Rassismus frisst die Seele auf. Und so wird die neue Gesetzesverschärfung, das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ viele Seelen auffressen. Abschiebung, Haft, Leistungskürzungen – der ganz unchristiliche Grundgedanke von Horst Seehofer und seinen CDU/CSU-Weggefährt*innen: Den Menschen das Leben möglichst schwer machen. Wie das aussieht, lest ihr hier.
Vorneweg: Was ist Rassismus
PRO BLEIBERECHT ist eine antirassistische Initiative. Wir begreifen Rassismus als das Machtverhältnis in der Gesellschaft, in dem man Menschen aufgrund ihrer zugeschriebenen Herkunft, Hauptfarbe oder zugeschriebener Religion in Gruppen einteilt. Man stellt sich diese Gruppen homogen vor, schreibt ihnen bestimmte Eigenschaften zu („Alle Araber sind...“, „Die Afghanen...“ usw.) und wertet sie damit ab. Mit der Abwertung ist verbunden, dass die Menschen mit der zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit immer wieder konfrontiert sind. Dies kann auf persönlicher Ebene (im direkten Gespräch oder in rassistischen Gewalttaten) geschehen, aber auch in Institutionen (wo diese Vorstellungen Gesetzesform finden) und auf struktureller Ebene (wo aus einzelnen Gedanken Verhaltensmuster und Normen unserer Gesellschaft werden).*
Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ ist nichts anderes als die rassistischen Vorstellungen von Rechten in Gesetzesform zu gießen. „Die Ausländer lassen sich nicht abschieben“, „Zu viele sind illegal in unserem Land“, „Sie täuschen und betrügen hinsichtlich ihrer Identität“, „Sie kosten uns Millionen und missbrauchen die Sozialleistungen“. Entsprechende Kampagnen führte die CDU bereits in den 80ern. Durch die rassistische Mobilisierung auf der Straße, rechte Netzwerke und Denkfabriken, die AfD und den Straußschen Ansatz der CDU/CSU „rechts von uns darf‘s niemand geben“ hat dieses Weltbild gerade Konjunktur.
Sehr deutlich muss sein: Die Gesetzesverschärfungen sind nicht alternativlos. Auf hohe Asylantrags- und Einreisezahlen könnte man auch antworten:
Okay, wir schaffen Bleibeperspektiven.
Ja, wir schaffen Lebensperspektiven.
Und fuck yeah! Wir nehmen die praktische Herausforderung an, die sich aus Migrationsbewegungen, globalen Krisen, Widerstandsbewegungen gegen autoritäre Regime und durch den Kapitalismus verursachte Armut ergibt.
Vor dieser Antwort steht nur notwendigerweise die Grundannahme, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind – und bleiben müssen.
Was steckt im Migrationspaket?
In dem sehr unübersichtlichen Gesetzespaket steckt so Einiges. Vorneweg ein paar positive Kleinigkeiten:
Integrationsangebote
Integrationsangebote wurden für kurze Zeit für Leute, die bereits in Deutschland sind, geöffnet. Mit Aufenthaltsgestattung bekommt man nun auch etwas mehr Geld während der Ausbildung.
Pseudo-Integration
Daneben wird so Einiges als „Integration“ verkauft, was eigentlich nur bedeutet, dass das Humankapital besser ausgenutzt werden kann: So müssen anerkannte Flüchtlinge weiterhin 3 Jahre in dem Bundesland leben, in das sie zugewiesen wurden. Außer sie finden eine Arbeit oder Ausbildung/Studium. Außerdem: Die Vorrangprüfung für Geduldete und Gestatte fällt weg (d.h. die Arbeitsagentur überprüft nicht mehr, ob ein Deutscher, eine EU-Bürgerin oder ein*e ankerkannte*r Flüchtling den Job auch machen könnte) und Asylsuchende und Geduldete dürfen jetzt auch Leiharbeit machen.
