Am 7. Oktober hat die Ausländerbehörde Neubrandenburg Sami aus dem Iran in den Abschiebeknast in Glückstadt gesteckt. Was soll der Mist? Wir erklären ein paar Hintergrundinfos.
Sami ist frei! Infos hier.
Wer ist Sami?
Sami ist ein Freund von uns. Wir haben ihn bei einer unserer Mahnwachen in Horst kennengelernt. Er ist ein freundlicher, offener Mensch, der sich immer auch solidarisch für die Belange seiner Mitbewohner:innen und Freund:innen eingesetzt hat. Er lebte in einer Geflüchtetenunterkunft im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Sami besuchte uns und seinen Freund oft in Rostock, sodass wir seit mittlerweile mehr als zwei Jahren in Kontakt sind.
Sami kann nicht in den Iran zurückgehen, weil ihm dort die Hinrichtung droht. Er hat große Angst. Das erste, was er uns aus dem Knast geschrieben hat, war: „I want to live“ – nichts könnte deutlicher sagen, warum es wichtig ist, dass wir (und ihr) uns für ihn einsetzen.
Wir posten euch auf unserem Instagram- und Twitterkanal Neuigkeiten und Aufrufe. Wir bitten euch, das in den nächsten Tagen und vielleicht Wochen im Blick zu behalten und Sami vor der Abschiebung und vor dem islamistischen Regime zu retten.
Warum jemanden abschieben, der Schutz braucht?
Im deutschen Bürokratie-Apparat wird gern die Verantwortung von A nach B nach Z geschoben. Das BAMF hat Samis Asylantrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Greifswald hat diese Ablehnung bestätigt. Also organisiert die Ausländerbehörde die Abschiebung. Für alle diese Beteiligten ist es derzeit egal, wie Samis Situation im Iran tatsächlich aussehen wird, denn die Ablehnung des BAMF ist das, was für die Behörden gerade zählt.
Wichtig ist zu wissen: Asylverfahren decken nicht immer die Wahrheit auf, auch wenn das die Behauptung des BAMF ist. Grob gesagt läuft ein Asylverfahren so: Jemand hat an 1 Tag ein paar Stunden Zeit, seine:ihre Geschichte zu erzählen. Das BAMF zweifelt diese Geschichte grundsätzlich mit einer ziemlich respektlosen und oft entwürdigenden Fragetechnik an. Viele Asylsuchende schildern es wie eine Erfahrung von Gaslighting. Viele Menschen, die so eine Anhörung beim BAMF haben, haben schreckliche Dinge gesehen und erlebt. Da wo sie herkommen, auf den Fluchtwegen und in den Flüchtlingslagern. Trauma und psychische Belastungen spielen eine große Rolle. Im Asylverfahren ist formell gesehen diese Anhörung der einzige Ort, wo man dem BAMF Informationen geben kann. Infos, die man danach einreicht oder im Gerichtsverfahren liefert, werden meistens als unglaubwürdig eingestuft („übersteigert“, „asyltaktisch“).
Die Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte sind keineswegs immer gerecht und richtig. Sie sind oft genug realitätsfern und teilweise schockierend. Wir kennen ein Anhörungsprotokoll, in denen das BAMF jemandem vorhält: Wenn es lebensgefährlich ist, sich gegen das Regime zu engagieren, warum hast du es dann gemacht? Wir kennen Gerichtsentscheidungen, in denen das VG Greifswald allen ernstes jungen Frauen sagt, dass sie sich eben an die Lebensverhältnisse im Iran und die „patriarchalen Barrieren“ (#hijabzwang) anpassen müssen.
Sami ist konvertierter Christ. Im Iran verhängt das islamistische Regime Knast und Folter bis hin zur Todesstrafe für Menschen, die sich vom islamischen Glauben abwenden („Apostasie“). Atheist:innen werden genauso verfolgt wie Konvertit:innen. In den entsprechenden Asylverfahren müssen Konvertit:innen das BAMF bzw. später das Gericht davon überzeugen, dass sie wirklich Atheist:innen/Christ:innen/Anderes sind und vor allem, dass sie das im Iran nicht heimlich sein können. Es geht deswegen oft darum, ob schon jemand im Iran weiß, dass sie keine Muslime:a mehr sind.
