Probleme in der kommunalen Unterbringung in MV

Die folgenden Beiträge hat Pro Bleiberecht bei der No Lager Tour durch Güstrow, Jürgenstorf, Horst und Langenort, bei der letzten Mahnwache in Nostorf- Horst und einer Videokonferenz mit Geflüchteten aus Greifswald, Horst, Ludwigslust und Güstrow gesammelt. Wir wollen einen Beitrag leisten zur kritischen Betrachtung der Unterbringungssituation von Asylsuchenden in MV einzubringen.

Die Kritikpunkte sind Einblicke und keineswegs vollständig. Die genannten Forderungen sind realpolitisch. Sie können einfach umgesetzt werden und den Druck auf Asylsuchende, der durch die Sammelunterbringung entsteht, lindern. Grundsätzlich möchten wir betonen: Das Problem heißt Rassismus. Eine seiner insitutionellen Ausformungen ist die Sammelunterbringung, die generell abgeschafft werden muss.

Wir halten es grundsätzlich für wichtig, den Diskurs darüber, was in den Unterkünften falsch läuft mit Bewohner*innen der Einrichtungen zu führen, nicht nur mit Mitarbeitenden und Unterstützenden.

Die Sammlung von Problemen ist vielfältig. Die meisten Probleme bestehen seit Jahren und sind den Verantwortlichen allzu bekannt. Prägant formulierte einer unserer Gesprächspartner*innen:

„The German government knows all the problems. We tell them. We send them letters. They just have to start to care for this and take us serious.“*

1. Probleme in der kommunalen Unterbringung
2. An die kommunale Unterbringung angrenzende Probleme
3. Situation im Aufnahmelager Nostorf-Horst

1. Probleme in der kommunalen Unterbringung

Die hier genannten Kritikpunkte richten sich an Akteur*innen auf kommunaler Ebene und können dort gelöst werden.

Alleinerziehende Eltern

  • Die Gruppe gehört lauf EU-Aufnahmerichtlinie zu den besonders Schutzbedürftigen. In der Praxis wird zu wenig auf ihre besonderen Bedarfe eingegangen.
  • fehlende Rückzugsmöglichkeit wegen der Ein-Zimmer-Unterbringung (Eltern und Kind(er) bekommen jew. Nur 1 gemeinsames Zimmer zugewiesen, das ist problematisch z.B. wenn Mutter/Vater für die Ausbildung lernen will, wenn die Kinder schlafen).
  • es fehlen eigene Toiletten und Duschräume, die vorhandenen sind getrennt nach Geschlechtern: Tochter muss mit alleinstehenden Vater in Männertoilette und Duschraum, Söhne müssen mit alleinstehender Mutter in Räume für Frauen; müssen sich mit Eimern und Töpfen im Zimmer sich behelfen; Problematik wird durch konservative Mitbewohner*innen verschäft, die sich über die Eltern beschweren; genannt in Greifswald und Nostorf-Horst
  • Kinder müssen bei Ausbildung und Arbeit des Elternteils zu früh aus dem Haus, stehen vor verschlossener Tür der Schule bzw. Hortes, übermüdet. Ursache: Unterkunft zu weit entfernt und nicht gut angebunden an ÖPNV; alleinerziehende Elternteile haben es besonders schwer in Ausbildung oder Lohnarbeit, kein Konzept, wie man da die Kinder auffangen kann; genannt in Greifswald.

Forderung: Eigene familienfreundliche, an den besonderen Bedürfnissen angepasste Unterbringung mit abgeschlossenenm Wohneinheiten

Kindeswohlgefährdung

  • In Gemeinschaftsunterkünften gibt es häufige Gewalt (physische, gegen Sachen und verbale Gewalt). Kinder sind zu häufig Zeug*innen solcher Gewalt und werden dadurch traumatisiert. Frühere Traumata werden reaktualisiert. Es gibt so gut wie keine Behandlung und Gegenstrategien bei Betroffenheit.
  • Behandlungsplätze sind rar. Corona-Zeiten verschärfen das Problem, durch zunehmende Spannungen in den GUs und erschwerten Zugang zu Behandlung.
  • Familien fühlen sich mit ihren Kindern alleingelassen, in Coronazeiten sogar verschärft.
  • Lage einzelner Unterkünfte ist nicht kindgerecht, weil zu dicht an viel befahrenen Straßen; Zugang zu Kinderspielzimmern in den GUs ist zeitlich limitiert und dadurch selten eine Entlastung für die Eltern; genannt in Güstrow.