Der Großteil des Gesetzes umfasst Verschärfungen, die den Ausreisedruck erhöhen sollen. Um das umzusetzen, werden an einigen Stellen einfach mal die Grundrechte vom Tisch gefegt. In der CDU/CSU-Argumentation taucht dabei immer wieder die Zahl >200.000 Ausreisepflichtige< auf. Hier könnt ihr lesen, warum diese Zahl nicht richtig benutzt wird. Viele der aktuellen Ansätze tauchen übrigens auch in einem Papier der teuren und umstrittenen Beraterfirma McKinsey aus dem Jahre 2016 auf.
Hinzu kommen eine Reihe Verschärfungen, die vielen Menschen das Leben schwer machen werden.
Zentrale Datenerfassung
Im Ausländerzentralregister sollen von nun an viel mehr und umfassende Daten gespeichert werden. Für Nicht-Deutsche wird so eine zentrale Personenkennnummer entstehen, auf die bundesweit insgesamt ca. 100.000 Behördenmitarbeiter*innen Zugriff haben werden. Damit wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausgehebelt.
Wir müssen dazu nicht viel schreiben, denn bei Netzpolitik.org findet ihr eine super Zusammenfassung.
Dennoch an dieser Stelle eine wichtige Anmerkung des Netzwerk Datenschutzexpertise.
„Eine derartige zentrale Erfassung von Menschen ist in hohem Maße missbrauchsanfällig. Die Erfahrungen während des Nationalsozialismus mit der zentralen Erfassung von Menschen, die einer diskriminierungsgefährdeten Minderheit angehören, führte in der Bundesrepublik zu der Konsequenz, dass Geheimdienste und Polizei informationell voneinander getrennt und föderal strukturiert wurden und dass in den 70er-Jahren die Planungen für ein zentralisiertes Meldewesen verworfen und anstelle dessen eine kommunale Meldeerfassung vorgenommen wurde. Von diesen Schlussfolgerungen unberührt blieb die zentralisierte Erfassung von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland.Angesichts zunehmender ausländerfeindlicher Tendenzen in Deutschland und dem Risiko, dass deren Vertreter auch administrativen Einfluss erhalten können, müssen Vorkehrungen für den Fall ergriffen werden, dass derartige Daten zur Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten genutzt werden.“
60b-Duldung
Es gibt noch keinen knackigen Begriff für dieses neue Entrechtungsinstrument. Von NGOs wurde es beispielsweise als „Duldung light“ oder „Duldung zweiter Klasse“ bezeichnet. Das Innenministerium nennt es „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“. Es bekommt, wer eine falsche Identität vortäuscht oder bei der Klärung der Identität nicht mitwirkt. Um das zu machen, müssen die Betroffenen es z.B. in Kauf nehmen bei den Heimatbotschaften vorzusprechen, dort alle verlangten Erklärungen unterschreiben (auch die sog. „Freiwilligkeitserklärung“, selbst wenn sie nicht freiwillig ausreisen wollen), sich zum Wehrdienst im Herkunftsland bekennen und alle erforderlichen Gebühren bezahlen.
Tut man es nicht und erhält die 60b-Duldung, heißt das: Arbeitsverbot, Leistungskürzung, Wohnsitzauflage. Kurz: Ein unsichtbares Gefängnis, in dem sich die Menschen möglichst wenig bewegen sollen. Die Zeit mit der 60b-Duldung wird nicht für mögliche Bleibe-Optionen wie den §25b
angerechnet. Als wäre man nicht da gewesen und hätte kein Leben gelebt.Was ihr tun könnt
Was hier auf uns zukommt, ist neue Unterstützungsformen zu entwickeln. Oder alte wieder zu beleben. Denn auch unsichtbare Mauern lassen sich durchbrechen: Ehrenamtliche Deutschkurse, Unterstützung bei Widersprüchen und Klagen, öffentlicher Support für die Forderungen nach Bewegungsfreiheit und Gleichberechtigung. Wer sich dafür interessiert, dem sei das Buch „Die Bleibenden“ empfohlen, das die Kämpfe von Refugee-Aktivist*innen und Unterstützer*innen über 20 Jahre hinweg dokumentiert.
Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam
Abschiebehaft ist ein Luxus, den sich unsere Gesellschaft leistet. Dieser Luxus bewegt sich weit entfernt von rationalen Überlegungen. Denn Abschiebehaft ist teuer. Und Abschiebehaft macht sehr deutlich, dass wir es mit den Grundrechten von Leuten ohne deutsche Staatsbürgerschaft gar nicht so ernst nehmen. Denn Abschiebehaft bedeutet Freiheitsentzug – ziemlich billig verdient: Ohne Pflichtverteidiger*in, mit nur einer richterlichen Anhörung, und in circa der Hälfte der Fälle rechtswidrig.
Laut dem neuen Gesetz können abzuschiebende Geflüchtete nun auch abseits von Abschiebeknästen mit Strafgefangenen in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden. Europarechtswirdrig, aber das scheint kein Maßsstab mehr in der Gesetzgebung zu sein. Gerahmt wird die Unterbringung von der absurd weit gefassten Definition von Anhaltspunkten für Fluchtgefahr. Beispielsweise: Wenn jemand für seine illegalisierte Einreise „erhebliche“ Geldbeträge ausgegeben hat. Moment mal? Liegt es nicht in der Natur der Sache, dass Menschen teure Schlepper bezahlen müssen, wenn es keine legalen Einreisewege gibt? Hmm…
Zudem wurden Ausreisegewahrsam bis zu 10 Tage und Mitwirkungshaft bis zu 14 Tage ausgeweitet.
Innenminister Caffier und Justizministerin Hoffmeister haben sich bisher nicht geäußert, ob Asylsuchende in den JVAs in MV eingesperrt werden sollen. Der eine krakeelt mal wieder „Muss so!“, die andere meint: „Ist leider voll da“.
Was ihr tun könnt
Bleibt zu hoffen, dass das Justizministerium sich nicht weich kochen lässt und blickige Richter*innen an den Amtsgerichten vernünftige Entscheidungen treffen. Darüber hinaus und für die Einzelfälle: Wer eine Vertrauensperson benennt, hat ein Recht darauf, dass diese kontaktiert wird, wenn er*sie eingesperrt wird.
Isolation in AnkER-Zentren
Die Gesetzesverschärfung schreibt nun Seehofers AnkER-Zentren fest. Asylsuchende sollen erst aus den Erstaufnahmelagern verteilt werden, wenn das BAMF seine Entscheidung getroffen hat. Clever gemacht und ein bisschen in der Framing-Bibel geblättert, um die Quälgeister von der SPD ruhig zu stellen: In den Aufnahmelagern bekommen Asylsuchende nun eine „unabhängige staatliche Asylverfahrensberatung“ (§12a AsylG). Unabhängig staatlich? Klingt komisch, ist auch so: Das BAMF berät höchstpersönlich. Unabhängig davon (sic!) führt es auch die Anhörungen und trifft die Entscheidungen.
Was ihr tun könnt
Der Lichtblick: Laut Gesetz ist es vorgesehen, dass ein Teil der Beratung von Wohlfahrtsverbänden durchgeführt werden kann. Nun müssen die in MV nur noch aktiv werden. Go for it: Fragt nach bei den Landesverbänden von DRK und Co! Hier gibt‘s die Kontaktadressen. Und kommt mit uns nach Horst zu den monatlichen Mahnwachen! Break Isolation!
Verletzlichkeit der Wohnung
Wir hatten bereits einmal dazu berichtet: Das Grundgestez garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Das „Geordneter-Rassismus“-Gesetz wiederum bietet Ausnahmen und Möglichkeiten in §58 AufenthG. Das perfide daran ist das Setting: Wer isoliert in Erstaufnahmelagern oder Sammelunterkünften lebt, hat kaum Kontakt zu kritischer Zivilgesellschaft, die das Handeln von Behörden und Polizei kontrollieren könnte.
Was ihr tun könnt
Deshalb: Der erste Schritt ist sensibilisieren! Druckt die Infoblätter aus und verteilt sie unter Bewohner*innen von Sammelunterkünften.
Wenn ihr selbst in Sammelunterkünften arbeitet und Abschiebungen beiwohnt/beiwohnen müsst: Lest zuerst das hier (https://www.fluechtlingssozialarbeit.de/). Und sorgt zudem dafür, dass die Cops wenigstens die Regeln einhalten. Laut dem neuen Gesetz heißt das: Ein Protokoll über Durchsuchungen führen (wer hat wann und v.a. WARUM ein Zimmer/eine Wohnung durchsucht). Klärt die Bewohner*innen dann darüber auf, welche Rechte zu klagen sie haben.