In Samis Fall hat weder das BAMF noch das Verwaltungsgericht Greifswald ihm geglaubt, dass er Christ ist. Für die Frage der Glaubwürdigkeit gibt es keine objektiven Kriterien. Eine Taufe ist kein Beweis an sich. Regelmäßige Gemeindebesuche sind kein Beweis an sich. Dass jemand die Bibel gut kennt, ist kein Beweis. Es obliegt immer der persönlichen Einschätzung der Anhörenden und des:der Richter:in. Die in Samis Fall falsch und potentiell tödlich war.
Sami ist außerdem schwul. Lesben und Schwulen* droht im Iran die Todesstrafe. Vor Kurzem haben die Fälle von Zahra Sedighi-Hamadani und Elham Choobdar weltweit für Aufsehen gesorgt, die im September vom Regime zum Tode verurteilt wurden. Ein Todesurteil ist immer verbunden mit Knast. Die Knäste im Iran bedeuten immer auch Folter und schwere Gewalt.
Asylverfahren von LGBTIQ+
An sich ist Verfolgung aufgrund von Homosexualität ein Grund jemandem einen Schutzstatus als Flüchtling in Deutschland zu geben. Dass Lesben und Schwule im Iran verfolgt werden, ist auch dem BAMF klar. Wie oben schon erwähnt, bekommt das BAMF aber nicht immer alles mit oder beurteilt Aussagen fälschlicherweise als unglaubwürdig.
Wer es gewohnt ist, die eigene Sexualität zu verstecken, schafft es vielleicht nicht, darüber in einer Anhörung mit zwei völlig Unbekannten (Anhörende:r vom BAMF & Dolmetscher:in) dieses Thema zu besprechen. Die Dolmetschenden sind meist aus den gleichen Ländern wie die Asylsuchenden, was das Vertrauen nicht gerade stärkt. Bis vor Kurzem bewertete das BAMF außerdem, ob jemand ihrer Meinung nach nicht einfach hiemlich schwul/lesbisch im Iran weiterleben könnte. Hinzu kommt, dass ein Outing im Asylverfahren für viele LGBTIQ+Geflüchtete nicht einfach ist. Wer sich outet, macht sich angreifbar. Die Anhörungen finden noch in den Erstaufnahmelagern statt. In den Sammellagern ist LGBTIQ-feindliche Gewalt bitterer Alltag. Man lebt mit Menschen aus den Ländern zusammen, aus denen man gerade geflohen ist. Sich nicht zu outen, kann das Leben retten.
So ging es auch Sami. Er war gerade dabei, sich auf einen zweiten Asylantrag (sog. Folgeantrag) vorzubereiten, in dem er beim BAMF Schutz wegen seiner Homosexualität beantragen wollte. Im ersten bisher abgelehnten Asylverfahren ging es nur um die Konversion zum Christentum.
In vielen Städten gibt es Support- und selbstorganisierte Gruppen von queeren Refugees. Wir sind derzeit dabei mit Gruppen in Hamburg und Schleswig-Holstein in Kontakt zu treten, um Sami noch besser bei seinem Folgeantrag unterstützen zu können.
Falls ihr LGBTIQ-Refugees kennt, die Support brauchen, findet ihr hier richtig gute Einstiegsinfos: www-queer-refugees.de. Ermutigt die Leute auch sich an den LSVD MV oder eine der queeren Organisationen in ganz MV zu wenden. Community stärkt den Rücken!
Warum Abschiebeknast in Glückstadt?
