Abschiebung ist Mord! Stop it NOW!

Am 28. März erfuhren wir sehr kurzfristig von einer schlimmen Abschiebung nach Ghana. Wir haben dazu - bzw. dagegen - einen Social Media-Aufruf gestartet und auch danach noch ein paar Statement szum Thema aufgeschrieben.

Aufruf gegen die Abschiebung

Abschiebung ist Mord. Genau JETZT findet er statt. Ein Mann aus Ghana ist genau JETZT auf dem Weg von Rostock nach Hannover. Von dort soll er nach Ghana abgeschoben werden.

Der Mann ist chronisch krank. In Ghana wird er sich die entsprechenden Medikamente und Behandlung nicht leisten können. Das heißt: Er wird sterben.

Lest den Aufruf

Hintergrund zur Abschiebung

Von der Abschiebung berichtet hat @eike_fuehring (Twitter).

Julian Barlen, Generalsekretär der SPD Mv antwortete uns sehr zeitnah auf den Aufruf. Die Abschiebung hatte leider schon stattgefunden. Wir dokumentieren hier (in leicht gekürzter Form) unser ausführliches Statement zu der Sache, das wir an Julian Barlen und Reem Alabali-Radovan geschickt haben:

"Guten Tag Herr Barlen,
guten Tag Frau Alabali-Radovan,
wir haben von der Abschiebung aus Rostock erst erfahren, als der Betroffene bereits auf dem Weg nach Hannover zum Flughafen war. Unser akutes Engagement konzentrierte sich daher auf den kurzfristigen Social-Media-Aufruf, sowie auf Kontakt zu Unterstützungsgruppen in Hannover. 
Von den Unterstützer:innen aus Hannover haben wir erfahren, dass am 26. März 16 Menschen, darunter mindestens 3 Kinder abgeschoben wurden. Der Rostocker Betroffene wurde im Rollstuhl in den Flughafenbus geschoben.
Aktuell versuchen wir den Betroffenen wieder zu erreichen, um ihm Unterstützung vor Ort anzubieten. Ihm wurde vor der Abschiebung von der Polizei das Handy abgenommen. Es ist unklar, ob er es wiederbekommen hat. Die Erkrankung des Mannes ist schwerwiegend, chronisch und behandlungsbedürftig.
Wir möchten gerne erklärend noch ein paar allgemeine Hinweise zu Problemen im Asylverfahren bundesweit und speziell in Mecklenburg-Vorpommern hinzufügen, die aus unserer Sicht zu so einer Abschiebung führen. Wir gehen davon aus, dass diese mörderische Abschiebung kein Einzelfall ist. Sie ist Ausdruck grausamer Asypolitiken der letzten Jahre, die v.a. unter Horst Seehofer voran getrieben wurden.
Wir hoffen, dass sich hier in der kommenden Legislaturperiode auf Bundes- aber auch Landesebene grundlegend etwas ändern wird. Sehr gern kommen wir dazu bei Interesse auch persönlich ins Gespräch mit Ihnen.

Adressat:innen des gestrigen Aufrufs

Wir haben uns mit dem gestrigen Social-Media-Aufruf an Sie als politische Vertreter:innen gewandt, weil wir davon ausgehen, dass diese Abschiebung wie jede andere zuallererst eine politische Entscheidung war und ist. In keinem Rechtsbereich finden so viele Gesetzesänderungen (= in den vergangenen Jahren Verschärfungen) statt wie im Aufenthalts- und Asylrecht. Diese Verschärfungen waren in den vergangenen Jahren zumeist absurde, populistisch geprägte Schein"lösungen" seitens des Seehofer-Ministeriums für vorher mittels rassistischer Hetze konstruierte Probleme. Das Innenministerium MV und das Landesamt für innere Verwaltung folgten dabei unter Lorenz Caffier einer kaum abweichenden reaktionären Doktrin.
Da Abschiebungen wie die gestrige gesetzlich legitimiert sind (s.u.), kennen wir die Antworten von Behörden, Ämtern und Polizist:innen: "Mir sind die Hände gebunden", "Die Abschiebung wurde vom Landesamt angeordnet, wir setzen nur um", "Ein Gericht hat entschieden", "Das BAMF hat abgelehnt", "Wir kommen unserer Pflicht nach"* usw. Am Ende will niemand die Verantwortung gehabt haben. 
In der Summe tragen wir die Verantwortung alle, weil wir es zulassen, dass eine solche Abschiebung in unserer Gesellschaft - und damit mittelfristig die Tötung eines Menschen - möglich ist. Im Problem liegt die Lösung: Da Abschiebungen ihrem Wesen nach politische Entscheidungen sind, sind sie auch veränderbar. Im Folgenden einige Hinweise darauf, was sich ändern müsste.