Forderung: Getrennte Unterbringung von Familien und Einzelpersonen; mehr Rehabilitationsmöglichkeiten für Kinder; öffentlich zugängliche Spielplätze auf dem Gelände der Einrichtung

Fehlender Zugang zu Ämtern

  • zuständigen Ämtern gegenüber Anträge einzubringen ist generell schwierig: Wer nicht deutsch spricht oder keine*n Übersetzer*in kennt, kann sein*ihr Anliegen nur schwer vorbringen; die schriftliche Form ist zB aufgrund fehlender Computer und Drucker für viele nicht möglich.
  • Corona verschärft die Situation insbesondere für diejenigen, die incht lesen/schreiben und schlecht deutsch sprechen können; Terminvergabe online ist nicht für jeden Menschen zugänglich.
  • Anträge werden nicht oder nur sehr langsam bearbeitet; Bsp: Alleinerziehende Mutter in Ausbildung wartet seit 6 Monaten auf Antwort auf einen Verteilungsantrag, um nicht mit ihren zwei Kindern in einem Zimmer wohnen zu müssen und in die Nähe der Schule ziehen zu können.

Forderung: Anträge müssen zeitnah bearbeitet werden; Bereitschaft Anträge mündlich und in einer der*dem Sachbearbeiter*in verständlichen Sprache außer deutsch entgegenzunehmen; Mehrsprachigkeit von Mitarbeitenden in Behörden und Ämtern, die mit Asylsuchenden arbeiten; Ermessensspielraum, insbesondere hinsichtlich Verteilung und der Situation von vulnerablen Gruppen muss ausgewweitet werden.

Personal in den Einrichtungen

  • stellenweise unterqualifiziert; Bsp: Auf die Frage wie ein Kind in der Schule anmeldet werden könne, antworteten die gefragten Mitarbeitenden, dass sie das nicht wüssten.
  • fehlende Beratung hinsichtlich bürokratischer Abläufe; Bsp: Kind wurde zu spät eingeschult, weil im Vorfeld nicht klar war, dass eine Sorgerechtsbescheinigung durch die alleinerziehende Mutter beigebracht werden müsste.

Forderungen: Personal muss geschult sein; Mehrsprachigkeit; Aktives Zugehen auf Bewohner*innen.

Kontrolle und Einschränkungen

  • Möglichkeiten, von außen Besuch zu bekommen, sind sehr beschränkt. Die Regelungen werden offensichtlich in den Unterkünften unterschiedlich. gehandhabt. Bei manchen gibt es Möglichkeiten, dass Besuch über Nacht bleiben kann, in manchen muss er rigoros nach 22.00 Uhr die Unterkunft verlassen. Soziale Bedürfnisse dadurch deutlich eingeschränkt; genannt in Greifswald.
  • Besucher*innen in den GUs müssen Personalien abgeben, dies ist diskriminierend
  • Zimmerkontrollen durch Mitarbeitende verletzen die Privatsphäre.

Forderungen: Wer gezwungen wird, in GUs zu leben, muss dort soviel Privatspähre wie möglich haben und das Leben entsprechend seiner*ihrer Vorstellungen gestalten können.

Räumliche Enge

  • Die Unterbringung in Mehrbettzimmern ist willkürlich; Zuteilung nach Nationalität oder Religion ist kein ausreichendes Raster; den unterschiedlichen Bedürfnissen wird diese Art der Massenunterbringung nicht gerecht.
  • besonders konflikthaft, wenn es unterschiedliche Tagesrhythmen gibt, dadurch Schlafdefizite, besonders bei Leuten, die arbeiten gehen.

