10 Jahre ist der „Sommer der Migration“ her. Es mehren sich die Titelstories, Talkshow-Interviews und Jahrestagsveranstaltungen. Auch die Geburtstagsfeier von Rostock hilft steht in diesem Kontext.
An dieser Stelle an alle Aktiven und Engagierten bei Rostock hilft in den letzten 10 Jahren kein einfaches Happy Birthday, sondern ein lautes:
1 – 2 – 3 – 4 – Refugees are welcome here!
5 – 6 – 7 – 8 – Nazis werden platt gemacht!
9 – 10 – Widerstand muss weitergeh‘n!
„Der Sommer der Migration“ erscheint im bundesdeutschen Diskurs gern als ein punktuelles Ereignis, wie ein Bruch mit allem bisher da gewesenen. Meist wird dieser Bruch bei Mama Merkels Entscheidung Ende August verortet, die Flüchtenden auf der Balkanroute nicht niederzuschießen (wie es wenig später Frauke Petry forderte), sondern die Grenzen vergleichsweise offen zu lassen.
Wie so oft verdeckt diese Erzählung vom großen geschichtsprägenden Einzelereignis soziale Kämpfe und Akteur:innen an der Basis. Wir wollen diese Kämpfe hier heute in Erinnerung rufen.
Dem Sommer der Migration vorausgegangen waren 3 Jahre der Proteste von Geflüchteten in ganz Deutschland für ihre Rechte und die Rechte derjenigen, die nach ihnen kommen sollten. 2012 wählte Mohammad Rahsepar in Würzburg den Freitod, nachdem ihn das rassistische Asylsystem in die Depression getrieben hatte. Seine Freund:innen und Genoss:innen wählten den Protest als Antwort auf seinen Tod. Es folgten die Refugee Tent Actions in vielen deutschen Städten, ein Marsch nach Berlin und die zwei Jahre dauernde Besetzung des O-Platz dort. Geflüchtete aus vielen Städten schlossen sich an. Zumindest im bundesweiten Diskurs tauchte die Perspektive der Flüchtenden auf einmal auf und benannte transnationale und kolonial geprägte Zusammenhänge: „We are here, because you were (and still are) there!“.
Im Mai 2015 tourte, ausgehend von Aktivist:innen vom O-Platz, die Refugees Bus Tour durch die Republik. Zu Beginn ihrer Tour kamen sie in Güstrow und Rostock vorbei. In der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns war mangels Berichterstattung wahrlich wenig von den Refugee Protesten in den Großstädten angekommen. Umso mehr inspirierte die Vernetzung mit den Aktivist:innen Refugees aus Güstrow. Wenige Wochen später organisierten sie eine Kundgebung mit der wunderbaren Forderung: „Wir wollen Frieden und Glück„. Federführend waren Aktivist:innen aus Eritrea. Sie prangerten den täglichen Rassismus in Güstrow an, die Bedrohung durch Faschos und die respektlose Behandlung in der Ausländerbehörde. Sie knüpften damit an jahrzehntelange Forderungen von geflüchteten Aktivist:innen an, die gegen den Rassismus des deutschen Asylsystems für Gleichstellung kämpften.
Die Erfolge, die das Refugee Movement in diesen bewegten Jahren erringen konnte, waren brüchig. Der Staat besann sich 2015 schnell auf sein „teile und herrsche“. Die „schlechten“ Flüchtlinge, als solche in den Debatten der Vorjahre vor allem Rom:nja aus den Balkanstaaten markiert worden waren, erhielten ihr Gegenstück, die „guten“ Flüchtlinge, die „echten“. Asylrechtliche Zugeständnisse, vorrangig für Schutzsuchende aus Syrien, wurden mit Abschreckung und Abschottung für andere Gruppen verbunden, vor allem aus sog. „Sicheren Herkunftsländern“ und den nordafrikanischen Staaten. Aber beispielsweise auch für Menschen aus Afghanistan, wo die Taliban bereits voll dabei waren, ihre Machtübernahme vorzubereiten.
Die letzten 10 Jahre waren daher geprägt von asylpolitischen Kämpfen, die eine lange Kontinuität haben. Gegen den immer weiter nach rechts driftenden Diskurs, gegen stetige Asylgesetzverschärfungen, gegen die Zusammenarbeit deutscher Behörden mit autoritären Regimen wie Putin in Russland, wie der Afewerki-Diktatur in Eritrea, wie dem Assad-Regime in Syrien oder den Taliban in Afghanistan. Es gibt viele gute Gründe auf die letzten 10 Jahre vor allem als Jahre der Abwehrkämpfe zurückzublicken.
Doch das waren sie nicht nur.
„Wir wollen Frieden und Glück“ war die Vision der Refugees in Güstrow.
Mit der Sehnsucht nach Freiheit und Würde sind hunderttausende Menschen aus Syrien 2015 nach Deutschland gekommen.
Mit „Jin Jiyan Azadi“ im Herzen und handfester Erfahrung im Kampf gegen faschistoide Islamisten kamen kurdische Genoss:innen.
Aktivist:innen aus Eritrea haben in den letzten Jahren erfolgreiche militante Proteste auf deutschen Straßen durchgeführt, gegen Propagandaveranstaltungen des Afewerki-Regimes in westdeutschen Großstädten.
10 Jahre „Sommer der Migration“ sind auch 30 Jahre Kampf für Gleichberechtigung im vereinigten Deutschland, 50 Jahre Kampf gegen Duldungsstatus und Abschiebung. Es sind 45 Jahre Kampf gegen die Kollaboration mit dem Mullahregime und ein erneutes Aufbäumen gegen das Taliban-Regime. Diese 10 Jahre sind so Vieles, weil wir so viele sind.
Unsere internationale Solidarität gilt all jenen, die sich überall auf der Welt für Freiheit und Demokratie engagieren.
Sie gilt dem Kampf gegen den tief verwurzelten Rassismus in Deutschland, der Asylsuchende entrechtet und zur Kollaboration mit grausamen Regimen zwingt.
Unsere Kämpfe sind verbunden.
We’ll come United.
Wir wollen Frieden und Glück.
Titelbild: Von Kombinat Fortschritt