Zugang zu Informationen

In Ihrer Antwort an uns gehen Sie davon aus, dass Unterstützungsstrukturen von dem Fall hätten wissen "müssen". Dass jeder Mensch umfängliche Informationen zum Asylverfahren und danebenstehenden Perspektiven erhält, wäre ein wünschenswerter Zustand. Es ist nicht ansatzweise Realität und schon gar nicht im Flächenland MV. 
Der Flüchtlingsrat MV berät unseres Wissens nach im gesamten Bundesland mit 2 Personalstellen Menschen mit Aufenthaltsgestattung und Duldung. Das ist nicht ansatzweise ausreichend. Allein schon, wenn Sie sich Fahrtzeiten verdeutlichen, wird klar, dass es sich um einen Tropfen auf den heißen Stein handelt. 
Die Härtefallkomission prüft nicht von selbst, sondern nach Eingabe durch die Betroffenen oder ggf. durch Unterstützer:innen/Anwält:innen. Dazu müssen die Betroffenen ersteinmal von dieser Struktur wissen.
Es gibt vielfältige Gründe, die Asylsuchende von Informationen fernhalten können. Die Gründe können in den Lebensumständen liegen: Analphabetismus oder fehlende Kompetenzen sich mit bürokratischen Verfahren zu befassen. Unzureichende Mobilität wegen abgelegenen Sammelunterbringungen. Fehlendes Geld (Aslybewerberleistungsgeld liegt etwa 30% unter dem Existenzminumum). Oder systematische Isolation: Menschen aus sog. "Sicheren Herkunftsländern" (zu denen Ghana zählt) werden noch länger als Andere in den Aufnahmelagern/AnkER-Zentren/"ankerähnliche Einrichtungen" von Unterstützung und Beratung isoliert. Dort findet eine sog. "unabhängige stattliche" (sic!) Asylverfahrensberatung durch das BAMF statt. Diese Beratung sieht zwar eine frühzeitige "Rückkehrberatung" vor, aber eben keine Aufklärung über Bleibeperspektiven und -rechte abseits des Asylverfahrens. 
Zudem möchten wir deutlich sagen: Wenn Asylsuchende anwaltlich vertreten sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sie tatsächlich über das Verfahren aufgeklärt und beraten werden. Es bedeutet in den seltensten Fällen, dass Anwält:innen erschöpfend alle Möglichkeiten darlegen und die Betroffenen dann selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Es ist nicht die Regel, dass Anwält:innen für Aufenthaltsrecht in MV ausführliche Beratungsgespräche machen, Anhörungsvorbereitungen oder Vorbereitungen der Gerichtstermine mit den Mandant:innen durchführen. Das mag an schwerer Überlastung liegen und ist dennoch einer der bitteren Gründe, warum das Asylsystem nach dem Maßstab "gerecht" gemessen nicht funktioniert.

Medizinische Versorgung und Abschiebungen

In den vergangenen Jahren gab es mehrfach Verschärfungen der Asylgesetze. Darunter war auch eine Verschärfung der Voraussetzungen für medizinische Abschiebehindernisse. Diese wurden vom CSU-Innenministerium so gestaltet, dass sie schon faktisch auf kaum jemanden mehr zutreffen, in der Praxis aber auch kaum nachgewiesen werden können.
Im Kern können medizinische Abschiebehindernisse nur noch geltend gemacht werden, wenn nirgendwo im Zielland eine entsprechende Behandlung angeboten wird. Was natürlich selten der Fall ist, irgendwo gibt es meist ein gut ausgestattetes Krankenhaus. Die Frage, ob diese Behandlung dann auch zugänglich (finanziell, aber auch hinsichtlich Mobilität) ist, ist nachrangig. Die Verarmung der Betroffenen und ein Leben am Rande der Existenz wird gesetzlich hingenommen.
Es hat sich die Praxis etabliert, dass Erkrankten bei der Abschiebung Medikamente für einen bestimmten Zeitraum mitgegeben werden, so auch bei der gestrigen Abschiebung. Die Verantwortung für das, was danach passiert, wird externalisiert. "Aus den Augen, aus dem Sinn" ist das grausame Prinzip, das CDU/CSU hier etabliert haben. 

Sog. "Sichere Herkunftsländer"

Ghana ist ein "Sicheres Herkunftsland". Menschen aus diesen Ländern (Balkanstaaten und Ghana und Senegal) erleiden per Gesetz einige gewichtige Diskriminierungen: Sie sind im Asylverfahren systematisch schlechter gestellt, mittels der sog. "Beweislastumkehr". Sie müssen beweisen, dass sie Gefahr ausgesetzt sind, nicht das BAMF es widerlegen. Sie müssen zudem länger als Andere in den Aufnahmelagern leben, haben generelle Arbeitsverbote und sind mit Leistungskürzungen weit unter das Existenzminimum konfrontiert.
Abschiebungen in "Sichere Herkunftsländer" hat Lorenz Caffier in MV 2016 für den Wahlkampf inszeniert. Sie sind in der Doku "Deportation Class" festgehalten. Auch nach Ghana fanden in den vergangenen Jahren aus MV immer wieder Abschiebungen statt. Ghana steht seit 1993 auf der Liste der "sicheren Staaten". Die Einordnung steht im Kontext des "Asylkompromiss" und damit der rassistischen Gewalt der 90er Jahre, die uns in diesem Jahr in MV noch mit dem Gedenken an das Pogrom in Lichtenhagen beschäftigen wird. 
Institutioneller Rassismus hat Kontinuitäten, die wir brechen müssen. Für rassistische Gesetze ist in der jüngeren Geschichte seit der Wende leider auch immer wieder die SPD mitverantwortlich. Wir hoffen, Ihnen mit der dieser Darstellung einige der grundlgenden Probleme näher bringen zu können. 
Wir hoffen auch, dass Sie sich politisch dafür einsetzen, dass Abschiebungen generell keine politische Option mehr sind, sondern sich Behörden und Ministerien von diesen staatlichen Gewaltakten distanzieren und wir in dieser Gesellschaft andere Migrationspolitiken.
Mit freundlichen Grüßen,
Pro Bleiberecht"