Bei der Mahnwache am vergangenen Sonntag in Nostorf-Horst blieben einige Gespräche besonders in Erinnerung. Es ging um Macht, Ohnmacht und ein geschlossenes System.
Zunächst für diejenigen, die sich das Leben in einem Erstaufnahmelager wie Horst noch nicht vorstellen können: Die Menschen leben dort in Mehrbettzimmern in drei Häusern. Die Häuser sind so aufgeteilt: Ein Haus für Asylsuchende aus Hamburg ("Wohnaußenstelle"), zwei für MV. Darin werden die Leute weitestgehend nach Herkunftsländern sortiert. Außerdem gibt es alle möglichen "Ausgleichsangebote", mit denen die Unfreiheit rosa angepinselt werden soll: Fitnessräume, Frauencafe*, Fernsehraum. In einem weiteren Gebäude sitzen die Betreiber (Malteser) und in noch einem separat das Landesamt für innere Verwaltung (zuständig für Geldauszahlung und -kürzung, Organisierung von Abschiebungen und medizinische Versorgung) und das BAMF. Außerdem gibt es eine Dienststelle der Polizei auf dem Gelände.
Und es gibt zwei Kantinen. Eine für die Bewohner*innen: Jeden Tag das gleiche Essen, aufgewärmter Tee und Handyverbot. Eine für die Mitarbeitenden: Alle Mitarbeitenden von allen Behörden und Organisationen.
So entsteht in diesem abgeschlossenen Sozialraum** eine bedenkliche Situation: Die Menschen mit Macht sitzen zum Essen zusammen***. Was der Eine weiß, erfährt die andere schnell. Deutungen einzelner Situationen oder Meinungen über Menschen verbreiten sich unter denjenigen, die eigentlich als kritisches Korrektiv zueinander fungieren sollten. Zum Beispiel: Eine Beschwerde über die Betreiber (Malteser) sollte vom Geldgeber (Landesamt) geprüft werden. Ein Widerspruch gegen einen Bescheid vom Landesamt sollte von den Maltesern als zuständigen Sozialarbeiter*innen parteilich unterstützt und im Zweifel auch mitverfasst werden. Doch wie wahrscheinlich ist beides, wenn man mit der jeweiligen Funktionsträger*in eine Stunde später beim Kaffee zusammensitzt?
Horst ist wie Dutzende andere Lager bundesweit: Menschen werden isoliert, systematisch gelangweilt und in die Depression getrieben.
Isoliert von der Außenwelt, von kritischen Stimmen und ohne unabhängiges Beschwerdemanagment arbeiten in solchen Sozialräumen aber eben auch die beteiligten Organisationen. So entstehen Organisations- und Handlungslogiken, deren Grundsatz nicht die Verhältnismäßigkeit und nicht die Wahrung der Rechte des*der Einzelnen sind.
Um das ein Stück weit zu ändern, klagt der Flüchtlingsrat Hamburg als unabhängige Beratungsorganisation derzeit auf Zutritt zum Lager. Basis der Klage ist die EU-Aufnahmerichtlinie. Die Verhandlung wird im April stattfinden. Haltet die Augen offen für Ankündigungen.
*Frauenräume sind gut und wichtig, weil darin Empowerment und Emanzipationsprozesse gedeihen können. Im Kontext von Erstaufnahmelagern sind sie einfach nur zynisch. Kein Sammellager bietet Frauen Sicherheit. Let's name it: In Sammellagerm finden Belästigungen, Übergriffe und Vergewaltigungen statt. Regelmäßig. Es gibt einen wirksamen Schutz: Unterbringung außerhalb von Lagern und Ausbau der Hilfestrukturen für gewaltbetroffene Menschen. Wer am Scheibtisch sitzt und denkt, ein "Gewaltschutzkonzept" (so nett die Idee dahinter auch ist) in der Schublade und ein Frauencafe verhindern das, ist entweder naiv oder kalkuliert mit den Wunden der Menschen.
** Man erinnere sich: Viele Leute leben von 30€ pro Monat. Ein Ticket nach Lauenburg oder Boizenburg kostet ca. 2,50€ in eine Richtung. Nach Hamburg oder Schwerin mindstens 23€ (MV-Ticket) oben drauf.
*** Das Essen ist natürlich mehr ein Symbol für Klüngelei und das, was seitens der Verantwortlichen gemeinhin gern als "kurze Wege" beschönigt wird
Und vielen Dank mal wieder an Bildwerk Rostock für das Titelbild!