Dinge, die so selbstverständlich scheinen…

Am 19. Mai waren PRO BLEIBERECHT, die Law Clinic Rostock und die NoBorderAcademy wieder in Nostorf-Horst. Den sonnigen Tag verbrachten wir dort mit insgesamt ca. 100 Teilnehmenden bei der Mahnwache unter dem Motto "Gegen Isolaiton und Ausgrenzung - Solidarität mit den Asylsuchenden - Horst schließen!". Es gab Kaffee, Kuchen, Spiele für die Kinder, Musik, Infomaterial und Gespräche. Was wir wieder mal lernen mussten war, dass es keine Selbstverständlichkeiten gibt.

Aufenthaltstatus: UNGÜLTIG

Von Bewohner*innen der Einrichtung bekamen wir erstmals die Auswirkungen des AnkER*-Wahnsinns zu sehen: Duldungen werden nun nach ihrem Ablauf einfach als ungültig gestempelt. Damit haben die betroffenen Menschen kein Aufenthaltspapier mehr, mit dem sie sich als in Deutschland registriert ausweisen können. Lediglich ein Dokument, das bescheinigt, dass sie mal registriert WAREN. 
Was das bezwecken soll? Vermutlich spiegelt es zum Einen die Ideologie der überzeugten Law-und-Order-Fetischist*en wider: AUSREISEPFLICHTIG ist alles, was ein Mensch ist, der sich vom Dublin-System oder dem BAMF nicht das Leben diktieren und abschieben lassen will. 

So nimmt man ihr/ihm schlichtweg den Ausweis, die Identität - und damit die Möglichkeit sich zu bewegen. Ein unsichtbares Gefängnis noch viel weiter reichend als die Zäune des Lagers.
Die Idee kommt augenscheinlich aus Bayern, wo der Flüchtlingsrat Bayern bereits vor einem Jahr berichtete, was das für die Betroffenen bedeutet. In Horst bedeutet es zB dass Fahrten nach Hamburg erschwert werden. 

Wer hat nicht schon in der Bahn beobachtet, wie ausgerechnet bei der einzigen Person of Colour zum MV-Ticket auch der Ausweis verlangt wurde? 

Und was werden Polizist*innen bei einer Personenkontrolle wohl denken, wenn jemand ein Dokument vorlegt, das bereits mehrere Wochen abgelaufen und "ungültig" ist?

Der Effekt: Gewollt. Die Leute sollen ohne Beratung fernab von Anwält*innen möglichst viel im AnkER-Zentrum sitzen, um dort der staatlichen Kontrolle zu unterliegen. 

Schwangerschaft: Strukturell unterversorgt in Horst

Wer schwanger ist, bekommt höhere Sozialleistungen, das ist so im Hartz-4-Bezug und genauso für Asylsuchende. Die höheren Leistungen umfassen Dinge, die im normalen Regelsatz der Sozialleistungen nicht enthalten sind, aber während einer Schwangerschaft schlichtweg gebraucht werden. Kurz mitgedacht: Laut Asylbewerberleistungsgesetz erhält ein Paar im Erstaufnahmelager 2x122€/Monat = 244€(!). 6,53€/Person sind für "Gesundheitspflege" vorgesehen. Wer also zB Vitamine oder Eisenpräparate zusätzlich braucht, kann das aus dem niedrigen Regelsatz nicht laufend finanzieren.**

Die Krux an der Sache: In MV muss alles beantragt werden - geschenkt gibt's nix im schönen Urlaubsland.
Die Krux an Horst: An allen Ecken und Enden fehlt es an Dolmetscher*innen, die bei solchen Anträgen helfen können.
Die Krux am AnkER-Irrsinn: Es fehlt an Beratung, trotz Beratungspflicht (§25 VwVfG).

Leute vergraulen und Ausreisedruck erzeugen, indem die Gesundheit eines ungeborenen Kindes und der Mutter gefährdet werden: Menschlich total daneben. Aber doppelt zynisch, wenn die Verantwortung dafür ein christlich geführtes Innenministerium trägt.

Kommt mit nach Horst! Durchbrecht die Isolation im AnkER-Zentrum!

Die Fahrten nach Horst hinterlassen meist einen tiefen Eindruck. Es sind schöne und bittere Tage zugleich. Zum Einen trifft man tolle Menschen, die es schaffen durch widrigste Lebenslagen zu gehen. Zum Anderen ist man mit diesen Widrigkeiten konfrontiert, die ganz klar menschengemacht und politisch gewollt sind. PRO BLEIBERECHT, die Law Clinic Rostock und die NoBorderAcademy machen sich auch im Juni wieder auf nach Horst. Seid dabei! Die anstehenden Termine findet ihr hier und bei Facebook.

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* Wir schreiben "AnkER-Zentrum", um zu markieren, wie die CDU/CSU hier politisches Framing betreiben. Mit dem Kürzel AnkER für "Ankommen, Entscheidung, Rückführung" sollen der Öffentlichkeit die Sammellager als positiv, effektiv und alternativlos verkauft werden. Tatsächlich sind sie Ausdruck des institutionellen Rassismus gegenüber Asylsuchenden. Wir stellen "AnkER" zudem in den Kontext von Schlagworten wie Wahnsinn oder Irrsinn. Dies soll keineswegs diskriminierend gegenüber psychisch erkrankten Menschen sein. Es soll die Verantwortung der Konzeptgeber für die Lebenssituation der Betroffenen verdeutlichen, die anscheinend bei der Gesetzgebung kaum eine Rolle spielt. Die Effekte sind bittererweise oft Depression, Verzweiflung, Gewalterfahrung. Verlinkungen zu den vielmals berichteten Vorkommnissen in AnkER-Zentren bundesweit ersparen wir uns an dieser Stelle.
** Dass der Sozialleistungssatz für Asylsuchende verfassungswidrig und zu niedrig ist, muss an dieser Stelle nicht besprochen werden. Hier aber eine Arbeitshilfe, die das erklärt und zeigt, was zu tun ist.
Wie immer: Danke an Bildwerk Rostock für das Bild!