Am 16. September jährt sich der Mord an Jina Amini und damit der Beginn der Revolution für Freiheit in Ostkurdistan (Rojhilat), Belutschistan und Iran. Einige Worte aus diesem Anlass.
Anlässlich des Jahrestages des Mordes an Jina Amini gab es in vielen Großstädten in Deutschland und anderen europäischen Ländern große Proteste und Demonstrationen, und noch besser: Kurd:innen und auch Iraner:innen verschafften ihrer Stimme in der Welt Gehör und sagten klare Worte und zwar, dass dieses Regime ein Ende haben muss. Parallel zu den Demonstrationen in europäischen Ländern verschärften sich die Proteste am Jahrestag der Ermordung von Jina innerhalb des Iran erneut, wobei bisher mehrere Menschen getötet, verletzt, verhaftet und hingerichtet wurden. Mehrere tausend Menschen sitzen wegen der Proteste bis heute unter Folter in den Gefängnissen des Regimes.
Ich schreibe diesen Text mit Tränen in den Augen, als politischer Aktivist und als jemand, der zu Beginn der Proteste und Demonstrationen dabei war, Menschen zusammenbrachte und sie informierte und gegen die Ermordung einer selbstbewussten jungen Frau protestierte, die sich einem ungerechten Gesetz widersetzte. Ich weiß nicht, ob diese Tränen Freudentränen sind?! Dass die Menschen erneut ihren Protest gegen dieses diktatorische System zeigen – im Iran und hier in Deutschland.
Oder sind es echte Tränen? Denn in einer Stadt wie Hamburg gab es zwei Kundgebungen von zwei Gruppen. Die eine Gruppe waren diejenigen, die die Monarchie zurück wollen, also die gleiche Regierung wie vor 44 Jahren. Sie haben schon damals unsere Rechte, die Rechte der Kurd:innen, missachtet und uns hingerichtet, massakriert und verbannt. Sie glauben noch immer an dieses System, ein einsprachiges und monozentrisches System mit der Macht in den Händen einer Person (dem Schah, König), der schlechter regierte als die Mullahs.
Die zweite Gruppe waren diejenigen, die im wahrsten Sinne des Wortes an Freiheit glauben. Wir erkennen an, dass der Iran ein Land mit mehreren verschiedenen Nationalitäten ist, alle gleichberechtigt sind und die Bevölkerung entscheiden soll, wie das zukünftige System aussehen soll. Wir sind mit unterschiedlichen Positionen zusammengekommen und wir Kurd:innen konnten unsere eigene Flagge (die Flagge Kurdistans) in den Händen halten. Die Jina-Revolution und die Erhebung Ostkurdistans und des Iran sind eine Plattform, auf der eine neue Wirklichkeit auftaucht. Sie ist der stärkste Ruf der Frauen nach ihrem Leben und nach Freiheit in der heutigen Zeit. Es ist eine Bewegung gegen Besatzung, Faschismus, Diktatur und Misogynie. Es ist ein Versuch, die Rechte und Forderungen der am stärksten Unterdrückten zu verwirklichen. Die Unterdrückten haben das Recht auf Selbstbestimmung und sie haben das Recht für die Sichtbarkeit und Stärkung aller Menschen, Nationalitäten, Klassen und aller Ausgebeuteten und Marginalisierten entsprechend ihres Wesens und ihrer Selbstdefinition zu kämpfen.
Das Schlimme war, dass mir klar wurde, dass Menschen, die an die Monarchie glauben, an einem anderen Ort protestierten und dort behaupteten, die Kurd:innen seien diejenigen, die spalten wollen. Deswegen durften wir nicht zu ihrer Kundgebung kommen (wir durften keine kurdischen Flaggen oder kurdische Symbole mitbringen).
Mir wurde klar, dass darin die Wurzel unserer Probleme liegt. Wo unterscheidet sich diese Mentalität von der der Regierung des islamistischen Regimes? Wenn es im 21. Jahrhundert immer noch Menschen gibt, die nicht akzeptieren können, dass alle gleich sind und dass Freiheit für alle gilt und jede:r das Recht haben sollte, selbst zu bestimmen. Dieses Problem wird also mit Sicherheit nicht so schnell gelöst werden (vielleicht wird es nie gelöst). Jeder von uns hat seine eigene Definition von Freiheit, aber ich glaube nicht, dass sie uns Kurd:innen und Belutsch:innen jemals verstehen werden. Denn unserer Meinung nach besteht Freiheit nicht nur darin, keinen Hijab zu tragen! Unserer Meinung nach bedeutet Freiheit, die Rechte anderer nicht zu ignorieren und den Kampf der anderen für Freiheit zum eigenen Kampf zu machen.
Ich muss daran erinnern, dass diese Revolution von Kurd:innen begonnen wurde. Jina war eine Kurdin. Ohne die Kurd:innen und Kurdistan wird dieses Regime niemals gestürzt werden. Das ist etwas, das alle, Sie und die ganze Welt wissen müssen.
Freiheit für Kurdistan! Freiheit für das kurdische Volk! Wir ehren das Andenken und den Namen des ersten Opfers der Revolution, unserer Schwester Jina und werden bis zum letzten Moment unseres Lebens für die Freiheit und die Rechte der Menschen unseres Landes kämpfen.
16. September 2023