Im August berichteten wir über die Situation Schwangerer Frauen in Nostorf-Horst, die für viele der dort lebenden Frauen nicht einfach ist. Die Linksfraktion machte zu dem Thema eine kleine Anfrage im Landtag, die die Landesregierung im September beantwortete.
In der Antwort der Landesregierung liest es sich mal wieder so als sei alles tutti frutti und es gäbe keine Probleme. Auch wird größtenteils nicht explizit zwischen der Versorgungsstruktur in den beiden Einrichtungen Schwerin-Sternbuchholz und Nostorf-Horst unterschieden, obwohl die Situation in den Einrichtungen sehr verschieden ist. Wir haben uns mit Frauen unterhalten, die zumindest einen Teil ihrer Schwangerschaft in den Erstaufnahmelagern waren oder Freundinnen haben, denen es so ging. Aus den Gesprächen haben wir eine Einschätzung der Antwort der Landesregierung erstellt, die wir im Dezember an die Linksfraktion geschickt haben. Wir möchten sie hier dokumentieren.
Guten Tag Herr Koplin,
wir nehmen mit diesem Schreiben Bezug auf die Rückmeldung der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE bzgl. der Situation schwangerer Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen (7/4045). Wir begrüßen es sehr, dass dieses wichtige Thema von Ihnen aufgegriffen wurde.
PRO BLEIBERECHT in MV veranstaltet mit weiteren Initiativen monatliche Mahnwachen vor der Erstaufnahmeeinrichtung bei Nostorf/Horst. In diesem Rahmen tauschen wir uns regelmäßig mit Bewohner*innen über die Lebensbedingungen innerhalb der EAE aus. Grundsätzlich fällt uns bei Stellungnahmen des Innenministeriums auf, dass Verordnungen, Vertragsbestandteile und Konzeptionen zwar immer wieder korrekt rezitiert werden, sich die daraus entstehenden Aussagen aber in den seltensten Fällen mit den Lebensrealitäten der Bewohner*innen decken.
Da dies auch hier der Fall ist, möchten wir auf einige ausgewählte Aussagen eingehen.
1) „Wenn eine Frau eine Schwangerschaft vermutet, sucht diese den medizinischen Dienst am jeweiligen Erstaufnahmestandort auf und erhält dort eine Überweisung zu einem Gynäkologen. Dieser kann eine Schwangerschaft feststellen und für die Frau werden gleichzeitig die Vor-sorgetermine vereinbart. Die Kosten werden vom Land übernommen.“ (Seite 2)
Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen sich bei einer vermuteten Schwangerschaft zunächst auf eigene Kosten einen Schwangerschaftstest besorgen, um die Vermutung zu bestätigen. Da starke Leistungskürzungen als Sanktionierungsmaßnahmen im Asylverfahren genutzt werden (Ausweitung der Leistungskürzungen im sogenannten „Migrationspaket“), stellt die Beschaffung eines solchen Tests (8-10 Euro) bereits eine erhebliche finanzielle Belastung für einige dieser Frauen dar.
Bestätigt sich die Schwangerschaft, wird eine Überweisung zum/zur Gynäkolog*in ausgestellt. In manchen Fällen übernimmt der medizinische Dienst am Standort die Terminvereinbarung, in manchen nicht. Hier von einer einheitlichen Regelung zu sprechen wäre verfehlt. In vielen Fällen müssen sich die Frauen selbst oder ihre Unterstützer*innen um Termine kümmern. Insbesondere am Standort Stern Buchholz ist es kaum möglich Termine bei Frauenärzt*innen zu erhalten, da in und um Schwerin das medizinische Versorgungssystem für Schwangere sehr schlecht ist. Es sind zu wenig Fachärzt*innen angesiedelt, Praxen sind bereits voll und/oder weigern sich explizit Frauen aus der EAE zu behandeln.
2) „Im Übrigen werden die Kosten für notwendige Dolmetscherleistungen im Rahmen von medizinischen Untersuchungen oder Behandlungen durch das Land übernommen.“ (Seite 2)
Einige Frauen und Unterstützer*innen berichteten uns, dass Dolmetscher*innen lediglich zum Ersttermin gestellt werden.
3) „Die Betreuung der Schwangerschaft oder der stillen Geburt und des Wochenbetts erfolgt durch eine aufsuchende Hebammenhilfe, den medizinischen Dienst oder möglicherweise auch den Betreiber (Malteser). Dies ist abhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Schwangeren.“ (Seite 3)
Theoretisch wird der Zugang zur aufsuchenden Hebammenhilfe gewährleistet, praktisch treten auch hier ähnliche Hindernisse auf, wie unter Punkt 1) bereits erwähnt. Die Frauen in der EAE müssen sich grundsätzlich selbst um Hebammen bemühen, von denen insbesondere in und um Schwerin besorgniserregend wenige zur Verfügung stehen. De facto kommt diese Hebammenhilfe daher nicht zustande.
4) „Es existieren keine Verträge, die explizit die Versorgung der Schwangeren in der Erstaufnahmeeinrichtung zum Inhalt haben. […] Sie partizipieren […] am medizinischen Versorgungssystem wie alle Schwangeren. (Seite 3)
Vor Ort hören Frauen und ihre Unterstützer*innen häufig das „Argument“, dass „deutsche Frauen“ sich schließlich auch selbst um Arzttermine und Hebammen kümmern müssten. Schwangere Frauen in der EAE sind jedoch strukturellen Benachteiligungen ausgesetzt: Fremdheit des hiesigen Versorgungssystems, hohe Barrieren in der Kontaktaufnahme und Kommunikation, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Kliniken und Praxen, soziale Isolation durch die Ortsgebundenheit an die Einrichtungen.
