Bei den „Break Isolation“-Mahnwachen der letzten Monate kamen wir mit Menschen in Kontakt, die uns über die mangelnde Selbstbestimmtheit schwangerer Frauen im Lager berichteten. Sie schilderten sowohl psychische als auch physische Folgen für die Betroffenen. Wir haben zu diesem Thema einen Brief an verschiedene Vereine, Interessensvertretungen und mit Geflüchteten befasste Behörden verschickt. Was wir kritisieren und vorschlagen, lest ihr hier.
Wir halten es für dringend nötig, dass möglichst viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen das Land und die verantwortlichen Behörden auf die Missstände und notwendigen Verbesserungen für schwangere Frauen in den Erstaufnahmelagern hinweisen.
Schwangerschaft in einer Sammelunterbringung
Keine Essenszubereitung: Schwangere Frauen dürfen sich – selbst wenige Wochen vor der Entbindung! – keine Mahlzeiten selbst zubereiten. Sie haben keinen Zugang zu Kochmöglichkeiten und müssen sich an die strikten Öffnungszeiten der Kantine halten. Da keine Lebensmittel aus der Kantine mit auf die Zimmer genommen werden dürfen, empfinden schwangere Frauen insbesondere die lange Zeit zwischen Abendessen und Frühstück als quälend.
Qualität der Lebensmittel: Einige Frauen berichteten davon, dass sie Schwangerschaftsdiabetes / einen hohen Blutzuckerspiegel entwickelt hätten. Die Kantinenspeisen tragen den individuellen Bedürfnissen dieser Frauen keinerlei Rechnung und servieren weiterhin fast ausschließlich Nudeln, hellen Reis, Weißbrot o.Ä.
Kosten für Medikamente: Laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) werden nur dringend notwendige Arzt- und Medikamentenkosten übernommen. Vitaminpräparate, Nahrungsmittelergänzungen (die vor dem Hintergrund der qualitativ minderwertigen Nahrung umso nötiger wären) und/oder leichte Medikamente wie Paracetamol müssen von den Frauen selbst angeschafft werden. Der äußerst niedrige Leistungssatz von häufig nur etwa 30€ pro Monat macht dies kaum möglich.
Forderungen
Grundsätzlich hielten wir es für das beste, wenn das Land per Erlass die Unterbringungszeit für Schwangere auf ein Minimum reduziert - egal welchen aufenthaltsrechtlichen Status sie haben.
Sofern sich das Landesamt für innere Verwaltung weiterhin dagegen entscheidet schwangere Frauen schnellstmöglich und bedingungslos in die Kommunen zu verteilen, fordern wir, dass
... schwangere Frauen einen Zugang zu Kochmöglichkeiten erhalten, um sich Lebensmittel zuzubereiten, die dem individuellen Gesundheitszustand entsprechen! Entsprechend müsste auch die Abteilung 1 „Nahrungsmittel, Getränke“ der Asylbewerberleistungen in bar ausgezahlt werden. Jede Schwangerschaft ist anders und jede Frau kennt ihren Körper selbst am besten. Sie sollte die Möglichkeit haben selbstbestimmt über ihre Gesundheit und die ihres Kindes entscheiden zu können.
... der individuelle Gesundheitszustand schwangerer Frauen wahrgenommen wird und ihnen Vitaminpräparate, Nahrungsmittelergänzungen und leichte Medikamente finanziert werden! Der Gesetzgeber hat hier ganz klar Handlungsspielraum eingeräumt: Nach § 6 AsylbLG können Mehrkosten (insb. bzgl. besonderem Ernährungsbedarfs) bei Krankheit oder Schwangerschaft erbracht werden. Arzneimittel und andere Bedarfe müssten grundsätzlich nach §4 Absatz 2 AsylbLG erbracht werden.
Was können Sie tun/was könnt ihr tun?
Nehmen Sie/nehmt Kontakt zu uns auf: PRO BLEIBERECHT organisiert regelmäßig Mahnwachen und Kundgebungen vor dem Aufnahmelager. Gern können wir zusammenkommen und diesem wichtigen Thema eine gemeinsame Plattform geben.
Nehmen Sie/nehmt Kontakt zueinander auf: Machen Sie die Situation schwangerer Frauen in den Lagern zum Thema in den eigenen Netzwerken, Organisationen, Vereinen!
Ausblick
Die Probleme in den Erstaufnahmestellen, die nunmehr als "AnkER-Zentren" nach den restriktiven Vorstellungen des Bundesinnenministeriums geführt werden, werden sich in nächster Zeit verschärfen. Die Gesetzesänderungen im Bereich Asyl-/Aufenthaltsrecht vom Juni 2019 sieht eine verlängerte Unterbringungszeit in den Erstaufnahmestellen und eine Ausweitung von Leistungskürzungen vor. Wir halten es daher gerade jetzt für dringend, dass eine breite Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Akteur*innen ihr Augenmerk auf diese vergessenen Orte richtet.