Forderung: Zimmer einzeln belegen, insbesondere so lange Platz ist; dezentrale Unterbringung muss wieder bevorzugt werden.

2. An die kommunale Unterbringung angrenzende Probleme

Die hier genannten Kritipunkte richten sich an Akteur*innen auf Landeseben und können dort gelöst werden.

Verteilung erfolgt unsystematisch zum Nachteil der Betroffenen

  • schlechte Anbindung an städtische Infrastruktur trifft vulnerable Gruppen härter, beispielsweise Kranke und alte Menschen; eine Frau über 60 muss per Bus und zu Fuß mit einem Weg von 30 Minuten ihre Einkäufe erledigen; Genannt in Jürgenstorf.
  • sprachliche Isolation innerhalb der Unterkünfte, wenn niemand sonst in der Einrichtung eine Sprache spricht; dies trifft besonders ältere Menschen und Menschen, denen der Spracherwerb nicht leicht fällt; genannt in Jürgenstorf und Güstrow.
  • Familiäre Bindungen abseits der Kernfamilie werden nicht berücksichtigt, könnten aber Menschen in ihrem Alltag unterstützen; Bsp: Alleinerziehender Vater, dessen volljähriger Neffe in einer anderen Stadt in MV untergebracht ist; Bsp: Ehepaar über 60, deren erwachsener Sohn in einer anderen Stadt in MV untergebrahct ist; genannt in Jürgenstorf und Greifswald.
  • bei der Verteilung sollte die Qualifikation als Anknüpfungspunkt herangezogen werden; Bsp: Studierende sollten in Universitätsstädte verteilt werden, um dort ihr Studium fortsetzen zu können; genannt in Güstrow und Jürgenstorf.
  • Rassismus: In kleineren Städten und Vorpommern ist es für Menschen umso schwieriger Kontakte zu knüpfen, je mehr ihnen gegenüber bestehen.

Forderungen: Umverteilungsanträge müssen bearbeitet und die darin geschilderten Bedarfe ernst genommen werden; versträkt Rücksprache zwischen Landesamt und kommunalen Betreiber*innen zu Bedarfen und deren Deckung; Vulnerable Gruppen müssen in Orte verteilt werden, wo die Infrastruktur ihren Bedarfen entspricht; familiäre Bindungen abseits der Kernfamilie müssen berücksichtigt werden; Unterkünfte mit generell schlechter Anbindung an ÖPNV müssen geschlossen werden; Verteilung sollte gemäß beruflicher Qulifikation und anderer integrationsfördernder Kriterien erfolgen.

Gesundheitsversorgung

  • zu umständlicher Zugang zum Gesundheitsversorgungssystem, vor allem, auf dem Land. Menschen mit Einschränkungen können ggf. nicht einfach den Bus nehmen; teure Tickets belasten Menschen, die ohnehin durch medizinische Bedarfe finanziell mehrbelastet sind, mehr; die Schlaufe über den Gesundheitsschein beim Sozialamt verschärft die Probleme.
  • Häufig zu lange Wartezeiten auf Arzttermine und fehlende Unterstützung Arzttermine zu bekommen (wenn bspw. Sprachliche Kompetenzen nicht da sind sich selbst einen Termin zu vereinbaren).
  • Bürokratiefehler, die weitere Verzögerungen nach sich ziehen; Bsp: Abgelaufener Krankenschein vom Sozialamt.
  • Informationsfluss zwischen Erstaufnahmeeinrichtung und kommunlane Betreibern ist schlecht; medizinische Bedarfe und entsprechende Anforderungen an die Unterbringung werden nicht kommuniziert; Bsp: Frau mit Geheinschränkung wird in eine GU zugewiesen, in der nur ein Zimmer im 4. Stock frei ist.

Forderung: Krankenkassenkarte für alle; Unterstützung durch Mitarbeitende der Unterkünfte; Flexibilität und Möglichkeit zur Verteilung in eine andere Stadt, wenn Bedarfe erst in den Kommunen festgestellt werden.