Eine Gleichsetzung mit der Situation „aller Schwangeren“ ignoriert all diese Faktoren und ist demnach nicht nur hinfällig, sondern auch erschreckend zynisch: Gerade die Verpflichtung in der Erstaufnahmeeinrichtung zu leben – von Leistungen, die unter denen des Existenzminimums liegen – verweigert den Frauen per se die Handlungsmöglichkeiten, die „allen Schwangeren“ außerhalb der EAE tagtäglich zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus ignoriert die Darstellung die grundsätzlich bestehende Diskriminierung von Asylsuchenden durch das Asylbewerberleistungsgesetz. Bestimmte Leistungem sind in diesem Rahmen zwar grundsätzlich erhältlich, oft aber nur mit einem gesonderten Antrag, über den die Betroffenen informiert sein müssten.
5) „Es gehört zum Leistungsportfolio des Versorgungsdienstleisters, im Bedarfsfall die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung mit diätischer oder Sonderkost zu versorgen. Vorab wird im Einzelfall mit der Kantine geklärt, welche Spezialessen angeboten werden können (z. B. Diätessen, püriertes Essen, Suppen).“ (Seite 4)
Die Essensversorgung ist seit Jahren ein schwerwiegender Punkt für Frustration bei allen Bewohner*innen – insbesondere in Nostorf/Horst. Es klingt sinnig, dass der Versorgungsdienstleister auf die besonderen Bedürfnisse Schwangerer eingeht; in der Realität ist uns jedoch kein solcher Fall bekannt.
Vereinzelt wird uns vielmehr davon berichtet, dass Frauen seit Monaten unter Schwangerschaftsdiabetis leiden und ihnen geraten wurde, die „schlechten Lebensmittel“ (Brot, Kartoffeln, Nudeln, in schweren Fällen auch Obst) einfach „in Maßen“ zu essen. Kritisch anzumerken bleibt auch, dass sich der Speiseplan in Nostorf/Horst Berichten zufolge wöchentlich wiederholt.
6) „Des Weiteren können, laut Vertrag des Landes, Bewohnerinnen und Bewohner in der Einrichtung kochen, wenn sie eine Bescheinigung vom Arzt erhalten haben, dass dies notwendig ist. In den Betreuungspunkten der Häuser wird ebenfalls regelmäßig mit Erwachsenen und Kindern gekocht und gebacken.“ (Seite 4)
Das Recht insbesondere während der Schwangerschaft autonome Entscheidungen bzgl. Ernährung und Versorgung zu treffen ist kein Aspekt eines Betreuungs- oder Bespaßungsprogramms. Wie unter Punkt 1) und 3) bereits erläutert, ist der Zugang zur ärztlichen Behandlung mit großen Hürden versehen, insbesondere in Nostorf/Horst, wo kein Arzt auf der Liegenschaft angesiedelt ist. Uns ist aktuell von keinem Fall bekannt, in dem einer schwangeren Frau die eigene Zubereitung ihres Essens erlaubt wurde.
Einige Frauen berichteten uns zudem davon, dass in der Einrichtung in Nostorf/Horst Babynahrung für Neugeborene nur aller drei Tage ausgegeben würde und im Falle von Abwesenheit der nächste Ausgabetermin abgewartet werden müsse.
Außerdem bereiten die qualitativ minderwertigen Betten insbesondere Frauen bei fortgeschrittener Schwangerschaft große Probleme und Schmerzen. Und schließlich wurde häufig angemerkt, dass der medizinische Dienst keine gesonderten Sprechzeiten für Schwangere/junge Mütter anbiete. Ist der Andrang zu hoch, müssen sie auch bei dringlichen Anliegen am nächsten Werktag wiederkommen.
Abschließend möchten wir zwei zentrale Punkte anmerken:
Grundsätzlich handelt es sich hier lediglich um Stellvertreter*innen-Debatten, bei denen kontinuierlich über Bewohner*innen, jedoch nicht mit ihnen gesprochen wird. PRO BLEIBERECHT spricht sich daher ausdrücklich dafür aus, dass Landtagsabgeordnete selbst das Gespräch mit den Bewohner*innen beider Einrichtungen suchen. Gern unterstützen wir bei der Organisation und Umsetzung eines solchen Zusammenkommens.
Im Rahmen von Öffnungsklauseln haben die Bundesländer grundsätzlich Spielraum bei der früheren Beendigung der EAE-Unterbringung. Dies ermöglicht eine vorzeitige Zuweisung auf die Kommunen nach §§ 48 bis 50 AsylG. Wir plädieren daher dafür, dass alle schwangeren Frauen und Frauen mit Neugeborenen und Kleinkindern shcnellstmöglich ohne Ausnahmen aus der Erstaufnahme auf kommunale Einrichtungen verteilt werden - egal welchen Aufenthalts- oder Verfahrensstatus sie haben.
Senden Sie Antworten gerne per Email.
Mit solidarischen Grüßen,
Pro Bleiberecht in MV