Horst und die AnkER-Zentren
Für Menschen, die sich bereits seit längerer Zeit mit der Frage von fairen Asylverfahren beschäftigen, sind die Vorstöße von Horst Seehofer zu den „AnkER-Zentren“ schwer nachvollziehbar. Wir wollen hier Einblicke geben, was diese AnkER-Zentren sein sollen und was sie für Mecklenburg-Vorpommern bedeuten würden.
Von Ankern und Ausreise
Wenn Sie das Wort Anker hören, woran denken Sie? Ankommen, Hafen, Heimat, Sicherheit. Die positiven Bilder, die das Wort bei den meisten Menschen hervorruft, sind keineswegs das, was hinter den AnkER-Zentren steckt. Was der schöne Name tut, nennt man „politisches Framing“: Man verknüpft abstrakte und komplexe Zusammenhänge mit einfachen Bildern. Am besten solche, die im eigenen Interesse liegen. Das funktioniert, weil sich das menschliche Bewusstsein Bedeutung über Bilder im Kopf erschließt.
Die CSU will der Bevölkerung die AnkER-Zentren als Gewinn verkaufen, also wird ein positiv belegtes Bild dazu im Kopf hervorgerufen.
Doch das ist genau das Gegenteil von dem, was Herrn Seehofers Konzept vorsieht. „AnkER“ steht für „Ankunft, Entscheidung und Rückführung“. Die Annahme dahinter: Asylsuchende sollen bereits in den Erstaufnahmestellen das komplette Asylverfahren durchlaufen. Und das in möglichst kurzer Zeit. Das neue Innenministerium interessiert sich dabei keineswegs für die Frage, wie man qualitativ hochwertige und faire Asylverfahren gestalten könnte. Denn die Antwort auf diese Frage sehe ganz anders aus. Einen Blick hat die CSU dabei hauptsächlich auf die anstehenden Wahlen in Bayern und rechte, vorurteilsgelenkte Wählerinnen und Wähler.
Bleibeperspektiven vs. Gesellschaftsperspektiven?
Geboren wurde diese Idee 2015, als durch die hohe Anzahl von Asylanträgen Prioritäten gesetzt werden sollten. Und diese wurden gesetzt bei denjenigen, die höchstwahrscheinlch eine Aufenthaltserlaubnis bekommen (2015/2016 waren das größtenteils Syrer*innen) und bei denjenigen, die sie höchstwahrscheinlich nicht bekommen (2015/2016 waren das größtenteils Asylsuchende aus den osteuropäischen Ländern). In der Sprache der Bürokrat*innen bekamen sie das Etikett „AsylbewerberInnen mit guter und schlechter Bleibeperspektive“. Mehr zum Begriff „Bleibeperspektive“, was er bedeutet und was sich dahinter verbirgt, bei der GGUA.
Seitdem wird kategorisiert, entschieden und abgeschoben. Alles ohne Rücksicht auf Inhalte, Einzelschicksale und im völligen Vergessen, dass diese Gesellschaft auch über die nächste Wahlperiode hinaus Bestand haben wird.
Überlegen wir doch einmal so: Was brauchen wir, um als Gesellschaft mit neuen Einwohner*innen zusammenzuwachsen? Brainstorming: Grundwerte über den Haufen werfen Demokratie und Solidarität umsetzen. Isolation und Ausgrenzung Offenheit und die Bereitschaft miteinander umzugehen. Schnelle Ausreise und Arbeitsverbote Jemand, der unsere Renten bezahlt.
C wie Gegenwart: Caffier und die MV-Politik
In Mecklenburg-Vorpommern werden die Grundannahmen hinter den AnkER-Zentren keine großen Umstände für das Innenministerium bereiten. Denn die meisten der Anliegen der rechts-außen-Populisten setzt MV bereits seit etwa 2016 um.
- Die Unterbringungszeit in den Erstaufnahmestellen hat sich stark erhöht. Waren es vor 2015 nur wenige Wochen, sind es nun mehere Monate und teilweise über ein Jahr.
- Asylsuchende im Dublin-Verfahren verlassen die Erstaufahmestellen nicht mehr bis zu ihrer Abschiebung (Ausnahmen bestehen).
- Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsländern“ verlassen die Erstaufahmestellen nicht mehr bis zu ihrer Abschiebung (Ausnahmen bestehen). Für Menschen aus den Balkan-Staaten bedeutet das schlichtweg, dass sie nur noch wenige Wochen hier sind. Wobei ohnehin die meisten von ihnen mittlerweile in den bayrischen „Transit“-Lagern landen. Für Menschen aus Ghana bedeutet es ein Leben in Horst oder Sternbuchholz über mehrere Monate ohne Aussicht auf Auszug.