Zu lange Zeit in der Unterkunft

  • Bsp: Eine alleinerziehende Mutter aus Eritrea lebt bereits über vier Jahre ohne Asylentscheidung; fehlende Unterstützung in der Beschleunigung des Verfahrens; ihr vierjährigerr ist dort geboren und hat noch nie eine andere Umgebung kennengelernt.
  • Lange Vorunterbringungszeiten in den Aufnahmelagern wirken sich als starke psychische Belastungen aus.

Bauliche Mängel

  • Bauliche Mängel, beispielsweise undichtes Fenster; auf Beschwerde und Bitte dies zu repareiren wird nicht reagiert.
  • Leichtbauweise und hellhörige Wände führen regelmäßig zu einem höheren Lärmpegel. "Man bekommt alles mit, was der andere im Nebenzimmer telefoniert"; dadurch eingeschränkte Privatheit, selbst wenn man ein Einzelzimmer hat. Schlafprobleme und Schlafdefizite.

Forderung: Unterbringung in festen lärmgeschützten Einheiten; Schließung von Unterkünften mit baulichen Mängeln oder entsprechende Renovierung der bestehenden Unterkünfte.

Integrationshemmnise

  • Sprachkurse unzureichend und meist erst sehr spät möglich (zulange ohne Spracherwerb).
  • kein erkennbares Angebot für Integration in den Unterkünften
  • zuwenig Begegnungsmöglichkeiten mit Deutschen. Dadurch keine Möglichkeit, deutsche Sprache anzuwenden.
  • Unterkünfte erweisen sich als Ausgrenzungsinstrumente. Durch Corona verschärft sich diese Situation noch.

Forderung: Zugang für Ehrenamtliche uneingeschränkt ermöglichen; sozialräumliche Integration als festen Bestandteil des Aufgabenportfolios von Betreibenden.

3. Situation im Aufnahmelager Nostorf-Horst

Wir stellen diesen Punkt extra, da das Land selbst hier eine Unterkunft betreibt. Lösungen hier sollten am schnellsten möglich sein, da nur die oberste Behörde selbst involviert ist.

Wir nennen im Folgenden nur die Themen, die bei der Mahnwache am 31. Januar 2021 an uns herangetragen wurden. Die darüber hinausreichenden Probleme sind bekannt und können nur durch die Schließung dieser unzumutbaren Einrichtung gelöst werden.

  • wiederholte Beschwerden über das Essen, nicht sättigend, nicht gesund, nicht lecker.
  • Internet funktiioniert nicht zuverlässig; das ist belastend, weil es einerseits die einzige Beschäftigungsmöglichkeit ist und andererseits der einzige Kontakt zu Freund*innen und Familie im Ausland.
  • Weigerung einer Mitarbeiterin des medizinischen Dienstes Englisch mit Menchen in der Sprechstunde zu sprechen; Weigerung Freund*innen als hinzugezogene Dolmetscher*innen zu akzeptieren.
  • Systamtische Langeweile: Deutschkurse im Lager ermöglichen aufgrund der hohen Fluktuation der Teilnehmenden kein Vorankommen für diejenigen, die länger dabei sind.
  • unfreundliches Personal: Wiederholte Beschwerde von Bewohner*innen von Nostorf-Horst; insbesondere wird hier die Unbereitschaft einiger Mitarbeitenden genannt sich auf englisch zu verständigen (sie verstehen zwar englisch, antworten aber nur auf Deutsch, was die Klient*innen nach wenigen Wochen in Deutschland nicht verstehen).

Forderung: Essensanbieter in Nostorf-Horst muss gewechselt werden; vernünftige Technik für Internet bereitstellen; Dienstanweisung zu Patient*innengesprächen an medizinischen Dienst; schnellstmögliche Verteilung aus den Aufnahmelagern.

*„Die deutsche Regieurng kennt alle Probleme. Wir sagen sie ihnen. Wir schreiben ihnen Briefe. Sie müssen nur anfangen sich damit zu beschäftigen und uns ernst zu nehmen.“