Repression in Russland – Tag der politischen Gefangenen

Der Tag der politischen Gefangenen wird am 18. März weltweit von Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen begangen, um Aktivist*innen in Gefangenschaft zu unterstützen, für ihre Freiheit zu kämpfen und den Blick der Öffentlichkeit auf die Verbrechen von Regimen und Diktaturen zu richten.

Als antirassistische Initiative hat Pro Bleiberecht nahezu jeden Tag mit Menschen zu tun, die in ihren Herkunftsländern ihr Leben riskiert haben, indem sie politisch aktiv waren. Diejenigen, die wir hier treffen, sind diejenigen die Knäste und Repression überstanden haben. Es fehlen: Die Gefangenen.

Wir haben Aktivist*innen gebeten, über die aktuelle Situation in verschiedenen Ländern zu schreiben.

Repression in Russland

Wir können nicht zu Hause bleiben, denn morgen werden unsere Kinder äußern, was sie denken. Und sie werden unter den Schlagstöcken der Polizei und der Drohung langer Haftstrafen auf die Straße gehen. Sie haben kein anderes Land. Wir haben kein anderes Land. Und niemand sonst wird in der Lage sein, die Maschine der Unterdrückung zu stoppen, wenn wir jetzt nicht NEIN zu ihr sagen und nicht SOFORT die Freilassung aller politischen Gefangenen fordern.“

Diesem Aufruf der Kampagne „Wir sind alle im Netzwerk – Zurücksetzung der Haftstrafen der politischen Gefangenenfolgten dieses Wochenende (14.03.2020) in den beiden russischen Metropolen Moskau und St. Petersburg wieder viele Aktivist*innen. Sie gehen seit über einer Woche fast täglich auf die Straßen um gegen Staatswillkür und Repression und für die Freilassung von politischen Gefangenen zu demonstrieren. Anlass war die Zurücksetzung Putins bisheriger Amtszeiten, um ihm damit eine Wiederwahl zu ermöglichen.

Um Proteste der Opposition unsichtbar zu machen, wendet die Behörden den übliche Trick an: Die Kundgebung im Stadtzentrum wird nicht genehmigt. Alternativ wird den Organsiator*innen ein Ausweichort angeboten: Weit ab vom Schuss am Stadtrand.

Die Opposition hat schon lange ihren Umgang damit gefunden: Sie mobilisiert einfach zu Ein-Personen-Kundgebungen, eine bisher noch legale Protestform ohne vorherige Genehmigung. Im Stadtzentrum vor der Ljubjanka, dem ehemaligen Gefängnis der Sowjetischen Staatssicherheit KGB, stehen die Leute Schlange, warten bis sie dran sind, halten dann für ein paar Mituten ihr Plakat hoch, bis der/die nächste dran ist.

Mit Plakaten wie „Zurücksetzung der Haftstrafen politischer Gefangener“, „Mein Russland sitzt im Gefängnis“ oder „Wir sind alle im Netzwerk“ machen die Kundgebungsteilnehmer*innen auf politische Gefangene und aktuelle Fälle aufmerksam.

Der Moskauer Fall – Masseninhaftierung, Schauprozesse und überzogenes Strafmaß

Im Sommer 2019 zur Zeit der Stadtparlamentswahlen in Moskau protestieren mehrere zehntausend Menschen friedlich für freie Wahlen und für die Zulassung von unabhängigen Kandidat*innen. Es sind die größten Proteste seit mehr als sechs Jahren. Die Polizei geht brutal gegen Teilnehmer*innen vor. Die Zahl der Inhaftierten stellt einen neuen Rekord auf: Fast 1400 Leute.

Danach kommt es zu Schauprozessen gegen über 30 Personen, darunter viele bekannte Gesichter aus der Opposition. Der Vorwurf lautet zum größten Teil: Anstiftung von Massenunruhen und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Beweislage: an den Haaren herbeigezogen.

Ein Beispiel: Drei der Inhaftierten werden zu Gefängnisstrafen von 2 bis 3 Jahren verurteilt, weil sie laut Anklage einen Polizisten zu Boden geworfen haben sollen. Im Beweisvideo ist zu sehen, dass die Drei lediglich versuchen eine am Boden liegende Person vor Schlägen der Polizisten zu schützen und daraufhin selbst Schläge abbekommen.

Der Netzwerk Fall – Folter, Beweisfälschung und überzogene Anklagevorwurf

Derzeit laufen Prozesse gegen neun junge Männer aus den russischen Städten Pensa und St. Petersburg. Sie sind ebenfalls bekannte Gesichter der außerparlamentarischen Opposition. Ihnen wird Terrorismus vorgeworfen und es drohen Haftstrafen von 6 bis zu 18 Jahren. Menschenrechtler*innen halten den Fall für konstruiert, da ein Großteil der Beweise gefälscht bzw. nicht aussagekräftig sind.

So behauptet die Anklage, die Personen hätten etwas geplant – aber kann nicht belegen was, wann, wo und wie geplant worden sein soll. Die Anklage stützt sich lediglich auf Geständnisse der Personen, die unter Androhung von Gewalt bzw. unter Folter mit Strom erpresst wurden; auf Waffen, die untergeschoben worden sind; auf Gutachten, die nicht durch unabhängige Zweite geprüft worden sind; auf Zeugen, die unglaubwürdig sind; auf Dateien beschlagnahmter Datenträger, die im Prozess der Untersuchung verändert wurden – d.h. nur die Behörden darauf zugriff hatten - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Während der letzten anderthalb Jahre in der U-Haft hat sich der psychische und physische Gesundheitszustand der Inhaftierten stark verschlechtert. Zwei Personen haben bereits einen Selbstmordversuch hinter sich, weitere zwei sind an Tuberkulose erkrankt.

Die Proteste halten an

Auch bei den Kundgebungen dieses Wochenende kam es wieder zu bewährter Polizeistrategie: Abschirmung der Veranstaltung mit Polizeibussen, Massenverhaftungen und Polizeigewalt – Es wurden einfach alle Menschen, die an der Kundgebung teilnehmen wollten, in Gewahrsam genommen.

Nichtsdestotrotz sind kommendes Wochenende landesweit weitere Kundgebungen und Proteste der Opposition angekündigt. Die Menschen wollen ihren Unmut über die Zurücksetzung von Putins Amtszeit und der damit einhergehenden Staatswillkür und Repression auf die Straße zu tragen.

„Wir gehen protestieren, weil wir alle im Netzwerk sind: Wir sind im Netzwerk korrupter Richter, wir sind im Netzwerk der Sicherheitskräfte, wir sind im Netzwerk der ständigen Kontrolle über unsere Bewegungen, wir sind im Netzwerk der ständigen Angst um unsere Zukunft. Und wir fordern alle auf, zusammenzukommen, um gemeinsam laut zu erklären, dass wir die Angst satt haben und bereit sind, dieses Netzwerk zu durchbrechen.“ --- aus dem Aufruf der Kampagne „Wir sind alle im Netzwerk – Zurücksetzung der Haftstrafen der politischen Gefangenen“ zum 14. März 2020.

Weitere Infos: https://rupression.com/de