- Die Ankommenden in Horst und Sternbuchholz werden bereits kurz nach ihrer Ankunft über die sogenannte „freiwillige Ausreise“ informiert. Dies geschieht ohne das in den Kontext zu setzen und ohne eine angemessene Asylverfahrensberatung. Das Gefühl, das Asylsuchenden dadurch vermittelt wird, können sich halbwegs empathiefähige Menschen sicherlich vorstellen. Statt über Schutz zu sprechen, wird die Rückkehr in das Land nahegelegt, aus dem man geflohen ist, noch bevor man irgendjemandem erzählen konnte, was einem*einer dort eigentlich passiert ist.
Warum würde man 1500 Menschen in 1 Einrichtung festhalten wollen?
Ein wichtiger Punkt, in dem sich die AnkER-Zentren der populistisch motivierten CDU/CSU/SPD-Politiker*innen von der Situation in MV unterscheiden, ist die Größe der Einrichtungen. Sternbuchholz hat 1200 Plätze, Nostorf-Horst dagegen Platz für etwa 600 Menschen. Die CSU/CDU/SPD-Regierung plant Einrichtungen für 1500 Menschen.
Es wurde in den vergangenen 30 Jahren viel gesagt über Masseneinrichtungen - seitens Geflüchteten-Aktivist*innen, seitens Unterstützer*innen, seitens humanitärer Akteur*innen. In der Vergangenheit zum Beispiel durch No Lager, aktuell zu den ANkER-Zentren von PRO ASYL, Paritätischem Wohlfahrtsverband NRW.
Jeder vernunftbegabte Mensch kann sich ausrechnen, was passiert, wenn man so viele Menschen, die stark emotional belastet sind (Erlebnisse in den Herkunftsländern, Erlebnisse auf dem Fluchtweg) und unter heftigem Stress stehen (vermisste Angehörige, Leben fern der Heimat, Masseneinrichtung, Asylverfahren) über mehrere Monate zusammensperrt*.
Traumata verfestigen sich und führen zu Depression und innerer Isolation. Psychisch instabile Menschen werden es schwer haben die notwendige Unterstützung zu finden. In einem solchen sozialen Gefüge werden genau diejenigen am wenigsten Unterstützung finden, die sie am meisten brauchen: Kinder, alleinreisende Frauen, Menschen mit Behinderungen, Traumata und Depressionen. Denn wer unter 1500 Menschen ins Auge sticht, sind meistens die lautesten.
Was Mecklenburg-Vorpommern nicht leistet
Und genau hier bestehen in MV die größten Lücken:
- Es gibt kein System zur Erkennung besonders schutzbedürftiger Menschen. In Horst fiel der medizinische Dienst im März sogar durch Körperverletzung an einer Bewohnerin auf. PRO BLEIBERECHT wertet das scheckliche Ereignis als strukturelles Problem. Weitere Mängel an der Einrichtung, die von den Bewohner*innen geschildert wurden, sind hier dokumentiert.
- Die Kinder, die in den Einrichtungen wohnen, gehen mehrere Monate nicht zur Schule.
- Für Sternbuchholz gibt es einen einzigen Kooridnator für Gewaltschutz, der zusätzlich für Nostorf-Horst und MV-weit für weitere Malteser-Einrichtungen zuständig ist.
- Asylverfahrensberatung findet nur in äußerst geringem Umfang statt und darf dafür nicht einmal das Gelände der Einrichtungen betreten. Dies ist in den AnkER-Zentren anders vorgesehen. Asylverfahrensberatung soll dort stattfinden. Wo diese dann aber in entsprechendem Umfang herkommen sollte, bleibt offen.
Nun könnte man Besserung für all dies fordern: Dass sich das Land MV einen entsprechend qualifizierten psychologischen Dienst in den Erstaufnahmeeinrichtungen leistet. Endlich Beschulung für die Kinder in den umliegenden Schulen, statt Beschäftigungsangebote. Flächendeckenden Gewaltschutz und vorhergehende Identifizierung besonders schutzbedürftiger Personen. Qualifizierte und unabhängige Asylverfahrensberatung für alle. All dies ist bitter notwendig zu fordern.
Doch ist das Grundproblem, vor dem wir derzeit stehen ein anderes: Dass Asylpolitik von denjenigen entschieden wird, die am wenigsten Ahnung vom menschlichen und solidarischen Kontakt mit den Asylsuchenden haben. Dass sie sich nicht drum scheren, was diejenigen sagen, die sich fachlich auskennen. Dass es den Entscheidungsträger*innen nicht um ein gutes Leben für alle geht, sondern um den Hass und die Angst, die sie bei ihren potentiellen Wähler*innen vermuten.
Und genau das muss aufhören, bevor wir über alles andere sinnvoll sprechen können.
AnkER-Zentren sind ein Ausdruck der Ängste und des Unverständnis für ein zukünftig mögliche Welt von Menschen wie Horst Seehofer und konservativen Stammtischlern. AnkER-Zentren sind keine Antwort auf irgendeines des Probleme, die es global zu lösen gilt, um Menschen das Leben in Sicherheit und Würde zu garantieren, nach dem wir alle suchen.