Kriminalisierung von Unterstützer*innen
Das neue Gesetz sieht vor, dass Behördenmitarbeiter*innen, die Abschiebetermine, Termine für Botschaftsvorführungen oder Reisefähigkeitsuntersuchungen verraten, sich des Geheimnisverrats schuldig machen. Let‘s be honest: Kommt in MV eh nicht so häufig vor. Aufpassen müssen Unterstützer*innen nur, dass man ihnen keine Beihilfe oder Anstiftung andichten kann, wenn mal jemand einmal zu häufig wissen will, wozu ein Termin angesetzt wurde.
Was ihr tun könnt
Unser Tip: Falls euch die Ermittlunsgsbehörden ärgern wollen, bleibt nicht allein. Sucht euch anwaltliche Unterstützung, kontaktiert Flüchtlingsorganisationen, macht Öffentlichkeitsarbeit. Der §97a soll entsolidarisieren und Leuten Angst machen sich gegen die Abschiebungen von Freund*innen zu wehren. Lasst euch keine Angst machen!
Leistungskürzungen
Fies! Weil man von Asylbewerberleistungsgeld (ca. 17% weniger als Hartz 4) ja bekanntlich lebt wie ein Scheich, wird das Geld nun einfach für fast alle gekürzt. Der Staat stellt sich die Zwangsgemeinschaften in Sammelunterkünften ab jetzt als Bedarfsgemeinschaft vor, also wie eine Liebesbeziehung (zur Erinnerung: WGs sind keine Bedarfsgemeinschaften, wenn sie sich nicht den Kühlschrank teilen) und die Betroffenen rutschen in Bedarfsstufe 2. Wer alleine in einer Sammelunterkunft lebt, bekommt jetzt 136€ + 174€ = 310€/Monat (notwendiger persönlicher Bedarf + notwendiger Bedarf). Dieser Teil gilt ab dem 1.9.2019.
Hinzu kommt, dass die Behörden nun leichter auf das sog. „physische Existenzminumum“ kürzen dürfen. Das bedeutet: Nur noch Geld für Essen, Gesundheits- und Körperpflege.
Einige bekommen übrigens gar keine Leistungen mehr: Nämlich Flüchtlinge mit Anerkennungen aus anderen EU-Ländern. Oder solche, die per Relocation-Verfahren anderen EU-Ländern zugeordnet wurden. Für die gibt es nur noch zwei Wochen Überbrückungsleistungen und das Ticket zurück. Diese Regelung gibt es bereits seit einigen Jahren für EU-Bürger*innen, die nicht freizügigkeitsbereichtigt sind. Was wir daraus lernen können: Wo Entrechtung akzeptiert wird, wird sie auch ausgeweitet.
Was ihr tun könnt
Bei Leistungskürzungen lohnt es sich immer die Bescheide zu überprüfen. Wieviel jemand bekommen sollte, erfahrt ihr hier. Die Übersicht wird sicherlich bald aktualisiert. Außedem solltet ihr für Leute mit Aufenthaltsgestattung und Duldung noch die Nachzahlung für 2018/2019 beantragen. Bei immer fieseren Kürzungen zählt jeder Euro!
Das Verschärfungspaket enthält weitere Gesetze, die wir hier nicht vollständig auflisten können. Haltet in naher Zukunft die Augen und Ohren offen. Verschieden NGOs und Interessensvertretungen werden Arbeitshilfen und Zusammenfassungen entwickeln.
Werdet laut!
Es kann so nicht weitergehen, dass unverhohlener Rassismus zu Gesetzen wird. Das wirksamste Mittel gegen jede Abschiebung ist die soziale Einbindung der Betroffenen: Freund*innen, Familie, Arbeitskolleg*innen, wir alle sehen die Betroffenen als Individuen, wo Behörden und Ministerien nur Zahlen und „Vorgänge“ auf Papier haben.
Deswegen: Break Isolation! Als ersten und wichtigen Schritt.