Am 19. Februar haben in Rostock und Greifswald Gedenkkundgebungen für die Opfer des rassistischen Terroranschlags in Hanau stattgefunden. Hier könnt ihr unsere Redebeiträge lesen.
In Greifswald
haben wir einen Ausschnitt aus "300km entfernt und doch so nah" von Yohale Ahlert vorgelesen. Der Text ist aus dem Sammelband "Texte nach Hanau", in dem 63 Beiträge das (Er)Leben in Deutschland nach dem Anschlag beschreiben.
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Wieso musste es soweit kommen? Wie ein Schatten verfolgt mich Rassismus mein Leben lang und trotzdem will es niemand sehen. Die Angst in mir steigt und steigt, nimmt mir manchmal die Luft zum Atmen und umschließt mein Herz, engt es ein sodass es nicht mehr voller Kraft schlagen kann und ich immer schwächer werde.
Es tut weh. Dieser Schmerz frisst sich durch meinen Körper und lässt mich nicht mehr schlafen. Stundenlang liege ich wach und male mir in allen Farben eine andere Welt, eine, in der ich auch sein darf.
Schmerz verbindet, dich und mich. Man sagt gemeinsam sei man stark und es stimmt. Zusammenhalt, Zuhören. Das ist, was mir hilft. Meine Augen zu schließen und endlich zu träumen.
Und ein Recht auf Träumen haben wir.
Von Yohale Ahlert
In Rostock haben wir diesen Redebeitrag gehalten:
Ferhat Unvar
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Vili Viorel Păun
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin
Say their names, immer und laut. Für das Leben und gegen die Angst! Aber was bedeutet das 5 Jahre nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau und heute eine Woche vor den Wahlen?
Was bedeutet das, wenn Behörden in der Aufklärung rassistischer Anschläge versagen und nur mit leeren Ausreden kommen?
Was bedeutet das, wenn es keine Konsequenzen für rechte Gewalt und rechtes Morden gibt?
Was bedeutet das, wenn wir seit Jahren "No Borders" fordern und jetzt um eine Brandmauer betteln müssen?
Das alles ist blanker Hohn in die Gesichter aller Ermordeten und Betroffenen von rechter Gewalt!
Ich bin wütend! Und möchte nicht in Trauer und Hilflosigeit erstarren!
Letzte Woche wurde ein Freund von mir nach 30 Jahren in Deutschland abgeschoben. Er wollte einfach nur seine Papiere verlängern, aber unter der Regierung von CDU, SPD und den Grünen wurde er verhaftet und zum Flughafen gebracht. Das alles keine 50km entfernt von Hanau. Das macht mich alles unglaublich wütend und diese Wut muss wohin:
Wir wissen auf den Staat ist kein Verlass!! Und auch auf die bürgerliche Mitte ist kein Verlass, die im wahrsten Sinne des Wortes angefleht werden muss, nicht den rechten Dreck zu wählen. Parteien bedienen bewusst rechte Argumentationen, um mit Rassismus und Verachtung für arme Menschen und alle Menschen, die nicht ihrer Scheiß-Norm entsprechen, einen Wahlkampf zu gewinnen. Anstatt sich klar gegen Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit zu positionieren!
Gemeinsam und solidarisch bedeutet, sich für ein lebenswertes Leben für alle einzusetzen. Den Staat und die Behörden, die keine Verantwortung übernehmen, zu hinterfragen und das Unrecht nicht ungehört zu lassen! Damit wir... alle ohne Angst leben können, wohnen können, rausgehen können ohne Gefahr zu laufen, angegriffen zu werden.
Wir können uns alle dafür entscheiden und gemeinsam dafür kämpfen, denn sonst stehe ich hier und frage mich, was "Erinnern heißt verändern" heute noch bedeutet. Es bedeutet sich gegen diskriminierende Praxen wie die Bezahlkarte zu stellen und Freund*innen, Nachbar*innen und Genoss*innen den ausschließenden Konsequenzen gegenüber nicht ausgeliefert zu lassen. Es bedeutet niemanden alleine zu lassen, wenn der rechte Mob ihre Lebensentwürfe angreift. Es bedeutet, sich gegen jede Abschiebung und "Remigrations"-Propaganda zu stellen. Es bedeutet sich solidarisch zu zeigen, wenn Behörden, das Amt und die Polizei Unrecht begehen. Es bedeutet, soziale Missstände zu begreifen und zu bekämpfen anstatt Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen.
Es bedeutet, dass wir alle - jetzt - Verantwortung füreinander übernehmen müssen, damit eine gute Zukunft für uns alle möglich ist. Denn auf welches soziale Kollektiv ist Verlass, wenn ein Viertel der Bevölkerung Faschisten wählt und die demokratischen Parteien dem nichts entgegen zu setzen haben oder wollen. Wir müssen unsere Bündnisse ausbauen, miteinander diskutieren, aufeinander aufpassen und nicht aufgeben!
Say their names, immer und laut. Für das Leben und gegen die Angst!
Bild: Bildwerk Rostock (flickr)