Ihr habt es vielleicht in Social Media mitbekommen: Letzten Freitag hat die Ausländerbehörde Neubrandenburg unseren Freund Sami in Abschiebebhaft gesteckt und wollte ihn allen ernstes in den Iran abschieben. Glücklicherweise hatte der Landtag MV am selben Tag beschlossen, dass Abschiebungen in den Iran ausgesetzt werden.
Hier in Greifswald sitzt das Verwaltungsgericht, das für die Asylverfahren von Iraner:innen, sowie das Oberverwaltungsgericht, das für alle Asylverfahren in MV, zuständig ist. Wir wollen deswegen hier in Greifswald heute darüber sprechen, wie es dazu kommen konnte, dass Sami – ein schwuler Christ, dem im Iran die Hinrichtung droht – überhaupt abgeschoben werden soll.
Im deutschen Bürokratie-Apparat wird gern die Verantwortung von A nach B nach Z geschoben. Das BAMF hat Samis Asylantrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Greifswald hat diese Ablehnung bestätigt. Also organisiert die Ausländerbehörde die Abschiebung. Wichtig ist zu wissen: Asylverfahren decken nicht immer die Wahrheit auf, auch wenn das die Behauptung des BAMF ist. Die Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte sind keineswegs immer gerecht und richtig. Sie sind oft realitätsfern und teilweise schockierend.
Und darüber möchten wir heute sprechen. Denn es ist gut, dass MV einen Abschiebestopp in den Iran beschlossen hat und dass sich auch abzeichnet, dass dies auf Bundesebene ebenso geschehen wird. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Realität im Iran war schon vor dem 16. September tödlich und grausam. Doch BAMF, Gerichte und Ausländerbehörden haben absurde und menschenverachtende Begründungen, um Abschiebungen dorthin trotzdem seit Jahren zu rechtfertigen und in der letzten Zeit sogar zu intensivieren. Wir wollen euch einige Beispiele nennen.
Politische Verfahren von Genoss:innen
Wir kennen das Anhörungsprotokoll eines Freundes, der im Iran politisch aktiv war. In der Anhörung schildert er seine Aktivitäten und ersucht um Schutz in Deutschland. Ihm drohen im Iran Gefängnis, Folter und wahrscheinlich sogar die Todesstrafe. Das BAMF fragte ihn allen Ernstes: Wenn es lebensgefährlich ist, sich gegen das Regime zu engagieren, warum hast du es dann gemacht?
Frei nach dem Motto: Selber Schuld, wenn sie dich ermorden wollen.
Man stelle sich vor, wir würden diese Logik auf die aktuellen Proteste übertragen.
Ein anderer Freund war hier in Mecklenburg-Vorpommern nach seiner Anhörung – in der das BAMF ihm nicht geglaubt hat, dass er politisch aktiv war – weiter tätig. Hat Demos organisiert, sein Bild war mit regimekritischen Äußerungen in deutschen und exilpolitischen Zeitungen. Das Verwaltungsgericht Greifswald sagt dazu schlichtweg: Proteste in Mecklenburg-Vorpommern interessieren doch niemanden im Iran. Eine lebensgefährliche Fehleinschätzung. Wir wissen von Freund:innen, dass sich Regimeanhänger:innen hier aufhalten, teilweise auch wieder in den Iran zurückreisen und Informationen sammeln.
Die Entscheidungen in Asylverfahren sind extrem subjektiv. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit gibt es keine objektiven Kriterien. Es obliegt immer der persönlichen Einschätzung der Anhörenden und des:der Richter:in. Diese sind oft genug falsch und potentiell tödlich. Zudem sind sie stets eingebunden in die politische Bewertung der Lage in betreffenden Land, die in den letzten Jahren von konservativen CDU/CSU-Ministerien geprägt war. Und so kommt es, dass viele Menschen zu Unrecht Ablehnungen durch das BAMF und das Ober-/Verwaltungsgericht erhalten und ihnen dann die Abschiebung droht.
Institutionelle patriachale Gewalt
Das folgende Thema ist besonders mit Blick auf die aktuellen Proteste im Iran wichtig. Denn auch wenn seit zwei Wochen dort die Straßen brennen und, ausgehend vom gut organisierten kurdischen Teil des Landes, hunderttausende Frauen, Jugendliche, Genoss:innen und Aktivist:innen am Sturz des Regimes arbeiten – es ist keineswegs selbstverständlich, dass deutsche Institutionen die Emanzipation der Frauen aus patriarchalen Gewaltverhältnissen unterstützen.
Hier in Greifswald am Verwaltungsgericht ist es seit Jahren Praxis jungen Frauen zuzumuten, sich im Iran dem Hijabzwang zu unterwerfen. Die entsprechende Formulierung in den Entscheidungen lautet: Frauen, die im Iran aufgewachsen sind, sind „aus diesem Grunde in der Lage sich im Falle einer Rückkehr sich den dort geltenden Vorschriften anzupassen und sich mit den in der Praxis tief verwurzelten patriarchalischen und sozialen Barrieren zu Recht zu finden.“
Verhaftungen durch die Repressionsorgane. Hijabzwang. Zwangsverheiratung. Vergewaltigung in der Ehe. Kein Recht auf Scheidung. Kein Recht auf Erbe und Eigentum. Jeden Tag angegrabscht, belästigt, beleidigt werden. Patriarchalische und soziale Barrieren, mit denen sich Frauen abfinden müssen, weil sie es ihr Leben lang kennen.
Ich könnte kotzen. Es ist widerwärtig. Es ist frauenverachtend. Es ist kulturalisierend und rassistisch.
So etwas sagt das Oberverwaltungsgericht Greifswald, das mit Asylverfahren aus Iran befasst ist. Es zeigt uns deutlich, wie tief patriarchale Denkweisen und institutionelle patriarchale Gewalt auch in unserer Gesellschaft verankert sind.
Wir sind heute hier in Solidarität mit den Protesten im Iran. Wir unterstützen den Kampf der Menschen dort für ein Leben in Freiheit und Würde. Wir nutzen aber auch den Anlass diejenigen Institutionen anzuklagen, die aus rassistischen Gründen Menschen in unterdrückerische Verhältnisse zurück zwingen. Der institutionelle Rassismus von BAMF, Gerichten und Ausländebehörden betrifft nicht nur Frauen aus dem Iran. Er trifft auch Genoss:innen, LGBTIQ und Konvertit:innen wie unseren eingangs erwähnten Freund Sami, Belutsch:innen, Atheist:innen und viele Weitere. Der institutionelle Rassismus trifft auch Menschen aus Kurdistan, Afghanistan, Syrien, Mauretanien, Gambia, Marokko, Ukraine, Russland, Thailand, […].
Unsere Kämpfe sind verbunden. Die jungen sozialen Bewegungen für Freiheit, Demokratie und Würde auf der ganzen Welt werden nicht schweigen.
Lasst uns hier vor Ort Genoss:innen und Mitstreiter:innen im Asylverfahren unterstützen, damit sie diese Kämpfe von hier weiterführen können. Lasst uns Wege finden und Strukturen aufbauen, um die patriarchalen Verhaltnisse auf der ganzen Welt gemeinsam ins Wanken zu bringen.
Jin. Jian. Azadi.