„Frauen sollten frei und glücklich sein, wie die Vögel“, ein Sprichwort, das wir gestern von einer Frau aus dem Iran gelernt haben. Genau mit diesem Anspruch sind wir am 6. März nach Horst gefahren, um mit den Frauen/FLINTA, die dort untergebracht sind, über Selbstbestimmung, Empowerment und Freiheit zu sprechen. Lest hier mehr von der Kundgebung.
Es ist also die erste Kundgebung in Zeiten des Krieges in Horst. Die erste? Nein, denn Krieg herrscht seit Jahren. So trafen wir gestern Frauen aus Kriegsgebieten wie Afghanistan und aus dem Irak, aus Ländern in denen islamistische Gewalt tobt, wie Nigeria, aber auch aus autokratischen Regimen wie der Türkei und Syrien. Sie werden nicht mehr lange dort sein, denn in den nächsten Tagen sollen alle aus dem Camp, mit Ausnahme der Ukrainer:innen, „verteilt*“ werden, in das zweite Aufnahmelager Sternbuchholz und in die Kommunen, von Bad Doberan bis Anklam**.
Horst wird also allem Anschein nach das neue Ankommenslager für Ukrainer:innen in MV. Ein Grund für alle, die sich solidarisch mit den Geflüchteten von dort zeigen, den folgenden Artikel aufmerksam zu lesen. Gleichzeitig ein Aufruf von unserer Seite: Geht nach Horst, und lasst euch nicht von den eingefahrenen Strukturen dort abschrecken. Schafft Solidarität und zivilgesellschaftliche Unterstützung an einem Ort, der beides bitter nötig hat.
Das Aufnahmelager Horst ist ein direktes Ergebnis des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen, als man dachte man müsse nur die Asylsuchenden vor den Nazis verstecken, um Rassismus zu „bekämpfen“. Am Lager Horst gibt es seit Jahren anhaltende Kritik, die auch gestern wieder deutlich wurde. In einem Empowerment-Workshop mit Women in Exile teilten Bewohner:innen des Aufnahmelagers ihre Sorgen und Kritik. Manche von ihnen lebten seit mehreren Monaten in Horst, manche seit wenigen Tagen, einige leben bereits anderswo und besuchten die Kundgebung, um Hoffnung und Mut zu teilen.
Kritikpunkte, die im Workshop zur Sprache kamen
Zugang zu medizinischer Versorgung
Eine Frau, die erst vor wenigen Tagen aus der Ukraine hier ankam, schilderte, dass sie seit 3 Tagen versucht für ihr Kleinkind mit hohem Fieber einen Termin bei einem Arzt zu bekommen. Vergeblich. Andere Frauen erzählten, dass es nicht erlaubt ist, beim medizinischen Dienst mit eine:r befreundeten Übersetzer:in vorzusprechen. Ein:e Übersetzer:in für Termine dort wird nach wie vor nicht seitens des Landesamt und der Betreibenden gestellt.
Ältere Berichte zur medizinischen Versorgung in Horst: Versorgung schwangerer Frauen, Belastung durch Sammellager, schlechte Versorgung
Leistungskürzungen
Im Camp gibt es, wie in nahezu allen Unterbringungen für Asylsuchende das System der „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ - ein schlimmes Wording vom Seehofer-Heimatministerium, das dazu dient die Realität zu verschleiern: Es handelt sich um Zwangs-Arbeitsmaßnahmen, in deren Rahmen die Bewohner:innen für 80 Cent pro Stunde Klos und Duschen putzen müssen, das Gelände aufräumen und in der Küche aushelfen. Wer sich weigert, der:dem werden die Sozialleistungen gekürzt.
Älterer Bericht zu Leistungskürzungen.
Diskriminierung.
Zum wiederholten Male berichteten Frauen/FLINTA, dass innerhalb des Camps seitens derer, die dort in den verschiedensten Bereichen arbeiten, rassistische Sympathien herrschen. Schwarze Bewohnerinnen werden anders, schlechter, behandelt als weiße. Auch herrschen Sympathien und Bevorzugung für diejenigen, die etwas deutsch sprechen.
Informelle Sanktionen.
Mehrere Frauen schilderten, dass sie sich nicht trauen, Kritik innerhalb der Einrichtung offen zu äußern. Wer sich zu oft beschwert, wird informell sanktioniert. Fragen werden nicht mehr beantwortet oder Zimmerinspektionen nehmen zu. Ein ehemaliger Bewohner schilderte uns, dass insbesondere das o.g. Kloputzen immer wieder als informelle Sanktion eingesetzt wird, schlichtweg weil es die ekelhafteste Aufgabe auf dem Gelände ist.
Ein Gefühl der Unsicherheit.
Das Leben in Sammellagern ist für Frauen/FLINTA oft von Angst und eingeschränktem Bewegungsraum geprägt, insbesondere bei alleinreisenden Frauen. Wir haben in der Vergangenheit bereits von Übergriffen, z.B. in den Duschräumen gehört. Wir wissen auch, dass manche Frauen ihre Ehemänner als Aufpasser vor die Duschen stellen, um sich sicherer zu fühlen. Gestern schilderten Frauen/FLINTA ihre Unsicherheit in Bezug auf die anstehenden „Verteilungen*“ in andere Sammellager. Denn hier achtet das Landesamt keineswegs darauf Menschen, die die gleiche Sprache sprechen, oder die befreundet sind, in dieselben Orte zu verteilen. Im neuen Camp ist man also erstmal wieder auf sich allein gestellt.
Im Rahmen des Workshops überlegten die Frauen/FLINTA Strategien, wie sie sich innerhalb dieser Lagerlogiken gegenseitig unterstützen können. Ein wichtiges Ergebnis des Workshops war es, die Vereinzelung zu durchbrechen, die das System den Betroffenen durch Bürokratie und Repression auferlegt. „Solidarity, Equality, Unity“ lagen in der Erkenntnis, dass die Probleme in Horst nicht einzelne Frauen/FLINTA treffen, sondern alle.
Leave No One Behind
Die Kundgebung war ein wichtiger und guter Anlass feministische und antirassistische Gruppen und Unterstützer:innen aus verschiedenen Städten in Horst zusammenzubringen. Die Kritik am Lager Horst hält seit Jahrzehnten an. Als solidarische Unterstützer:innen müssen wir uns weiter der großen Aufgabe annehmen, dieses strukturell absolut ungeeignete Lager zu schließen. Den Kampf um Gleichberechtigung und Freiheit können wir dabei immer nur gemeinsam mit den Betroffenen führen.
Wir hoffen, dass die zunehmende Soldiarität durch die Unterstützung für ukrainische Geflüchtete nicht nur kurzfristig Empathie bringt, sondern, dass sich in der solidarischen Bewegung eine breite antirassistische Haltung gegen rassistische Gesetzgebung und Praktiken entwickelt. Denn das System trifft alle, unabhängig von Fluchtgründen, Geschlecht oder Herkunftsland.
Außerdem
- Unsere Forderungen in Solidarität mit geflüchteten Frauen/FLINTA
- aktuelle Informationen für ukrainische Geflüchtete
- Kundgebungstermine von Pro Bleiberecht 2022
- Mahnwachentermine von Rostock hilft e.V. & friends