Sami wird nicht aus Mecklenburg-Vorpommern abgeschoben, sondern aus Glückstadt in Schleswig-Holstein (SH). Dort steht ein Abschiebeknast, den Hamburg, SH und MV zusammen betreiben. Er ist seit Sommer 2021 in Betrieb. Pro Bleiberecht ist im bundesländerübergreifenden Netzwerk „Glückstadt ohne Abschiebehaft“ aktiv. Wir möchten euch ermuntern: Macht da mit!
Mittlerweile gibt es eine Besuchsgruppe in Glückstadt. Hier bemühen sich ehrenamtlich engagierte Leute Menschen im Abschiebeknast zu unterstützen. Kontaktiert sie, wenn ihr jemanden kennt, der:die in Glückstadt eingeknastet wird.
In den letzten Jahren hat das Bundesinnenministerium unter der CDU/CSU ekelhafte rassistische Gesetzesverschärfungen gegen Asylsuchende und Migrant:innen vorangetrieben. Ein Bereich, in dem sie sehr umtriebig waren, war die Abschiebehaft. Sie haben die Kriterien für Abschiebehaft so erweitert, dass praktisch jede:r Asylsuchende:r darunter fällt. Sie haben den Bau von Abschiebeknästen vorangetrieben und sich sogar über ein Gerichtsurteil des EUGH hinweggesetzt und zwischendurch wieder Abschiebehäftlinge in JVAs untergebracht, zB in Neustrelitz.
Diese Politik ist wenigen Menschen bewusst. Was im Bereich Asyl und Abschiebung passiert, dringt oft nicht nach draußen. Sammellager und Abschiebeknäste – beides dient dazu die Betroffenen zu isolieren, damit man sie besser kontrollieren und abschieben kann. Wir sind froh, dass wir Sami zur Zeit mit allem, was uns einfällt, unterstützen können. Uns ist aber auch schmerzlich bewusst, wie viele Menschen mit den krassesten Geschichten täglich abgeschoben werden, ohne dass jemand ihre Namen kennt oder ihnen helfen kann. Jüngst gab es dazu das Beispiel des schwer kranken Ghanaers, den die Ausländerbehörde Rostock mit Medikamenten für 6 Monate im Gepäck in den Tod geschickt hat.
Das Problem heißt Rassismus. Abschiebehaft ist institutioneller Rassismus. Die Überarbeitung der Aufenthaltsgesetze seitens der neuen Bundesregierung steht lange aus. Abschiebehaft schnellstens komplett abzuschaffen, muss aus unserer Sicht dazu gehören – sowie weitere rassistische und populistische Gesetze, die CDU/CSU und SPD in den letzten Jahren durchgesetzt haben.
Abschiebungen in den Iran
Es finden insgesamt vergleichsweise wenige Abschiebungen in den Iran statt. Im ganzen Jahr 2021 wurden 28 Iraner:innen aus Deutschland in den Iran abgeschoben. Im ersten Halbjahr 2022 waren es allerdings schon 25, das zeigt, dass das SPD-Innenministerium die rassistische Abschiebepolitik der letzten Jahre fortführt und Abschiebungen intensiviert.
Aus Mecklenburg-Vorpommern wurde vor drei Jahren bereits eine Abschiebung einer Christin aus Torgelow in den Iran bekannt. Generell sind die Ausländerbehörden in MV als restriktiv einzuordnen. Ihnen überstellt war 14 Jahre lang Ex-Innenminister Lorenz Caffier – asylpolitisch bekannt für seine Nähe zu Horst Seehofer und privat bekannt für Waffenkauf im Umfeld des rechten Preppernetzwerks Nordkreuz.
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat am Freitag, wenige Stunden bevor Sami nach Glückstadt gebracht wurde, ein Abschiebemoratorium aus MV in den Iran beschlossen. Auf unsere Social Media Aktion von Samstag haben bereits einige Politiker:innen von SPD, Grünen und LINKEN reagiert, die wegen Samis Fall bei den Behörden nachhaken werden. Wir sind gespannt, was passiert. Die Erfahrung zeigt leider, dass man bei der Ausländerbehörde Neubrandenburg erstmal vom Schlimmsten ausgehen muss.