf den Sitzen hin und her gegen die Kälte.
Die Rückfahrt ist anders. Es gibt viel zu erzählen. Wir tauschen uns aus über das Erlebte, die Gespräche, die Zeugnisse von dem schmerzlichen Alltag im Camp, den immer gleichen Missständen in einem zutiefst rassistischen System. Empörung, Betroffenheit, Verzweiflung, Wut. Es gibt viel zu berichten, viel zu „verdauen“ nach diesen wenigen Stunden auf dem Parkplatz vor dem Camp Nostorf-Horst.
Mein Mitbewohner und ich sind zum ersten Mal mit dabei gewesen. Er kennt solche Lager als aufgezwungenen Lebensraum, ich nur als Besucherin. Später, zurück in der WG-Küche sprechen wir über das, was uns bewegt hat, unsere Erwartungen und Erfahrungen an diesem Sonntag.
Warst Du nervös?
Ja, ein bisschen. Ich wusste nicht wie es werden würde, ob ich mich einbringen kann und ob ich hilfreich sein würde. Ich dachte „vielleicht stehe ich nur rum und weiß nicht was zu tun ist. Vielleicht will niemand mit mir sprechen und vielleicht ich traue mich nicht auf die Menschen zuzugehen“.
Und wie war es dann?
Ziemlich anders, zum Glück. Schon beim Aufbau wurde ich ganz selbstverständlich mit einbezogen. Ich habe Bänke und Bücherkisten getragen und Pavillons mit aufgebaut. Da kamen dann auch schon gleich die ersten Bewohner*innen zum Parkplatz.
Wie liefen die Gespräche mit den Bewohner*innen?
Irgendwie ging immer ein Gespräch in das nächste über. Wenn die Menschen von ihren Schwierigkeiten erzählt haben, konnte ich sie in die Beratungs-Pavillons begleiten und dann auch gleich beim Übersetzen helfen. Ich habe auch aus meiner Erfahrung erzählt, was wichtig ist in den ersten Monaten in Deutschland: Vor allem die Sprache lernen und sich informieren. Wir haben über den Asylprozess gesprochen, was die ersten Schritte sind und worauf man achten muss. Außerdem habe ich auch versucht den Menschen Mut zu machen, dass sie es schaffen werden sich hier eine Zukunft aufzubauen, auch wenn es sich am Anfang unendlich schwierig anfühlt.
Und wie ging es dir?
Ganz ähnlich. Ich hatte vorher genau die gleichen Gedanken wie du. Aber dann haben sich meine Bedenken auch gleich in den ersten Minuten im Geschehen aufgelöst. Es war schön zu sehen, dass einige Menschen in Horst die Mahnwache offenbar erwartet haben und direkt zum Parkplatz kamen. Ich habe dann vor allem ein sehr intensives und langes Gespräch mit zwei Männern geführt. Was sie berichtet haben vom Alltag in Horst war erschütternd. Wirklich überraschend sind diese Schilderungen von Rassismus in den Unterkünften natürlich nicht, aber so im direkten Gespräch zu erleben wie Menschen in diesem zermürbenden System die Hoffnung verlieren und kaputt gehen ... das war schon sehr bedrückend.
Und konntest du ihnen helfen?
Naja, ich konnte nicht wirklich etwas an ihrer Situation verändern. Vieles von dem, was mit ihnen passiert, passiert schlimmerweise ja „im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen“. Die Monotonie, das Warten, die Restriktionen. Aber es gab auch Dinge, wo ihnen ganz klar Unrecht vonseiten der Mitarbeitenden des BAMF und der Mitarbeitenden in Horst widerfahren ist. Da habe ich versucht Mut zu machen diese Dinge öffentlich zu machen und Unterstützung angeboten. Vor allem aber haben die beiden nach dem Gespräch gesagt, dass es gut tat mal frei über ihre Situation erzählen zu können und jemanden zu haben, der zuhört. Auch wenn wir teilweise einfach nur zusammen frustriert und wütend dastanden und alle keinen Ausweg wussten.
Und wirst du wieder mitkommen nach dieser Erfahrung?
Ja auf jeden Fall. Es hat mir gefallen. Ich kenne das Gefühl, das man an solch einem Ort wie Horst hat, weil ich selbst mal an diesem Punkt stand. Es tut gut, wenn jemand kommt und Hilfe anbietet. Ich finde es toll, dass das hier so regelmäßig Menschen machen, die nichts dafür als Gegenleistung erwarten.
Und du?
Ja, ich bin schon gespannt auf das nächste Mal. Mit einem der Männer, mit dem ich gesprochen habe, bin ich noch in Kontakt und wir haben uns schon verabredet für die nächste Mahnwache Ende April.
Die Mahnwachen
Die nächste Mahnwache ist am 25. April. Alle Termine für 2021 findet ihr hier. Schließt euch uns an! Derzeit suchen wir insbesondere Leute, die kurmanci, russisch und französisch sprechen.